
Die Frage, wer der FDP das Wasser abgegraben hat, stellt sich in Irmelshausen, dem kleinen Dorf ganz am Rand von Rhön-Grabfeld, nicht. Die Quelle, die einst den Ringgraben um das alte Wasserschloss versorgt hat, ist schon lange versiegt und irgendwann vergessen worden während der Flurbereinigung.
Im Sommer sitzt Schloss Irmelshausen auf dem Trockenen. Immer dann, wenn Schlossherr Karl Graf Stauffenberg als FDP-Kreisvorsitzender zum Sommerfest lädt. Die Dorfjugend grillt und schenkt aus. Der eine oder andere Nachbar schaut vorbei, ansonsten kommen FDP-Anhänger aus Schweinfurt, Bad Kissingen und den Haßbergen.
Auf den Bierbänken sitzen die Altgedienten der Partei, die noch die gloriosen Zeiten der Freidemokraten kennen - mit einem Walter Scheel als Bundespräsidenten oder Hans-Dietrich Genscher als Außenminister der Wendejahre. Daneben schlürft der FDP-Nachwuchs an Cola oder Aperol.
Ganz in der Nähe scheint der Thüringer Himmel AfD-blau
Und über Schloss Irmelshausen wölbt sich der Himmel zu diesem FDP-Fest stahlblau. Wer nach Osten blickt, der schaut schon ins Thüringer Firmament - so blau wie die Parteifarbe der AfD.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, prominente Rednerin in diesem Jahr, hat ein durchsetzungsstarkes Organ. Die Ehrenvorsitzende der bayerischen FDP hat es oft brauchen können. Als Justizministerin unter Helmut Kohl und dann Angela Merkel scheute sie nie den Konflikt, wenn es um die Freiheitsrechte des Einzelnen gegen den Kontrollwillen des Staates ging. Leutheusser-Schnarrenberger half, den Großen Lauschangriff und die Vorratsdatenspeicherung zu stoppen.
Leutheusser-Schnarrenberger mahnt: Nicht mit dem Finger auf AfD-Wähler zeigen
In Irmelshausen nennt die 73-Jährige Gründe, warum die Arbeit in einer Partei wie der FDP erfüllend sein kann, auch wenn sie gerade alles andere als Gunst bei den Wählerinnen und Wählern findet. "Auch bei einer Niederlage wie in Thüringen müssen wir die Frage stellen, was uns denn überhaupt ausmacht", sagt Leutheusser-Schnarrenberger. Die AfD will sie jedenfalls nicht mit den immer gleichen Argumenten bekämpfen: "Mit dem Finger darauf zu deuten, dass man Mitglieder dieser Partei auch Nazis nennen darf und rechtsextremistische Verdachtsfälle aktenkundig sind, das verfängt nicht beim Wähler", meint die Ehrenvorsitzende der Bayern-FDP.
"Wir müssen stattdessen deutlich machen, welches Menschenbild uns prägt. Und wir sind die Partei, die auf das Individuum setzt, die AfD aber setzt auf das Kollektiv", sagt die frühere Bundesministerin. Es gehe um die Würde des Einzelnen, egal welche Religion oder sexuelle Orientierung er habe.
"Wir müssen uns gegen die Missachtung des Anderen einsetzen", warnt sie. "Wenn Leute sagen, wir leben nicht mehr in einer Demokratie, dann dürfen wir das nicht einfach so wegwischen." Stattdessen solle man laut widersprechen.
Grande Dame der Bayern-FDP: Regierungsteilhabe ist nicht alles in der Demokratie
Zur Demokratie gehöre auch, dass man nicht immer an der Macht beteiligt werde als Partei. "Aber es geht in der Demokratie nicht nur um Teilhabe an der Regierung. Es geht um Diskussion. Es ist wichtig, dass wir weiter Akteure im Meinungsbildungsprozess bleiben, auch wenn das schwierig ist", mahnt die Grande Dame der FDP. Demokratie sei ein immerwährender Diskurs um den richtigen Weg.

Auch der Chef der Bayern-FDP, Martin Hagen, spricht am Schloss zu den rund 50 Gästen. Ein Thema: die Migration. Dass von den rund 75.000 ausreisepflichtigen Dublin-Migranten im Land nur ein Bruchteil tatsächlich ausgewiesen werde, sei Behördenversagen, meint Hagen. Doch nicht nur eine Migrations-, sondern auch eine Wirtschaftswende sei nötig.
Die FDP jedenfalls fehle "im Landtag ohne wirkliche Landespolitik", meint Hagen. Ihn selbst ziehe es bei den nächsten Bundestagswahlen nach Berlin: "Ich liebe diese bunte, vielfältige Gesellschaft, und das soll so bleiben."
Zu dieser vielfältigen Gesellschaft gehört auch die Gruppe jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Leutheusser-Schnarrenberger, die Antisemitismus-Beauftragte für das Land Nordrhein-Westfalen ist, beklagt die aktuelle Situation: "In allen Teilen der Bevölkerung wächst der Judenhass." Dabei gebe es in Deutschland mit rund 100.000 gemeindlich organisierten Jüdinnen und Juden kaum jüdisches Leben. "Die AfD bedient unterschwellig diesen Judenhass", sagt Leutheusser-Schnarrenberger. Auch dadurch, dass sie vom deutschen "Schuldkult" spreche, mit dem einmal Schluss sein müsse.
Ehemalige Justizministerin warnt: Ausgrenzung kann am Ende jeden treffen
Mit erhobenem Zeigefinger sei sie nicht unterwegs, meint die 73-Jährige noch. Man müsse den Menschen sagen, dass jede Form der Ausgrenzung auch jeden treffen könne. Gleichwohl dürfe man bei dem Thema Volksverhetzung "kein Pardon" kennen, auch nicht im Netz.
Ob Karl Graf Stauffenberg vom Optimismus seines Hauptgastes angesteckt wird? Den AfD-Erfolg in Thüringen habe er kommen sehen, sagt der Enkel des Hitler-Attentäters: "Ich hätte jede demokratische Partei präferiert. Aber die AfD hat mit Demokratie nichts zu tun". In Vorträgen warnt Stauffenberg immer wieder vor Extremismus, vor braunen wie roten Rattenfängern. Das Wahlergebnis in Thüringen jetzt? "Das ist nur sehr begrenzt auszuhalten."