Die Advents- und Weihnachtszeit ist die Zeit, in der die Familien wieder enger zusammenrücken. Besuche in froher Runde, ein gemeinsamer Bummel über den Weihnachtsmarkt, gemütliche Spieleabende - all das lässt das Familienleben aufblühen. Doch ist wissenschaftlich erwiesen, dass gerade diese Zeit auch großes Potenzial für Spannungen und Streitigkeiten in sich birgt. Alles soll perfekt sein, zu große Erwartungen und Hoffnungen werden geknüpft und deshalb sind auch Enttäuschungen nicht selten. Weihnachten, dem Fest der Liebe und Familie, begegnen viele Menschen mit sehr gemischten Gefühlen. Es schwingen Kindheitserinnerungen mit, die schön sein können, aber auch Erlebnisse, die traurig stimmen. Jeder hat da so seine eigenen Erfahrungen. Das beobachtet Maria Blümm aus Bad Neustadt. Sie erinnert sich an die Advents- und Weihnachtszeit ihrer Kindheit. Nachfolgend ihre Erzählung dazu:
Ich erinnere mich noch sehr gut an jene Adventstage, als aus heiterem Himmel eines Tages Tante Hildchen mit Sack und Pack vor unserer Haustür stand und erklärte, dass sie für eine Weile bei uns bleiben würde. Tante Hilde war die jüngste Schwester meines Vaters und wohnte im Bayerwald bei Oma und Opa. Sie war von Beruf Damenschneiderin und wie man heute sagen würde, eine "taffe Frau". Immer schick gekleidet und sehr gepflegt. Sie war Single und hatte ihre ganz eigene Art zu leben.
Wie sich im Gespräch herausstellte, hatte sie wohl eine Auseinandersetzung mit Oma und Opa und sie beschloss kurzerhand, bei uns aufzuschlagen. Ich war sowas von begeistert! Das war doch mal etwas ganz anderes. Weihnachten mit Tante Hilde, das hatten wir noch nicht. Meine Eltern waren eher zurückhaltend. Ihre Begeisterung hielt sich in Grenzen. Mama ging durch den Kopf, wie sie das alles schaffen sollte. Papa schaute auch bedenklich drein, musste er doch auf seine abendliche Gemütlichkeit verzichten. Schließlich war ein Gast da, wenn es auch seine Schwester war.
Viel Arbeit und wenig Zeit
Allen Bedenken zum Trotz, man wollte gastfreundlich sein und hieß Hildchen willkommen. Gerne stellte ich ihr mein Bett zur Verfügung und ich kuschelte mich zu Mama ins Bett. Wir rückten einfach zusammen. Papa bemerkte nur ganz nebenbei, dass der Zeitpunkt ihres Besuches ungünstig sei, da es in unserem Geschäft sehr viel Arbeit gebe und für sie wenig Zeit bliebe.
Das beeindruckte seine Schwester wenig: "Ich komme schon zurecht. Ich brauche nur eure Nähmaschine und ihr werdet mich nicht wahrnehmen", sagte sie. Also schleppte meine Mutter die Nähmaschine in die Küche. Das war der einzige Ort, der geheizt war. So ratterte die gute "Singer" den ganzen Tag.
Hildchen war voll in Vorweihnachtsstimmung. Mama sah ich nur noch mit roten Wangen kochen, putzen, aufräumen. Manchmal verschwand sie ins Wohnzimmer. Sie müsse nach dem Christkind schauen, sagte sie. Ich glaube, es war nicht nur das Christkind, sie brauchte ein wenig Ruhe. Dann kam sie mit einem Lächeln wieder in die Küche zu uns zurück. Geschickt überspielte sie die Kleinigkeiten, die sie zur Weißglut brachten.
Lebkuchen und Plätzchen
Besonders schön waren die adventlichen Abende. Wir saßen im Kerzenschein am Küchentisch. Der Küchenherd spendete wohlige Wärme und Hildchen erzählte Geschichten von daheim, als mein Vater noch in seinem Elternhaus lebte. Da lernte ich ihn von einer ganz anderen Seite kennen. Als es Zeit zum Schlafen war, nahm ein jeder seine Wärmflasche und sagte gute Nacht.
So vergingen die Tage im Advent. Tante Hilde war überall zugegen. Auch die Weihnachtsbäckerei bekam in diesem Jahr größere Bedeutung. Zum ersten Mal wurden Lebkuchen gebacken und herrlicher Weihnachtsduft zog durch das Haus. In den Jahren zuvor hatte Mama das meistens am Abend oder an den Sonntagen erledigt. Aber dieses Jahr bestand Hildchen darauf, die guten Platzerln mit mir zu backen.
Doch entging meiner kindlichen Seele nicht, dass die Luft spannungsgeladen war. Kurz vor Heiligabend, ich lag schon im Bett, hörte ich laute Stimmen. Verstanden habe ich wenig. Papa und Hildchen sprachen in ihrem niederbayrischen Dialekt. Aber ich spürte, dass da etwas in der Luft liegt, was nichts Gutes bedeutete. Leise schlich ich aus dem Bett und lauschte an der Küchentüre. Es ging darum, dass Papa es nicht gut fand, dass Hildchen die Großeltern über die Weihnachtstage alleine ließ. "Ohje, da wird Tante Hilde morgen sicher abreisen und der Traum einer gemeinsamen Weihnacht ist geplatzt", ging mir durch den Kopf.
Ein Gewitter reinigt die Luft
Aber es kam ganz anders. Am nächsten Morgen waren alle sehr zurückhaltend. Ein jeder bemühte sich, nett zu sein. Wie man so schön sagt: "Ein Gewitter reinigt die Luft." Die Tage verliefen gut geplant, die Arbeiten wurden verteilt und Mama war entspannter. Die "dicke Luft" hatte sich verzogen.
An einem Abend bei Kerzenschein beschlossen wir, die Großeltern aus dem Bayerwald zum Weihnachtsfest einzuladen. Papa schrieb einen Brief an seine Eltern, ich malte ein schönes Bild und die Antwort kam postwendend.: "Ja, wir kommen an Heiligabend um 16 Uhr mit dem Zug."
Jetzt hieß es, alles vorzubereiten. Die Familie rückte zusammen. Am Nachmittag des Heiligen Abends machte ich mich mit Tante Hilde auf den Weg durch die menschenleere Stadt zum Bahnhof. Meine Großeltern, die ich so selten gesehen habe, waren da. Tränen liefen über unsere Wangen. Es brauchte keine Worte. Ein großes Gefühl der Liebe und Verbundenheit erfüllte einen jeden von uns.
Weihnachtsduft und Weihnachtszauber
Zu Hause in der warmen Stube empfing uns Weihnachtsduft und Weihnachtszauber. Die Türe zum Wohnzimmer öffnete sich, der Baum erstrahlte in wundersamer Weise und Hildchen spielte auf Papas Zither Weihnachtslieder so wunderschön, dass seine Augen sich mit Tränen füllten. Ein Stückchen alte Heimat hatte ihm das Christkind geschenkt, seine Eltern, seine Schwester und viele Geschichten aus der Kindheit waren in dieser Nacht bei ihm eingekehrt. Die Familie war zusammengekommen. Es war ein wunderschönes Weihnachtsfest, das mir bis heute sagt: "An der Krippe ist jeder, so wie er ist, willkommen." Das ist Weihnachten.