Seine Nachbarn sucht man sich nicht aus. Es gehört Feingefühl dazu, um zu erkennen, wie die Menschen von nebenan ticken. Nachbarn müssen und können nicht immer beste Freunde sein. Es lohnt sich aber, Kontakt aufzubauen, ins Gespräch zu kommen und auch Gemeinsamkeiten zu entdecken. Das findet Maria Blümm aus Bad Neustadt. Eine gute Nachbarschaft könne in allen Lebenslagen eine große Hilfe und eine Bereicherung sein. Sie erinnert sich an die Nachbarn ihrer Kindheit in der Spörleinstraße. Nachfolgend ihre Erzählung dazu:
Unsere Wohnung befand sich in einem Mehrfamilienhaus im Herzen unserer Stadt. Eine richtig gute Lage und ein Ausblick, von dem ich heute noch träume. Wir wohnten im dritten Stock und konnten bis zum Marktplatz sehen. Auf der anderen Seite bot sich ein malerischer Blick zur Salzburg, nach Mühlbach, Salz und ins Saaletal. Ganz gleich, aus welchem Fenster man schaute, es lohnte sich auf jeden Fall.
Ein Leben ohne Fernseher
Irgendetwas tat sich dort unten immer, zumal es ja eine sehr belebte Geschäftsstraße war. Einen Fernseher hatten wir zu dieser Zeit noch nicht. So stand man meist am Abend mit einem Kissen, auf dem man die Ellbogen aufstützte, am Fenster und verfolgte interessiert das Geschehen auf der Straße. Die Nachbarn auf der anderen Seite taten das übrigens auch. Fast nichts blieb verborgen und manchmal konnte man sich lustige Geschichten zusammenreimen.
So manches drohende Gewitter am sonst so friedlichen Ehehimmel sah man heraufziehen, wenn der Mann vom feucht-fröhlichen Stammtisch nach Hause wankte und seine sonst so gutmütige Frau wütend am Fenster stand und mit den Händen fuchtelte.
Auch uns Kindern musste eine gute Ausrede einfallen, wenn wir zu spät nach Hause kamen. Ich sah schon von weitem meine Mutter am Fenster und als sie verschwunden war, da wusste ich genau – sie erwartet mich an der Haustüre. Aber nicht etwa zur Begrüßung. Nein, das bedeutete nichts Gutes!
Ein Klavierkonzert am Abend
Ein jeder hatte seine Geschichte, die er vor dem anderen verbarg. Und doch gab es Dinge, die uns miteinander verbanden. Unter uns wohnte ein Lehrer mit seiner Frau. Sie waren ältere Herrschaften und sehr bemüht, im Haus für Ordnung zu sorgen. Wenn es eine Beschwerde gab, dann war es die, dass wir Kinder zu laut im Treppenhaus die Stiegen hinunter hüpfen. Und das taten wir natürlich unwahrscheinlich gerne.
Überhaupt, musste ich mich in der Mittagszeit in der Wohnung ruhig verhalten. Man hörte unter uns jeden Tritt. Dafür wurde ich jeden Abend mit einem kleinen Nachtkonzert in den Schlaf gespielt. Der Lehrer spielte leidenschaftlich gerne Klavier. Manchmal nervte es, aber um des lieben Friedens willen ertrug man es. Sie waren ja nett und die Frau beschenkte uns manchmal mit einer Schokolade oder selbstgebackenen Keksen.
Neben dem Lehrer wohnte ein Steuerberater mit seiner Frau. Er war ein sehr vornehmer Mann und sie eine herzensgute Frau. Wenn sie an der Türe erschien, ging die Sonne auf. Mit ihrer Güte und Herzenswärme heilte sie große und kleine Wunden. Als ich schon längst erwachsen war und unsere Wege sich getrennt hatten, erhielt ich noch Jahre danach Grußbotschaften von ihr.
Der Innenhof war ein Kinderparadies
Ganz unten wohnten die Hausbesitzer. Eine große Familie mit fünf Kindern. Da war immer etwas los! Der Innenhof war oft ein Kinderparadies. Schrei- und Wutanfälle, Streit- und Versöhnungsmomente, die Fenster flogen auf und ein Donnerwetter entlud sich über unseren Köpfen. Und doch waren wir glücklich in diesem Haus.
Wir Kinder standen grundsätzlich unter Generalverdacht. Hatte jemand vergessen, den Schnapper an der Haustüre runter zu drücken, oder Dreck hereingetragen - es waren die Kinder! "Voll ungerecht", würde man heute sagen. Doch man hat sich weiterhin freundlich gegrüßt und kleine Gefälligkeiten ausgetauscht.
Im Nachbarhaus wohnten Wirtsleute. Er war ein sehr ruhiger, besonnener Mann und sie führte das Regiment. Auf dieses Paar passte das Sprichwort: Gegensätze ziehen sich an. Ungleicher konnte ein Paar nicht sein, als diese Beiden. Sowohl optisch als auch vom Wesen her. Aber sie verstanden sich. In der Wirtsstube traf sich Jung und Alt. Es wurde Schafkopf gekartet, der Feierabendschoppen genossen und über die Geschehnisse des Tages diskutiert. Im Nebenzimmer versammelte sich die Jugend um die Musikbox. Und die ersten Tanzschritte wurden geübt. Dazu gab es eine Sinalco oder ab und zu eine Cola. Wer knapp bei Kasse war, durfte auch mal anschreiben lassen.
Drei Sorten Eis: Schokolade, Vanille und Erdbeere
Auf der anderen Seite unserer Straße wohnte ein Angestellter der Stadt mit seiner Gemahlin. Diese beiden legten sehr viel Wert darauf, dass man ja nicht das Grüßen vergaß. Unser Lieblingsgeschäft lag auch auf der anderen Seite. Da gab es alles, was das Herz begehrt. Am schönsten war es, wenn vor der Türe die Eistruhe stand. Meistens gab es drei Sorten: Schokolade, Vanille und Erdbeere. Dazu gab es ein freundliches Lächeln und meistens einen netten Spruch vom Besitzer des Ladens.
Dann gab es noch den Sattlermeister, mein Großonkel, und seine Frau. Bei ihm gab es die schönsten Lederwaren. Dort wurde selbstverständlich meine Büchertasche gekauft. Es wäre undenkbar gewesen, einen Nachbarn in seinem Geschäft nicht zu unterstützen.
Auch gab es einen Blumenladen in der Nachbarschaft und dazu gehörte Rex der Schäferhund. Ein treuer Geselle. Er lag meistens vor der Eingangstüre und begrüßte die Kundschaft. Mein Papa und er waren besonders gute Freunde. Das lag sicher an dem Stück Wurst, das Papa immer für ihn dabei hatte.
Immer grüßen und nicht die Türen zuwerfen
In dieser Straße wuchs ich auf und alle meine Nachbarn gehörten in mein kleines Leben. Nicht immer war der Himmel ungetrübt. Es gab kleine Querelen, die das Nachbarschaftsleben so mit sich bringt. Kindergeschrei am Nachmittag, wenn die älteren Herrschaften Mittagsschlaf halten. Das ging gar nicht. Türen schmeißen, ganz unmöglich. Nicht grüßen? Was ist das für ein Stoffel! Das wurde sofort den Eltern mitgeteilt und das bedeutete Ärger.
Nun muss man sich vorstellen, dass die Gassen für uns Kinder beliebte Spielplätze waren. Da wurde in den Innenhöfen Verstecken gespielt und wir haben die Geduld der Nachbarn schon arg strapaziert. Da wurde einfach mal auf alle Klingeln gedrückt und dann davon gelaufen. Da flog auch mal ein Ball in die gerade frisch aufgehängte Wäsche oder ein Federball ins geöffnete Fenster. Es gab ein Donnerwetter und dann war man sich wieder gut.
Sicher war auch unter den Erwachsenen nicht immer "eitel Sonnenschein", doch die Mannsbilder klärten das am Stammtisch bei einer Halben und einem Schnaps. Und die Frauen? Die brauchten meist etwas länger. Sie gingen sich vorerst aus dem Weg. Beim Frisör kam man dann doch meistens ins Gespräch und begrub die kleinen Missverständnisse.