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Bad Neustadt/Obereßfeld
Rhön-Klinikum Campus: Wie eine Physiotherapeutin mit der Diagnose Hirntumor umging
"Seitenwechsel": von der Therapeutin zur Patientin.  Die Rhön-Klinikum-Mitarbeiterin Sylvia Ortlauf hatte einen Hirntumor. Warum sie mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit geht.
Sylvia Ortlauf aus Obereßfeld erhielt im vergangenen Jahr die Diagnose Hirntumor und geht mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit.
Foto: Christian Hüther | Sylvia Ortlauf aus Obereßfeld erhielt im vergangenen Jahr die Diagnose Hirntumor und geht mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit.
Christian Hüther
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:57 Uhr

Es war der 16. Juni 2021 – ein Tag, an den sich Sylvia Ortlauf noch ganz genau erinnern kann. Ein Tag, der das Leben der heute 52-Jährigen aus Obereßfeld urplötzlich auf den Kopf stellen sollte. Ohne Vorwarnung, mit voller Wucht. 

Die Physiotherapeutin, die seit fast 30 Jahren in der neurologischen Klinik am Rhön-Klinikum Campus arbeitet, ist an jenem 16. Juni bei ihrem HNO-Arzt. Vor einigen Jahren hatte sie einen Hörsturz, daraus entwickelte sich eine Schwerhörigkeit. Der MRT-Termin zur Untersuchung der Hörnerven war ein "reiner Routinetermin", erzählt sie. Der Zufallsbefund war niederschmetternd: ein Hirntumor

Hirntumor lag in einem sehr ungünstigen Bereich

Ein für Sylvia Ortlauf "schrecklicher Befund" – und das in mehrerlei Hinsicht. Denn der Hirntumor befand sich im Frontalhirn-/ bzw. Stirnbereich, einem sehr ungünstigen Bereich. "Ich habe mich direkt nach der Diagnose daher nicht gefragt, warum habe ich jetzt einen Hirntumor. Den kann jeder bekommen, sondern vielmehr: Warum ausgerechnet in diesem Bereich?", so die 52-Jährige, die aufgrund ihrer Arbeit in der Frührehabilitation schon etliche Patienten mit Tumoren behandelt hat. 

Sylvia Ortlauf nach ihrer Tumor-Operation. Ein Verband erinnert an den großen Eingriff.
Foto: Fotorechte: Sylvia Ortlauf | Sylvia Ortlauf nach ihrer Tumor-Operation. Ein Verband erinnert an den großen Eingriff.

Daher weiß sie auch, welche gravierenden Folgen der Tumor, der bei ihr bereits durch die Schädeldecke hindurchgewachsen war, haben kann. In jenem Bereich des Gehirns befindet sich die "Persönlichkeit" eines Menschen, seine Fähigkeit, klar und strukturiert zu denken. Außerdem ist dort die Fähigkeit zur räumlichen und personenbezogenen Orientierung gespeichert.

Größte Sorge vor Verlust der eigenen Persönlichkeit

Diese Persönlichkeit zu verlieren, das war Sylvia Ortlaufs größte Angst. "Nicht, die Angst, bei der Operation zu versterben, worüber man sich natürlich auch Gedanken gemacht. Sondern nach dem Eingriff aufzuwachen und nicht mehr zu wissen, wer man ist und was passiert ist." Gedanken machte sie sich mehr um ihre Familie als um sich selbst. "Daher war es – so komisch es klingt – eine gewisse Erleichterung, dass meine Kinder schon älter sind und auf eigenen Beinen stehen", sagt sie. Eine Ausnahme bildete ihre 15-jährige Tochter, die sie offen und ehrlich über die möglichen Folgen aufklärte und deren Ängste sie hautnah miterlebte. 

Nur wenige Tage nach der Diagnose war Sylvia Ortlauf nach einem Gespräch mit einem Neurochirurgen auf dem Campus klar: "Das Ding im Kopf muss so schnell wie möglich raus." In einer ersten OP sollte der eigentliche Tumor entfernt werden, sechs Wochen danach war eine Schädeldachplastik nötig. Begriffe, die die Physiotherapeutin nur zu gut kannte, die sie aber dennoch erschreckten. Schließlich kam es so endgültig zum "Seitenwechsel": von der Campus-Mitarbeiterin zur Patientin.

Ist es ein Vorteil, medizinisches Wissen zu haben?

Ist es ein Vorteil, im Gegensatz zu vielen anderen Patienten über ein gewisses medizinisches Wissen zu verfügen? "Jein", kommt als Antwort. "Es ist gut, sich auszukennen. Aber gleichzeitig auch schwierig, weil ich wusste, was auf mich zukommt und welche Konsequenzen es haben kann." So hatte Sylvia Ortlauf zwar Vertrauen in die Ärzte, sorgte aber im Vorgespräch mit einer Frage dafür, dass ihr Neurochirurg recht verdutzt dreinschaute.

"Ich habe ihn gefragt, wie sehr er seinen Beruf mag. Für mich ist sehr wichtig, dass man seinen Beruf nicht nur als Job sieht, sondern auch dahintersteht", begründet Ortlauf ihre spezielle Frage. Die Antwort des Mediziners beruhigte sie, die Operation konnte schließlich am 8. Juli über die Bühne gehen.

Riesenjubel am Rhön-Klinikum Campus nach geglückter OP

Und das erfolgreich. Um 7.45 Uhr fiel sie in einen tiefen Schlaf, vier Stunden später erwachte Sylvia Ortlauf auf der Intensivstation wieder – und konnte klar denken. "Das war das größte Glücksgefühl überhaupt für mich", so die Obereßfelderin, die zunächst ihren Mann über den positiven Operationsausgang berichtete und danach ihre Chefin anrief. "Ich habe später erfahren, dass danach bei meinen Kollegen großer Jubel ausgebrochen ist", so Ortlauf, für die klar war: "Es ist toll zu sehen, dass solche Operationen auch glücken können und es nicht nur Leid gibt."

Zurück zu 'alter Stärke' in der Reha. 
Foto: Fotorechte: Sylvia Ortlauf | Zurück zu "alter Stärke" in der Reha. 

Mit ihrer lebensbejahenden Einstellung und einem tiefen Glauben an Gott verarbeitete Sylvia Ortlauf nach eigenen Angaben auch einen Rückschlag besser, der sich einige Wochen nach der Operation ereignete. Ein Erguss hatte sich gebildet, der sich nach außen wölbte und so für eine große, sichtbare Beule sorgte. Ihre pragmatische Reaktion darauf? Kein Hadern, warum sie jetzt vor der geplanten zweiten Operation auch noch diesen Erguss erleidet hat. "Es ist nicht schön, aber wenn ich ohnehin schon in der Narkose bin, dann machen sie das jetzt eben auch noch."

Wertvoller Erfahrungen für die tägliche Arbeit

Auch dieser Eingriff glückte. Abgesehen von vereinzelten Schwindel-Anfällen, die sie vorher überhaupt nicht kannte, und einer prozentual geringen Gefahr, dass der Tumor zurückkehrt, arbeitet Sylvia Ortlauf seit einigen Monaten wieder an ihrem alten Arbeitsplatz. Und das mit Erfahrungen, die sie in ihrem täglichen Dienst am Patienten weitergebracht haben. "Ich weiß jetzt, dass es eine Leistung ist, wenn man es schafft, sich auf ein Bein zu stellen, das andere anzuheben und dabei den gegenüberliegenden Arm hochzuheben", schildert sie eine für den Außenstehenden einfach wirkende Übung. 

Warum Sylvia Ortlauf mit ihrer Geschichte, die unter anderem im Mitarbeitermagazin des Rhön-Klinikums veröffentlicht wurde, an die Öffentlichkeit ging? Die 52-Jährige nennt mehrere Gründe: An erster Stelle wollte sie mit ihren Erlebnissen den Beteiligten am Rhön-Klinikum Campus einen tiefen Dank aussprechen. "Es ist ein Geschenk, dass ich lebe und dass es mir gut geht", sagt die Physiotherapeutin, die fortan noch bewusster leben möchte. 

Der Leitspruch von Sylvia Ortlauf, mit dem sie auch ihre persönliche Geschichte zusammenfasst.
Foto: Fotorechte: Sylvia Ortlauf | Der Leitspruch von Sylvia Ortlauf, mit dem sie auch ihre persönliche Geschichte zusammenfasst.

Zum Nachdenken animieren und Hoffnung schenken

Sie will mit ihrer Geschichte aber auch Menschen, gerade im medizinischen Sektor, zum Nachdenken animieren, was sie tun würden, wenn sie plötzlich zum "Seitenwechsel" gezwungen werden."Es kann jeden treffen. Keiner ist geschützt. Und vielleicht helfen meine Erfahrungen anderen, die ebenfalls mit einer schweren Krankheit konfrontiert sind, dass es auch bei ihnen gut ausgeht."

 
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