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Irmelshausen
Von der Last und der Verpflichtung, ein Stauffenberg zu sein
Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg ist ein Mythos. Sein Enkel hat unter der Herkunft lange gelitten. Heute streitet Karl Stauffenberg für die Demokratie.
Karl Graf Stauffenberg, ein Enkel des Hitler-Attentäters, lebt in Irmelshausen.
Foto: Thomas Obermeier | Karl Graf Stauffenberg, ein Enkel des Hitler-Attentäters, lebt in Irmelshausen.
Michael Czygan
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:48 Uhr

Was für ein Familienstammbaum: Der Vater war Bundestagsabgeordneter, der Großvater mütterlicherseits ebenfalls. Der Cousin, Karl Theodor zu Guttenberg, brachte es zum Bundesverteidigungsminister. Und dann ist da der Großvater väterlicherseits: Claus Schenk Graf von Stauffenberg, der bekannteste Widerstandskämpfer in Nazi-Deutschland. Am 20. Juli jährt sich das gescheiterte Hitler-Attentat zum 75. Mal. Karl Schenk Graf von Stauffenberg wird bei der Gedenkstunde mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im Berliner Bendlerblock, dort wo der Großvater und seine Mitstreiter hingerichtet wurden, dabei sein. Abends diskutiert der 48-Jährige bei einer Podiumsdiskussion in München über den Widerstand. Politisch streiten für Demokratie und Rechtsstaat, das hat sich der Stauffenberg-Enkel mittlerweile auf die Fahne geschrieben, nachdem er lange mit seiner Herkunft gehadert hatte. 

Eine Büste erinnert an den berühmten Großvater

Das Wasserschloss in Irmelshausen (Lkr. Rhön-Grabfeld) ist ein fränkisches Kleinod. Zur Hälfte gehört das Anwesen der Familie von Karl Graf Stauffenberg. Gemeinsam mit seiner Frau Anna betreibt der gelernte Hotelfachmann hier die "Gräfliche Event Manufaktur Stauffenberg", eine Veranstaltungsagentur. Im Obergeschoss des Schlosses empfangen Kinder-Rufe und das Bellen von Dackel-Dame "Holla, die Waldfee" den Besucher. Der Hausherr bittet in kurzer Hose zum Kaffee. Keine Spur von adeligem Dünkel, allenfalls das Ambiente mit Holzböden, knarzenden Türen, Ölbildern und Stilmöbeln kommt ein wenig herrschaftlich daher. An den berühmten Großvater erinnert eine schlichte Gipsbüste im Arbeitszimmer, "ein Geschenk unserer Großmutter". 

Das Wasserschloss in Irmelshausen. Zur Hälfte gehört es der Familie Stauffenberg.
Foto: Thomas Obermeier | Das Wasserschloss in Irmelshausen. Zur Hälfte gehört es der Familie Stauffenberg.

Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg, die Witwe des Hitler-Attentäters, lebte bis zu ihrem Tod 2006 im gar nicht weit entfernten Schloss Kirchlauter (Lkr. Haßberge) bei Bamberg. Sie war der Mittelpunkt der Familie, regelmäßiger Treffpunkt für Kinder, Enkel und Urenkel. Fragt man Karl Stauffenberg, wie viele Stauffenberg-Enkel es eigentlich gibt, muss er erst einmal nachrechnen. "Zwölf sind es." Hinzu kommen "jede Menge Urenkel", der 48-Jährige ist selbst Vater von vier Kindern im Alter von 21, 17, 14 und zwei Jahren. Insgesamt zählt die Familie über 40 Nachkommen des Hitler-Attentäters. SS-Chef Heinrich Himmler hatte einst angekündigt, die Familien der Widerstandskämpfer "bis ins letzte Glied" auszulöschen. Karl Stauffenberg: "Das hat er nachweislich nicht geschafft, da sind wir schon ein wenig stolz."     

Stauffenberg-Enkel nicht "offiziell aufgeklärt" 

Wann aber hat der Enkel realisiert, in welche Familie er da hineingeboren ist, dass der Großvater im Widerstand gegen Hitler gestorben ist? "Das werde ich oft gefragt", sagt Karl Stauffenberg, "aber ich kann keinen Zeitpunkt nennen". Die Geschichte sei nie ein Geheimnis gewesen, aber sie habe die Begegnungen und Feste in der Familie nicht dominiert. "Ich bin mit dem Thema aufgewachsen. Eine offizielle Aufklärung durch meine Großmutter oder meinem Vater gab es nicht." Die Stauffenberg-Kinder hatten es da ungleich schwerer. "Mein einer Onkel wollte unbedingt zum Jungvolk. Dass der eigene Vater versucht hatte, den beliebten Führer umzubringen, konnte er zunächst nicht verstehen. Die Familie war in die Attentatspläne nicht eingeweiht."

Karl Graf Stauffenberg in seinem Arbeitszimmer im Schloss Irmelshausen. Das Fensterbrett ziert eine Gipsbüste seines Großvaters Claus Schenk Graf von Stauffenberg.
Foto: Thomas Obermeier | Karl Graf Stauffenberg in seinem Arbeitszimmer im Schloss Irmelshausen. Das Fensterbrett ziert eine Gipsbüste seines Großvaters Claus Schenk Graf von Stauffenberg.

Außerhalb der Familie indes verfluchte auch Karl Stauffenberg das eine oder andere Mal den prominenten Ahnen. "Drei Jahre hintereinander, von der siebten bis zur neunten Klasse, musste ich in der Schule ein Referat zum 20. Juli halten." Die Klassenkameraden hätten schon gelacht, die Geschichtslehrer auf Familiengeheimnisse gehofft. Er aber habe die Aufgabe eher lustlos erfüllt. "Also gab es bestenfalls eine Drei", erzählt der 48-Jährige. Einmal sei er in dieser Zeit für drei Tage im Krankenhaus gelandet. "Da war ich 13 oder 14. Drei Mitschüler wollten wissen, ob ich mit dem Hitler-Attentäter verwandt sei. Ich sagte ja – und prompt hatte ich auch schon den ersten Fuß im Gesicht."     

"Oft habe ich gedacht, warum heiße ich nicht Maximilian Schenk." 
Karl Graf Stauffenberg über die schwierige Jugend als Stauffenberg-Enkel

Aber selbst dann, wenn die Gesprächspartner es gut meinten, sei er oft genervt gewesen, schildert  Stauffenberg seine Gefühlswelt. Statt über den Großvater und den Widerstand habe er als junger Mensch lieber über den FC Bayern oder Nena geredet. "Kaum hatte man jemanden kennengelernt, war schon die Frage: Bist Du verwandt mit ...?  Ich habe ja gesagt und es hieß: Toll, was für eine Ehre... Die Leute haben irgendetwas auf mich projiziert. Oft habe ich gedacht, warum heiße ich nicht Maximilian Schenk." Er habe, sagt Karl Stauffenberg, über 40 Jahre alt werden müssen, um sich mit dem Schicksal zu versöhnen, den Namen Stauffenberg zu tragen. "Ich musste erst lernen, aus den  Fußstapfen meines Großvaters herauszutreten und meine eigenen Fußspuren zu setzen."

Claus Graf Schenk von Stauffenberg.
Foto: dpa | Claus Graf Schenk von Stauffenberg.

Vor drei Jahren gründete Karl Stauffenberg einen Verein namens "Mittendrin statt extrem daneben". Sein Ziel ist es, "Jugendliche und junge Erwachsene vor den Gefahren durch politischen und ideologischen Extremismus zu warnen und Rechtsstaat und Demokratie zu feiern".  Die Verrohung der politischen Debatte, das Beschimpfen von Menschen in den sozialen Medien, nur weil sie eine Meinung nicht teilen, der Umgang mit Minderheiten, all das habe ihn getrieben, sich zu engagieren. "70 Jahre Freiheit in Deutschland, Frieden in Europa. Das ist nicht normal, wenn man sich die deutsche Geschichte anschaut. Da muss man doch dankbar sein", sagt Stauffenberg. Man dürfe nicht den Extremisten, "egal ob von links oder rechts oder religiös motiviert", die Straße und die Stammtische überlassen, "wir Demokraten müssen raus gehen und lautstark für unsere Werte demonstrieren".

Das "gelbe Schaf" in einer politisch schwarzen Familie 

Stauffenberg hat entschieden, wie viele in seiner Familie, sich auch parteipolitisch einzubringen, allerdings nicht wie Vater, Großvater und Vetter in der CSU. "Ich bin das gelbe Schaf der Familie", lacht er. Vor zweieinhalb Jahren trat er ein zweites Mal in die FDP ein. Ab 1998 schon einmal Mitglied, verließ er die Partei 2009 aus Enttäuschung über den von Guido Westerwelle verhandelten schwarz-gelben Koalitionsvertrag ("Der hatte kaum liberale Inhalte."). Mittlerweile kandidierte Stauffenberg 2018 für den Landtag und ließ sich zum FDP-Kreisvorsitzenden in Rhön-Grabfeld wählen. Liberale Größen wie Wolfgang Kubicki, Alexander Graf Lambsdorff und Martin Hagen kamen zur Wahlkampf-Unterstützung in das 400-Seelen-Dorf Irmelshausen.

Reichsmarschall Hermann Göring (helle Uniform) und der Chef der 'Kanzlei des Führers', Martin Bormann (links), begutachten die Zerstörung im Führerhauptquartier Wolfsschanze, wo Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 eine Sprengladung zündete, mit der Absicht Hitler zu töten.
Foto: Heinrich Hoffmann, dpa | Reichsmarschall Hermann Göring (helle Uniform) und der Chef der "Kanzlei des Führers", Martin Bormann (links), begutachten die Zerstörung im Führerhauptquartier Wolfsschanze, wo Oberst Claus Schenk Graf von ...

Ob Claus Schenk von Stauffenberg heute ein Liberaler wäre, darüber möchte der Enkel nicht spekulieren. "Ich wehre mich dagegen, Menschen 75 Jahre nach ihrem Tod mit dem Wissen von heute zu bewerten." Deshalb hat er sich in die öffentliche Debatte eingemischt, als es im vergangenen Jahr Versuche von AfD-Politikern gab, den Widerstandskämpfer als "deutschen Patrioten" zu vereinnahmen. Sein Großvater sei ein Kind seiner Zeit gewesen, sagt Karl Stauffenberg, "sicher kein Demokrat im heutigen Sinne". Die Erfahrungen mit der Weimarer Republik hätten ihn nachhaltig geprägt, "vermutlich war er Anhänger eines starken Nationalstaats".

Unabhängig von der Staatsform sei Stauffenberg als gläubiger Christ aber von der individuellen Verantwortung von Politikern und militärischen Führern "vor ihrem Gewissen, vor Gott" überzeugt gewesen. Auf dieser Basis habe er sich im Lauf der Jahre, wissend um die Kriegsgreuel und den Genozid an den Juden, zum Widerstand gegen die NS-Diktatur entschlossen. "Am Ende war er bereit, den Tyrannen Hitler zu töten, um noch größeres Unheil zu verhindern. Dafür hat er sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt." 

"Kein Supermann. Aber ein Mann mit Gewissen."
Karl Graf Stauffenberg über seinen Großvater

War ihr Großvater ein Held? "Ich habe Probleme mit dem Begriff. Ein Supermann war er nicht. Er war ein Mensch auch mit Fehlern. Aber er war ein Mann mit Gewissen. Kein Held, aber auf alle Fälle ein Vorbild", sagt der Enkel. "Stauffenberg zu heißen, ist kein Privileg, sondern vielmehr eine Verpflichtung", dieser Familien-Wahlspruch, an dem er so lange gelitten hat, ist heute seine Motivation, sich öffentlich einzumischen, wenn Demokratie, Menschenrechte oder die soziale Marktwirtschaft in Frage gestellt werden. Deshalb reist Karl Stauffenberg durch die Republik, diskutiert mit jungen Leuten, mit Bundeswehr-Soldaten ebenso wie mit Schülern über den Widerstand gegen Hitler, aber vor allem auch die Konsequenzen für heute. "Damit sich die Geschichte nicht wiederholt."    

20. Juli 1944: Umsturzversuch gegen Hitler scheitert
Gegen 12.40 Uhr am 20. Juli 1944 stellt Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg (36) seine Aktentasche mit einer Bombe in der Wolfsschanze, dem "Führerhauptquartier" bei Rastenburg in Ostpreußen, ab und verlässt unter einem Vorwand den Raum. Wenige Minuten später kommt es zur Explosion. Mindestens vier der 24 Anwesenden werden getötet, Hitler überlebt leichtverletzt.
Das Attentat und den Umsturz hatte eine Gruppe ziviler und militärischer Oppositioneller von langer Hand geplant. Treibende Kraft war Stauffenberg. Zunächst kein ausgesprochener Gegner des Nationalsozialismus lehnte er Hitler spätestens mit Kriegsbeginn ab. Dem aktiven Widerstand schloss er sich 1942 unter dem Eindruck des Massenmords an den Juden und den Verbrechen an der Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten an. 
Als Stauffenberg am 20. Juli nachmittags nach Berlin zurückkehrt, geht er davon aus, der Umsturz sei geglückt und Hitler tot, was sich jedoch schnell als Irrtum herausstellt. Am Abend werden Stauffenberg und fünf seiner Mitstreiter festgenommen und gegen Mitternacht im Bendlerblock hingerichtet. Stauffenbergs Frau Nina und die Kinder werden einzeln in Gefängnisse, Konzentrationslager und Kinderheime verfrachtet. Sie überleben die NS-Zeit.   
In den Tagen nach dem Attentatsversuch nimmt die Gestapo Tausende weitere Regimegegner fest. Bis Kriegsende werden über 100 nach Schauprozessen exekutiert.  
Buchtipps: Die Rolle Stauffenbergs im NS-Widerstand ist Thema zweier Neuerscheinungen. Umstritten ist das Buch des Historikers Thomas Karlauf "Stauffenberg. Porträt eines Attentäters" (368 Seiten, Blessing Verlag, 24 Euro) , weil es dem Oberst die Gewissensentscheidung als Motiv für den Anschlag abspricht. Darauf antwortet die Historikerin und Stauffenberg-Enkelin Sophie von Bechtolsheim, mit ihrem sehr persönlichen Buch "Stauffenberg - mein Großvater war kein Attentäter" (144 Seiten, Herder Verlag, 16 Euro). Von Bechtolsheim ist eine Schwester von Karl Graf Stauffenberg. 
 
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