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Bad Neustadt
Schreib mal wieder: Warum für Maria Blümm aus Bad Neustadt Briefeschreiben nicht aus der Mode gekommen ist
Maria Blümm hat sich in der schnelllebigen Zeit ganz bewusst für das Langsame entschieden. Und erinnert sich an eine wertvolle Brieffreundin.
Den Ratschlag ihrer Mutter 'Einen Brief schreibt man mit dem Herzen' befolgt Maria Blümm bis heute.
Foto: Maria Blümm | Den Ratschlag ihrer Mutter "Einen Brief schreibt man mit dem Herzen" befolgt Maria Blümm bis heute.
Maria Blümm
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:20 Uhr

Die Zeit um Ostern beschert allerhand Aktivitäten. Abgesehen vom Frühlingsputz, der uns bei den blitzblanken Fenstern wieder Durchblick verschafft, gibt es noch viele Dinge, die "frau" erledigen muss. Maria Blümm aus Bad Neustadt denkt über den Wert des Briefeschreibens nach und erinnert sich an eine liebe Brieffreundin. Nachfolgend ihre Erzählung dazu:

Mein Blick auf den Kalender sagt mir, dass da draußen in der Ferne liebe Menschen auf einen Gruß von mir warten. Man mag glauben, dass Briefe schreiben ganz und gar aus der Mode gekommen ist, aber ich habe mich bewusst in unserer schnelllebigen Zeit, für das Langsame entschieden.

Maria Blümm: Briefe schreiben heißt, sich selbst kennenzulernen

Es sind Briefe und Grüße an Freunde quer durch Deutschland, die mir sehr viel bedeuten. Auch wenn wir uns sehr selten sehen, wissen wir viel voneinander, wir sind Brieffreunde. Briefe schreiben heißt, sich selbst kennenzulernen.

Maria Blümm
Foto: Maria Blümm/Selfie | Maria Blümm

Was passiert beim Schreiben? Der Brief ist eine Bewegung zum Du. Er ist eine Erforschung, eine Betrachtung der Gefühle. Wer Briefe schreibt, nimmt sich Zeit, für sich selbst und für den anderen. Ein Brief wird nie so, wie er gedacht war, sondern verändert sich beim Schreiben, weshalb das Schreiben ja so viel Spaß macht. Schließlich lässt der Brief die Zeit stillstehen.

Gerade denke ich nach, wie ich zu diesen Brieffreundschaften kam? Da gab es in meiner Schulzeit die Kinderzeitung "Sternsinger". Man konnte die Zeitschrift in der Schule bestellen und bekam jeden Monat das neueste Exemplar. Ich erwartete schon immer sehnlichst das neue Heft, denn es waren spannende Kindergeschichten, Rätsel und Neues aus aller Welt und der Missionsarbeit und - unter anderem - auch Adressen von Brieffreundinnen und Freunde.

Die erste Brieffreundin lebte in Traunstein

WhatsApp war noch nicht erfunden, Telefon hatten wir nicht und so suchte ich mir unter den vielen Namen eine Heidi aus. Sie wohnte in Traunstein und diesen Ort suchte ich zunächst im Schüleratlas. Das war eine längere Aufgabe, denn ich hatte keine Ahnung, wo Traunstein lag.

Mithilfe von Bruder und Papa hatten wir es gefunden, und nun hatte ich wenigstens eine kleine Vorstellung, wohin der Brief gehen sollte. Das nächste wichtige Detail war das Briefpapier. Zu meiner Erstkommunion hatte ich wunderschönes Briefpapier geschenkt bekommen. Himmelblau mit Vergissmeinnicht, damals wusste ich nichts damit anzufangen, "aber jetzt, jetzt werde ich meinen ersten Brief schreiben", so meine Gedanken.

Aber was sollte ich ihr denn schreiben? Oje, da war schon die erste Hürde zu überwinden: "Liebe Heidi! Ich heiße Maria und möchte dir schreiben …" "Nein, das klingt nicht gut, außerdem ist alles krumm!" Das erste Blatt wanderte in den Papierkorb.

Mit dem Lineal saubere Linien auf das Papier gezogen

Nochmal von vorne. So ging das einige Male. Nun hatte ich schon keine Lust mehr und innerlicher Groll begünstigte die anfängliche Schreiblust nicht. Als Mama sah, wie sich der Papierkorb mit dem zusammengeknüllten Vergissmeinnicht-Briefpapier füllte, griff sie beherzt ein: "Sag mal, du spinnst wohl", rief sie ärgerlich. "Was soll das werden? Schreibe den Brief zunächst auf einen Block und dann auf das schöne Briefpapier. Und überlege dir vorher, was du Heidi erzählen möchtest."

Sie zog mit einem Lineal saubere Linien, damit die Schrift gerade wurde. "Einen Brief schreibt man mit dem Herzen", sagte sie und diese Worte höre und befolge ich noch heute.

Aus diesem ersten Brief an Heide wurde eine wunderbare Brieffreundschaft. Anfänglich noch sehr holprige Mitteilungen, aber so nach und nach entwickelte sich ein Schreibstil besonderer Art. Wir vertrauten uns Geheimnisse an, von denen niemand wusste. Von Lehrern, die uns tierisch auf die Nerven gingen, von der Zeit, als die Eltern schwierig wurden, von Pfarrern, die altmodisch waren und von Kaplänen, mit denen man Pferde stehlen konnte. Aber auch von Experimenten, die mal gut, oder auch schlecht gelaufen sind und von Konsequenzen, die wir tragen mussten, wenn wir etwas ausgefressen hatten.

Voller Spannung wurde der nächste Brief erwartet

Es war immer sehr spannend, was Heidi zu berichten hatte. Jeder Brief löste wahre Glücksgefühle aus. Kam ein solcher Brief an, legte ihn Mama immer ungeöffnet auf meinen Schreibtisch. Dadurch erfuhr ich zum ersten Mal, dass es ein Briefgeheimnis gibt.

Mama erklärte mir, dass man Briefe nie ohne Erlaubnis des Empfängers öffnen darf und daran hielten sich alle. Ich öffnete nie einen Brief sofort und tue es heute auch nicht. Ein Brief ist wie ein Gespräch. Es braucht den richtigen Zeitpunkt. Bei einer Tasse Kaffee in Ruhe lesen, was sie heute schreibt und ganz in Gedanken bei ihr sein.

Damals schrieb sie von Erlebnissen mit ihren Geschwistern, von ihren Wünschen und Träumen. Wir erzählten uns von der ersten Liebe und auch von Enttäuschungen, die nun mal zum Leben gehören. Die Freude über neues Leben, das Heranwachsen der Kinder und auch die Tränen über den Verlust geliebter Menschen, alles teilten wir uns mit. Es sind Stationen des Lebens.

Ich hütete diese Briefe wie meinen Augapfel und je älter ich wurde, umso wertvoller wurden diese Zeilen. Und heute, was schreibt sie mir heute? Sie schreibt über ihre Familie, die sich zwar stark vergrößert hat, aber sie doch seit dem Tod ihres Mannes nun alleine lebt. Über ihre fünf Enkel und sieben Urenkel gibt es auch stets Neues zu berichten und über die Sorgen, wie alles weitergehen wird.

Erzählungen aus dem Leben und von den Lieben

Sie schreibt übers Älterwerden und wo manchmal der Schuh drückt. Trotz allem schaut sie humorvoll auf ihr Leben und sie vergisst nie, einen passenden Witz anzuhängen. Ihre Briefe sind eine schöne Mischung aus Gefühlsmitteilungen.

Beim Lesen ihrer Zeilen ist es mir, als hätte ich die ganze Frau vor mir. Ich antworte ihr zeitnah und erzähle ihr von meinem Leben, von meinen Lieben, Kurioses, Seltsames und manchmal auch Einmaliges. Alles, was das Leben so zu bieten hat.

So gehen Briefe hin und her. Warum sollten wir darauf verzichten, nur weil es schnellere Formen der Kommunikation gibt? Warum sollten wir uns nicht bewusst fürs Langsame entscheiden? Briefe bleiben. In ihnen ist die Stimmung aller Jahre wiedergegeben. Das macht es ja so wertvoll, in alten Briefen zu lesen.

Ja, da waren die Kinder noch klein, Gott sei Dank, die schwere Krankheit wurde überwunden, ja und dort bin ich auch gewesen, das hätte ich fast vergessen. So geht es beim Lesen alter Briefe!

Beim Lesen alter Briefe werden Erinnerungen wach

Ich weiß nicht, worin die nächsten Generationen stöbern werden? Wahrscheinlich in Dateien? Mir gefällt es, in alten Briefen zu stöbern, und wenn dann auch noch eine gepresste Blume herausfällt, oder ein vierblättriges Kleeblatt, dann glaube ich fest daran, dass heute ein Glückstag ist.

Oft genügt auch eine Postkarte, die sagt: "Ich denke an dich." Sie sind wie Sternschnuppen im Getriebe des Alltags, die sanft auf das Gemüt fallen und gerade dann Freude schenken, wenn wir sie am meisten brauchen.

Wie wärs, haben Sie Lust bekommen, wieder mal zur Feder zu greifen? Es muss nicht gleich ein Brief sein. Vielleicht eine nette Karte oder einfach ein Zettelchen mit einem lieben Gruß zum Aufbewahren.

Maria Blümm

Maria Blümm wurde 1950 in Bad Neustadt geboren. Bereits ihre Mutter, Großeltern und Urgroßeltern mütterlicherseits waren Neustädter. Von Beruf war sie Friseurmeisterin. Über 50 Jahre war sie in diesem Beruf tätig. Ihre Hobbys sind Geschichten schreiben, Lesen und interessante Lebensbiografien hören. Zum Beispiel im Erzählcafé im Caritashaus in Bad Neustadt, das sie seit über 20 Jahren aktiv unterstützt. Seit ebenfalls über 20 Jahren ist sie Vorsitzende des Frauenbundes Bad Neustadt. Außerdem leitet sie eine Seniorengruppe der Pfarrei Maria Himmelfahrt, den Montagstreff. Sie selbst sagt: "Alles, was mit Begegnung zu tun hat, macht mir Freude. Ich möchte mit meinen Geschichten ein Lächeln auf das Gesicht zaubern und die Leserinnen und Leser für kurze Zeit in das Land der Erinnerung führen."
Quelle: sbr
 
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