zurück
Bad Neustadt
"Wir haben keine Angst": Wie Intensivpflegekraft Katrin Siebert Corona am Rhön-Klinikum in Bad Neustadt erlebte
Corona scheint für viele aktuell fast vergessen, die Pandemie ist aber nicht vorbei. Intensivpflegerin Katrin Siebert erzählt, wie sie Corona am Rhön-Klinikum erlebte.
Katrin Siebert ist Stationsleiterin der Intensivstation in der Klinik für Neurologie am Rhön-Klinikum. Während Corona mussten auch sie und ihr Team große Herausforderungen meistern.
Foto: Désirée Schneider | Katrin Siebert ist Stationsleiterin der Intensivstation in der Klinik für Neurologie am Rhön-Klinikum. Während Corona mussten auch sie und ihr Team große Herausforderungen meistern.
Désirée Schneider
 |  aktualisiert: 12.02.2024 06:00 Uhr

Mit einem elektrischen Summen öffnet sich die Glastür im Untergeschoss der Klinik für Neurologie am Rhön-Klinikum in Bad Neustadt. "Besuchszeit 15 - 17 Uhr" steht auf dem milchigen Glas. Doch das ist erst seit Kurzem wieder gültig. Denn in den vergangenen zweieinhalb Jahren blieb die Tür zu dieser Intensivstation wie viele andere auch für die meisten Angehörigen geschlossen.

"Das war das Schlimmste", sagt Katrin Siebert, "dass die Angehörigen den Sterbeprozess nicht begleiten durften". Die 59-jährige Intensivpflegerin sitzt im Zimmer der Stationsleitung. Sie wirkt angespannt. Die blonden Haare fallen ihr fransig in die Stirn. Seit knapp zwölf Jahren leitet Katrin Siebert die Intensivstation der Neurologie. Vieles hat sie hier erlebt. Über die Erlebnisse der vergangenen zweieinhalb Jahre zu sprechen, fällt ihr dennoch schwer. Sichtlich nervös zupft sie an einem Taschentuch.

Corona hat vielen die Chance auf Abschied genommen

Vor Corona sei es auf ihrer Station üblich gewesen, dass Angehörige im Sterben liegender Patientinnen und Patienten Tag und Nacht an deren Seite wachen durften, sagt Siebert. Während der Pandemie sei das nicht möglich gewesen. Kein letztes Streicheln, kein Hände halten zum Abschied und nur sehr begrenzte Besuchsmöglichkeiten – Corona habe vielen Angehörigen die Möglichkeit, sich von ihren schwerkranken Liebsten zu verabschieden, genommen, sagt sie.

"Manche Patienten hatten mehrere Kinder, die sie alle noch einmal sehen wollten", erinnert sich die 59-Jährige, "aber nur einer durfte rein. Nur einer". Bei dem Gedanken daran wird die Stimme der Intensivpflegerin leiser, bricht kurz ab. Was in den vergangenen zwei Jahren auf der Station passierte, nimmt Katrin Siebert offenbar noch immer mit. "Das vergisst man nie", sagt sie.

"Da hat man manchmal auch ein bisschen cool getan, obwohl man es eigentlich gar nicht war."
Katrin Siebert, Stationsleiterin der Intensivstation in der Klinik für Neurologie des Rhön-Klinikums

Eigentlich sei sie in die Intensivpflege gegangen, weil sie die Patientinnen und Patienten dort bestmöglich überwachen und ihnen die maximale medizinische Versorgung bieten könne. "Ich kann und muss sehr viel Medizinisches entscheiden und andere anleiten", sagt sie, "die enge Betreuung und die medizinische Verantwortung – das ist es, was mir gefällt".

Doch gerade während Corona sei das oft zur Belastungsprobe geworden. Denn mit dem ersten Corona-Patienten kam auch die Unsicherheit auf die Station. Schließlich gab es für den Umgang mit Corona-Infizierten zu Beginn noch keinen Fahrplan. "Bisher hatten wir für alles, was bei uns hier passiert, ein Konzept", sagt Siebert, "Dokumente, in denen man jederzeit alles nachlesen kann. Für Corona gab es das nicht. Wie auch? Es kannte ja niemand."

Als Stationsleitung am Rhön-Klinikum muss Katrin Siebert medizinische Entscheidungen treffen und andere anleiten. Zu Beginn der Pandemie galt es, ihrem Team die Angst vor der Arbeit mit dem Virus zu nehmen.
Foto: Désirée Schneider | Als Stationsleitung am Rhön-Klinikum muss Katrin Siebert medizinische Entscheidungen treffen und andere anleiten. Zu Beginn der Pandemie galt es, ihrem Team die Angst vor der Arbeit mit dem Virus zu nehmen.

Dementsprechend groß sei die Angst unter den Kolleginnen und Kollegen gewesen, sich zu infizieren und das Virus in die Familien zu tragen. "Jeder im Team hatte Angst, sich anzustecken, ganz klar", erinnert sich Katrin Siebert. "Wir mussten vor allem erst einmal die Angst nehmen." Als Stationsleitung war das eine sehr belastende Zeit. "Da hat man manchmal auch ein bisschen cool getan, obwohl man es eigentlich gar nicht war", sagt sie und ihre Stimme wird plötzlich wieder leise. Auch sie habe über 80-jährige Eltern und Schwiegereltern, um die sie sich in dieser Zeit besonders sorgte. "Diese Unsicherheit, wie wir mit der Sache umgehen sollen, das war das Schlimmste", sagt sie.

Die Erlebnisse auf der Station nach Feierabend dort zu lassen, sei kaum möglich gewesen. "Das ist einem immer durch den Kopf gegangen", so Siebert. Letztlich seien es vor allem auch der Zusammenhalt im Team und die Erfolgserlebnisse bei den Behandlungen gewesen, die den Alltag auf der Station bestreitbar machten. 

Hohe Zusatzbelastung durch verzögerte Abschlüsse und Fortbildungen

Dass die Menschen seit Beginn des Sommers wieder aufatmen, feiern und eng zusammenkommen, freue sie, sagt Siebert. Auch wenn die Bilder aus der letzten Corona-Welle noch präsent sind. "Es ist nicht wie im alltäglichen Leben außerhalb der Klinik. Hier ist Corona immer noch allgegenwärtig", sagt sie.

Dennoch sei das allgemeine Aufatmen momentan erleichternd. Denn auch für die Ausbildung auf der Station sind die gelockerten Maßnahmen von Bedeutung. Viele Abschlüsse und Fortbildungen hätten sich durch Corona verzögert. "Zwei Jahre lang war kein richtiges Reanimations- oder Notfalltraining möglich", erzählt Siebert, "das war beängstigend und eine hohe Zusatzbelastung".

Auch wenn das öffentliche Interesse mittlerweile wieder etwas abgeebbt zu sein scheint, glaubt Katrin Siebert, dass die Pandemie einen Image-Wandel der Pflege angestoßen haben könnte. "Ich denke, dass viele Menschen erkannt haben, wie wichtig Pflegeberufe sind und wie wichtig qualifiziertes Personal ist", sagt sie. "Ich wünsche mir, dass den Menschen bewusst ist, was für ein hochqualifizierter Beruf das ist."

Auch sie selbst denke jetzt manchmal anders. "Ich glaube, dass man für alles viel dankbarer sein müsste", ist die 59-Jährige überzeugt, "für die Normalität. Man unterschätzt oft, wie wichtig manche Sachen sind oder wie schnell es gehen kann, dass es einem Menschen so schlecht geht".

Den steigenden Fallzahlen und einer möglichen neuen Welle im Herbst blickt Katrin Siebert gefasst entgegen. "Wir sind bereit für alles, was kommt."

Auf dem Weg zurück zur Eingangstür der Intensivstation zeigt sie auf einen Abschnitt am Ende des Flurs. Bis vor wenigen Wochen war hier noch der Eingang in den geschlossenen Corona-Bereich der Station. An den Wänden sind noch die Überreste des extra für die Isolation der Corona-Infizierten eingebauten Schleusenzimmers zu erkennen. "Wir müssen nur die Türen wieder aufmachen", sagt Siebert, "wenn es losgeht, spielen wir mit. Wir haben keine Angst davor".

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bad Neustadt
Désirée Schneider
Angst
Covid-19
Intensivstation
Pandemien
Pflegeberufe
RHÖN-KLINIKUM Bad Neustadt
Rhön-Klinikum-Campus
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • susorf20512503
    Es gab einen Springer, der für bis zu vier weitere Stationen tätig war.

    Seit Anfang 2020 ist man dort in der Nacht zu zweit ( beides Fachkräfte) und wenn ich die auch heute noch herrschende Arbeitsbelastung betrachte, kann ich Kollegen, die alleine Nachtdienst geleistet haben, nur bewundern. (Naja, nicht "nur" bewundern, teilweise würde ich sie auch ganz gerne schütteln und fragen, wie sie sich so etwas antun (lassen) konnten)

    Solange die Mehrheit der Bürger einfach nicht begreift, wie wichtig die Arbeit von Pflegenden ist und Pflegende selbst sich durch ihr "Märtyrertum" (einspringen, auf Arbeit gehen, obwohl es einem selbst nicht gut geht etc.) im Weg stehen wird sich nichts Grundlegendes ändern.

    Hier müssen wir uns als Gesellschaft solidarisch zeigen und Pflegenden einen früheren Ruhestand und ähnliches ermöglichen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • susorf20512503
    Dass sich Berichte über Belastungen in der Pflege stark auf Intensivstationen konzentrieren, ist schade und verkennt die Belastungen, denen sich der weitaus größere Teil der Pflegenden auf Normalstation gegenüber sieht.

    Ja, es ist generell anstrengend in der Pflege zu arbeiten, sei es als angelernte Hilfskraft, Pflegefachhelfer oder Pflegefachkraft. Auf Intensivstationen gibt es aber eine Besetzung, die das Arbeiten angenehmer und stressfreier gestaltet als auf Normalstation. Auch sind die Wege dort kürzer und Besuchszeiten dort stärker reglementiert - das hat man auf Normalstationen leider nicht so ausgeprägt, so dass es oft dazu kommt, dass Angehörige, die sich nicht absprechen, Pflegepersonal unnütz Zeit stehlen.

    In dem Haus, in dem ich Berufserfahrung sammelte, gg bt es eine Normalstation mit 46 Betten incl. bis zu zwei Monitorplätzen. Dort war bis 2020 eine Fachkraft in der Nacht alleinverantwortlich tätig (Fortsetzung siehe nächster Kommentar)
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten