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Bad Neustadt
Rhön-Klinikum: Wie eine außergewöhnliche Hirntumor-OP unter Hypnose ablief
An der Bad Neustädter Klinik erlebte ein Tumor-Patient erstmals seine Operation  bei vollem Bewusstsein. Wie vielfältig Hypnose eingesetzt werden kann und ob TV-Show-Einlagen echt sind.
Dr. Albrecht Waschke (links) und Dr. Rupert Reichart (rechts vorne) beim Eingriff  der Tumor-Operation unter hypnotischer Begleitung am Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt.
Foto: Katrin Maria Schmitt | Dr. Albrecht Waschke (links) und Dr. Rupert Reichart (rechts vorne) beim Eingriff  der Tumor-Operation unter hypnotischer Begleitung am Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt.
Christian Hüther
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:58 Uhr

Gefühlt nur ein Schnips mit der Hand und die Person fällt in Trance. Immer mal wieder tauchten in letzter Zeit solche Hypnose-Einlagen unter anderem in Unterhaltungssendungen im Fernsehen auf. Wenn sich Dr. Rupert Reichart so etwas ansieht, weiß er genau, mit welchen Tricks die Künstler auf der Bühne arbeiten. "Die kenne ich und wende ich zum Teil genauso an, aber eben nicht zur Belustigung", sagt der Oberarzt und Leitender Arzt für Schmerztherapie am Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt.

Er nutzt das Mittel Hypnose zu medizinischen Zwecken und führte zuletzt gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Albrecht Waschke, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie, in der Klinik eine deutschlandweit außergewöhnliche Operation durch: die Entfernung eines Hirntumors ohne Einsatz von Narkose, dafür erstmals unter hypnotischer Begleitung (wir berichteten). Diese Operation sei etwas ganz Besonderes gewesen, sagen die beiden erfahrenen Ärzte nicht ohne eine Portion Stolz.

Hypnose-Anfänge mit Magneten

Auf den ersten Blick scheint es etwas ungewöhnlich, dass "erst" jetzt ein solcher Eingriff am Campus stattfand. Denn das Thema Hypnose ist an sich nicht neu. Im Gegenteil. "Hypnose gibt es wohl, seit es Menschen gibt", so Rupert Reichart. Wissenschaftlich beschäftigte sich im 18. Jahrhundert der Arzt Franz Anton Mesmer mit diesem Phänomen, als er mit Magneten experimentierte, die er Patienten auflegte. Auch Sigmund Freud widmete sich dem Thema, verließ es aber dann, weswegen Hypnose wieder etwas in Vergessenheit geriet.

Erst Mitte der 1950er Jahre kam sie in den USA wieder auf. Dort seien dann vor allem im Sinne der medizinischen Hypnose wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen worden, die zeigten, dass mit einem solchen Einsatz etwas Gutes bewirkt werden kann. 

Genau darum geht es auch Rupert Reichart und Albrecht Waschke. "Wir machen Hypnose nur, um dem Patienten etwas Gutes zu tun. Das ist die Grundvoraussetzung", sagen die beiden unisono. Bei der Entfernung eines Hirntumors vor allem deshalb, damit ein Logopädie-Experte während der diffizilen Operation ständig testen kann, ob das im Gehirn befindliche Sprachzentrum und die -fähigkeit keinen Schaden nehmen. Reichart tue es deshalb auch ein wenig leid, dass die "Show-Hypnotiseure", die keine Scharlatane seien, ihr Können und Wissen nicht zum Guten einsetzen würden. 

Wann entscheidet man sich für das Mittel der Hypnose?

Im konkreten Fall dieser ersten "Hypnose-Operation" ihrer Art am Campus hat es laut den Ärzten entsprechende medizinische Abwägungen gebraucht, um zu entscheiden, ob sie mit diesem Mittel durchgeführt werden kann. Ist dieser Patient gut geeignet? Wird er von einer solchen Prozedur profitieren? Kann er sich das selbst überhaupt vorstellen und Vertrauen zu den Ärzten aufbauen? Alles Fragen, die es vor dem letztendlichen Gang in den OP zu beantworten galt.

"Wir haben vorher auch zweimal gemeinsam geübt, ob er überhaupt Trance-fähig ist", ergänzte Rupert Reichart. Denn im Gegensatz zu einer Wach-OP ist in diesem Fall der Patient vom Beginn bis zum Ausfahren aus dem Saal wach. "Das ist kein Standard, absolut nicht", so Albrecht Waschke über die Operation, die in Richtung High-End gehe.

Führten durch die erste OP am Rhön-Klinikum Campus unter Hyponose: Dr. Albrecht Waschke (links) und Dr. Rupert Reichart.
Foto: Christian Hüther | Führten durch die erste OP am Rhön-Klinikum Campus unter Hyponose: Dr. Albrecht Waschke (links) und Dr. Rupert Reichart.

Ein "beklemmendes" Gefühl im Operationssaal

Wie muss man sich dann aber den tatsächlichen Ablauf dieser besonderen Operation vorstellen, bei der bei einem 54-jährigen Mann ein Hirntumor letztlich erfolgreich entfernt werden konnte? Nach einer örtlichen Betäubung für die Haut und den bekannten Zugängen, wie beispielsweise ein Blasenkatheter, sei laut Reichart der kritische Punkt, wenn der Patient in eine Klemme eingespannt wird, in der er sich keinen Millimeter bewegen kann und darf. "Beklemmend" im wahrsten Sinne des Wortes, wie auch Katrin Maria Schmitt befand, die als Presseverantwortliche beim Eingriff mit dabei war.

Dieser Vorgang ist eine Grundvoraussetzung, damit Trance und Hypnose funktionieren können, um entsprechend operieren zu können. Die vielen beteiligten Personen im Operationssaal und die entsprechenden Geräusche der Maschinen würden - anders als vom Laien vielleicht gedacht - die hypnotische Wirkung sogar noch verstärken, erklärte Rupert Reichart. Der Kontakt zum Patienten sei so noch enger und intensiver. 

Wenn im OP die Schneefräse entlang fährt

Um dafür zu sorgen, dass der wache Patient im Verlauf des gesamten Eingriffs keine Angst verspürt, muss der Hypnotiseur Kreativität beweisen und sich im Vorfeld mit der Geschichte des Patienten auseinandersetzen. "Im konkreten Fall hat der Mann im Bauhof gearbeitet. Wir sind deshalb während der Operation gedanklich den Weg mit seinem Schneepflug nachgefahren", schilderte Rupert Reichart. Während der Schädel des Mannes geöffnet wurde, fuhr er beispielsweise mit seiner Schneefräse über einen Stein, um die teilweise nicht leisen Operationsgeräusche quasi nachzustellen. 

So gelang es, dass der 54-Jährige zu großen Teilen gar nicht bemerkte, was um ihn herum geschah, als der Tumor in einer rund vier Stunden langen, "komplexen Angelegenheit" (Waschke) erfolgreich entfernt wurde.

Dass sich Rupert Reichart nach einer erworbenen Zusatzqualifikation mittlerweile auf dem Feld der Hypnose so gut bewegen kann, war für ihn selbst anfangs nicht klar. Nach vielen Jahren betriebener Schmerzmedizin entschied er sich zur Teilnahme an einem Hypnoseseminar. Als zu Beginn eine Gruppenhypnose anstand, war der Arzt mehr als skeptisch. "Die spinnen doch, was soll der Quatsch", dachte er sich. Als er dann aber sofort tief in Trance fiel, war er überzeugt.

Der Experte warnt jedoch auch, denn: "Hypnosetherapeut ist kein geschützter Begriff." Im Prinzip sei dies nämlich eine gute Methode, um schlicht und einfach Geld zu verdienen. Wer Hypnose betreibt, brauche auch immer den nötigen psychotherapeutischen Hintergrund, "um das wieder einzufangen, was man mit der Hypnose öffnet."

Hoffen auf eine Initialzündung

Mit diesem Eingriff hoffen Albrecht Waschke und Rupert Reichart, dass die Fachabteilung der Neurochirurgie, die erst seit 2020 am Campus besteht, in der Bevölkerung und auch bei den niedergelassenen Ärzten noch bekannter wird, als bislang. Denn das Mittel der Hypnose sei, so Rupert Reichart, für viele Bereiche denkbar, beispielsweise bei der Wehenunterdrückung oder dem Schwangerschaftserbrechen sowie in der Behandlung von stark übergewichtigen Menschen.

 

 
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