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Bischofsheim
Andrea Enders aus Bischofsheim sitzt im Rollstuhl: Wie drei Handwerksbetriebe ihr ein Stück Freiheit zurückgaben
Die Bischofsheimerin Andrea Enders leidet am Ehlers-Danlos-Syndrom. Dann stürzte sie und braucht seitdem einen Rollstuhl. Nun erhielt sie eine besondere Hilfe.
Andrea Enders freut sich über die Tür zur Außenwelt. Eine kleine Rampe am Boden soll noch dafür sorgen, dass sie mit ihrem Rollstuhl problemlos nach draußen kann.
Foto: Sigrid Brunner | Andrea Enders freut sich über die Tür zur Außenwelt. Eine kleine Rampe am Boden soll noch dafür sorgen, dass sie mit ihrem Rollstuhl problemlos nach draußen kann.
Von Sigrid Brunner
 |  aktualisiert: 10.02.2024 07:23 Uhr

Bis zur Haustür – weiter kam Andrea Enders nicht. Seit einem Unfall am 13. Mai ist die 59-Jährige, die außerdem noch an einer schweren Erkrankung leidet, komplett auf einen Rollstuhl angewiesen. Von der Tür führen mehrere Stufen nach draußen, an denen der Rollstuhl seine Grenze fand.

Als Folge davon konnte sie ihr Haus nicht mehr verlassen. Um die Außenwelt zu betrachten, blieb nur noch der Blick aus dem Fenster. Schnell und unkompliziert machten jetzt drei Handwerksbetriebe ihr Leben etwas leichter. In Rekordzeit schufen sie einen ebenerdigen Ausgang ins Freie.

Andrea Enders brauchte schon vor dem Unfall bei größeren Strecken einen Rollstuhl.Sie leidet am Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS), das zu den seltenen Krankheiten gehört. Dabei handelt es sich um eine Bindegewebserkrankung, deren sichtbare Merkmale eine Überdehnbarkeit der Haut und überbewegliche beziehungsweise überdehnbare Gelenke sind. Letzteres hat bei ihr immer wieder Gelenkausrenkungen (Luxationen) zur Folge. Bei der Bischofsheimerin sind von der Erkrankung auch die Innengefäße und Organe betroffen, das heißt, es besteht die Gefahr, dass diese reißen können.

Die Krankheit brach bei ihr aus, als sie 38 Jahre alt war. Nach der Diagnose waren innerhalb von einem halben Jahr bereits sechs Gelenke betroffen. Wiederholt mussten Gelenke versteift werden, um weitere Ausrenkungen zu vermeiden, darunter ein Daumen und der linke Unterarm. Eine gebrochene Schulter wartet seit drei Jahren auf eine Operation. Auch ein Knie benötigt eine Prothese.

Einmal wurde es richtig gefährlich

„Jede OP hilft, bringt aber auch eine Behinderung mit sich“, erklärt die gelernte Einzelhandelskauffrau und Kinderpflegerin. Einmal wurde es richtig gefährlich: Eine Halswirbel-Luxation führte zu einem Schlaganfall. Mehrere Halswirbel wurden daraufhin versteift, auch um eine Querschnittslähmung auszuschließen.

Die Erkrankung verläuft voranschreitend. Mittels Physiotherapie können Muskeln aufgebaut werden, damit diese die Arbeit des Bindegewebes übernehmen. Ansonsten müssen die Gelenke so weit wie möglich geschont werden.

Fast fertig: Thorsten Happel (links) und Udrea George von der Firma Röku bauten die Tür ein. Neu geschaffen wurde auch ein befestigter Weg für den Rollstuhl.
Foto: Sigrid Brunner | Fast fertig: Thorsten Happel (links) und Udrea George von der Firma Röku bauten die Tür ein. Neu geschaffen wurde auch ein befestigter Weg für den Rollstuhl.

Was Andrea Enders überhaupt nicht gebrauchen kann, ist ein Sturz. „Stürze sind richtig fatal mich“, erläutert sie. Aber genau das passierte am 13. Mai. Als sie sich in ihren Rollstuhl setzen wollte, stürzte sie und brach sich dabei mehrfach den Fuß. Die Fuß-OP war die 70. Operation, die sie in ihrem Leben bislang über sich ergehen lassen musste. Der Arzt offenbarte ihr eine sehr lange Heilungszeit von über einem Jahr. Es sei ganz wichtig, den Fuß in keinster Weise zu belasten.

„So lange kann ich mich nicht einsperren lassen“, sagte daraufhin Andrea Enders. Sie brauche ein gewisses Maß an Selbstständigkeit. „Ich komme mit meiner Krankheit zurecht. Darauf verschwende ich wenige Gedanken, weil ich nichts ändern kann. Aber das mit dem Fuß ist etwas anderes“, umschreibt sie ihre Gemütslage.

Weder eine Rampe noch ein Treppenlift war durchführbar

Mit ihrem Mann und ihren drei Kindern – eine Tochter wohnt mit im Haus – sei sie sämtliche Varianten durchgegangen, wie ein Weg nach draußen realisiert werden könnte. Von einer Rampe bis zum Treppenlift. Nichts davon war durchführbar. Schließlich kristallisierte sich als Lösung ein Durchbruch zum Garten heraus und ein befestigter Weg, über den sie das Grundstück verlassen kann.

Dieser Entschluss wurde an ei

Roger Braun (links) und Sven Herb von der Firma Quillmann bohrten den Durchbruch für die Tür.
Foto: Georg Enders | Roger Braun (links) und Sven Herb von der Firma Quillmann bohrten den Durchbruch für die Tür.

nem Wochenende gefasst und was am Montag darauf folgte, war außergewöhnlich. Früh am Morgen rief Andrea Enders die Firma Röku Fensterbau in Bischofsheim an und erläuterte dabei auch ihre besondere Situation. Dort sagte man ihr, dass außerdem noch jemand für die Wegbefestigung und Maurerarbeiten benötigt werde. Woraufhin sie die Firma Quillmann in Unterweißenbrunn kontaktierte. Die wiederum stellten fest, dass ein Heizkörper verlegt werden musste, was zu einem weiteren Anruf beim Bischofsheimer Unternehmen Faulstich führte. Noch am Vormittag des selben Tages waren von allen drei Handwerksbetrieben Vertreter da, um das Ganze vor Ort in Augenschein zu nehmen. Drei Wochen später wurde das Glas für die Tür geliefert und innerhalb weniger Tage war alles fix und fertig.

Große Dankbarkeit für die rasche Arbeit der Handwerker

„Dass Firmen in einer Notlage so schnell handeln, ist toll“, erklärt eine glückliche Andrea Enders. „Das ist in der heutigen Zeit keine Selbstverständlichkeit.“Sie sei den Handwerkern für die rasche Hilfe überaus dankbar. „Diese Tür bedeutet für mich Freiheit.“ Sie und ihr Mann würden stets darauf achten, heimische Betriebe zu beschäftigen. „Das zahlt sich aus, wenn man jemanden braucht. “ Die schnelle Arbeit bezeichnet sie als „eine Form von Sozialengagement“.

Für den Durchbruch musste ein Heizkörper verlegt werden. Dafür war Peter Preuß von der Firma Faulstich zuständig.Georg Enders
Foto: Foto: | Für den Durchbruch musste ein Heizkörper verlegt werden. Dafür war Peter Preuß von der Firma Faulstich zuständig.Georg Enders

„In solchen Situationen versuchen wir schon, schnell zu reagieren“, sagt dazu Matthias Clas von der Firma Röku. Es sei auch geglückt, die Lieferzeit für das Türglas zu beschleunigen. „Was wir machen konnten, das haben wir getan.“ Auch die Zusammenarbeit und die Absprachen mit den beiden anderen Betrieben hätten sehr gut funktioniert.

Ohne die Haushaltshilfe würde es nicht gehen

Wie kommt Andrea Enders in ihrem Alltag zurecht? Eine große Stütze sei ihre Familie und ihre Haushaltshilfe. „Ohne die würde es gar nicht gehen“, meint sie. „Ansonsten versuche ich, mich mit dem Kopf zu beschäftigen.“ Die 59-Jährige war 27 Jahre lang Pflegeelternsprecherin. Darüber hinaus engagiert sie sich in der Ehlers-Danlos-Initiative. Sie berät per Telefon oder Video Betroffene über Pflegemöglichkeiten, schildert ihre eigenen Erfahrungen und leistet dabei auch oft psychologische Arbeit gegenüber denjenigen, die wie sie mit der Erkrankung umgehen müssen. Früher, als sie noch mobiler war, informierte sie auch in Universitäten oder auf Ärztekongressen.

„Es stirbt jeder an irgendetwas. Man muss sich so organisieren, dass man sein Leben bis zum Tod sinnvoll gestaltet“, betont sie. „Das gibt auch Lebensqualität.“ Der erste Gang nach Fertigstellung der Tür führte Andrea Enders in den Garten. Dort wartete etwas auf sie, was ihr Mann und ihre Tochter extra für diesen Moment haben liegen lassen: zwei erntereife Gurken.

Ehlers-Danlos-Syndrome

Die Ehlers-Danlos Syndrome (EDS) gehören zu den seltenen Erkrankungen. Verantwortlich sind genetisch bedingte Veränderungen in der Struktur des Bindegewebes. Da Bindegewebe fast überall im Körper vorkommt, können die Symptome der Erkrankung entsprechend vielfältig sein. Hauptsächlich betroffen sind Gelenke, Haut, Blutgefäße und innere Organe. Das Bindegewebe ist für die Festigkeit und Elastizität des Körpers verantwortlich. In ihm befindet sich das Eiweiß Kollagen, das dem Gewebe erlaubt, sich innerhalb seiner Grenzen zu dehnen und danach sicher in den Ausgangszustand zurückzukehren. Das Bindegewebe einer Person mit EDS ist nicht so aufgebaut, wie es sein sollte. Im Falle eines schlecht aufgebauten oder gebildeten Bindegewebes kann ein Teil oder das gesamte Gewebe über die normalen Grenzen hinausgezogen werden, was zu Schäden führt. (Quelle: Deutsche Ehlers-Danlos-lnitiative)
 
 
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