Ende 2018 wurde der Rhön-Klinikum Campus in Bad Neustadt feierlich eröffnet und ist der medizinische Anlaufpunkt für den Landkreis. Dass der Klinikkomplex mit der Einrichtung der Klinik für Neurochirurgie seit Beginn diesen Jahres Zuwachs bekommen hat, ist für den einen oder anderen vielleicht noch neu. Als letztes Puzzleteil, das dem Campus bislang noch gefehlt hätte, bezeichnete Geschäftsführer Jochen Bocklet damals die Neurochirurgie. Schließlich musste der Patient zuvor für Operationen in diesem Bereich vom Campus an andere Kliniken verwiesen werden.
"Mit den ersten Monaten sind wir wirklich sehr zufrieden und das trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie", zieht Dr. Albrecht Waschke, Chefarzt der Klinik für Neurochirurgie, im Gespräch mit dieser Redaktion ein positives erstes Fazit. Viele Dinge seien bereits besser gelaufen als erhofft, an anderen müsste man noch arbeiten. "Aber ins gemachte Nest setzen kann sich ja jeder", erklärt der Mediziner, der zuvor an der Klinik für Neurochirurgie am Universitätsklinikum Jena tätig war.
Neurochirurgie sehr vielfältig
Was das Feld der Neurochirurgie alles umfasst, ist aufgrund der Vielfältigkeit gar nicht so einfach zu erklären, wie Waschke zugibt. Grundsätzlich werden unter seiner Leitung am Campus alle Krankheiten operativ behandelt, die das zentrale periphere Nervensystem, das Rückenmark und die Wirbelsäule betreffen. Also beispielsweise der "normale" Bandscheibenvorfall, aber auch Hirntumore oder Hirngefäßerkrankungen. Ebenfalls angeboten werden Schmerztherapien für lange, chronische Schmerzerkrankungen.
Momentan suchen viele Patienten den Campus Bad Neustadt wegen Problemen an der Wirbelsäule auf, was durchschnittlich - wie auch an anderen, größeren vergleichbaren Kliniken - rund zwei Drittel des gesamten Jahresaufkommens ausmacht. Das andere Drittel umfasse die Behandlung von Erkrankungen des Gehirnes, sie standen vor kurzem im Rahmen des Welthirntumortages auch bei einer Telefonaktion im Fokus.
Welthirntumortag: Fragen aus Köln und Freiburg
Jährlich erkranken in Deutschland mehr als 8000 Menschen an einem primären Hirntumor, die Zahl der Patienten mit Hirnmetastasen infolge anderer Krebsleiden ist jedoch ungleich höher. Die Fragen, die Waschke und seine Kollegen bei der Aktion gestellt wurden, waren sehr unterschiedlicher Natur und kamen teilweise sogar von Interessierten aus Köln oder Freiburg. "Wie vermutet, haben sich unter anderem Tumor-Patienten in einer ziemlich schwierigen Situation gemeldet, bei denen die Standardtherapie bereits ausgereizt ist. Oder es handelte sich um seltene Dinge, weswegen Menschen nach einer zweiten Meinung gefragt haben", berichtet der Chefarzt.
Was Dr. Albrecht Waschke diesen und anderen Patienten auch erklären kann, ist der Fortschritt in der Operationstechnik, der in den vergangenen Jahren erreicht wurde. Die Zeiten von größeren Zugängen mit dazugehörigen größeren Schnitten am Kopf seien vorbei, stattdessen reichten mittlerweile kleine, schlüssellochförmige Öffnungen aus, um mit den Instrumenten, die lediglich über einen Durchmesser von sechs Millimetern verfügten, Operationen durchzuführen. "So kann man zwar nicht alle, aber sehr viele Dinge im Hirn operieren", erklärt Albrecht Waschke.
Erholungszeit nach der OP ist meist kürzer
Die Patienten bräuchten dank der neuen Technik meist deutlich weniger Zeit, um sich von einer OP zu erholen, könnten teilweise bereits nach vier Tagen wieder nach Hause entlassen werden und hätten ein geringeres Infektionsrisiko. Für den Spezialisten ist neben dem gestiegenen Komfort auch das kosmetische Ergebnis in diesem Zusammenhang sehr relevant. "Wir müssen keine Haare mehr rasieren und die Belastung für den Patienten ist geringer, wenn er vorab weiß, dass kein großer Schnitt am Gehirn nötig ist", nennt Waschke weitere Vorteile.
Eine mittlerweile mögliche virtuelle Operationsplanung mit 4K-Auflösung - vergleichbar mit UHD bei Fernsehern - erlaube es zudem, viele OP-Schritte bereits vorab zu planen und durchzuspielen. Man wisse so laut Waschke bereits im Vorfeld, wo man im Hirn was sehen werde. Dank der "Mapping"-Technik könnten zudem vor einem Eingriff Bereiche des Hirns, vergleichbar mit einer Landkarte, genau lokalisiert werden, also beispielsweise, wo sich das sensible Sprach- oder Motorikfeld befindet.
Auch Patienten, die sich wegen eines Bandscheibenvorfalls operieren lassen müssen, profitieren vom Fortschritt der Technik. In den meisten Fällen ist der Eingriff mit dem Endoskop möglich. Narben entstehen so kaum noch.
Übung vergleichbar mit einem Flugsimulator
Für die Zukunft rechnet Waschke gerade für den Bereich der Neurochirurgie - die er als Vorreiter und technisch gesehen als kompliziertestes ausgestattetes Fach unter den chirurgischen Disziplinen sieht - mit weiteren Innovationen, vor allem beim Ausbau der virtuellen Realität. Eine Firma für Krankenhaustechnik erprobe bereits die Möglichkeit, eine komplette OP vorab virtuell durchzuführen. "Flugschüler üben ja auch erst im Simulator, bevor sie sich ans Steuer setzen", vergleicht der Chefarzt. Nicht kurz-, aber zumindest mittelfristig rechnet er auch damit, dass neben dem Menschen auch Roboter für Hirneingriffe eingesetzt werden können.
Solange braucht es aber gerade die sehr ruhigen Hände und viel Übung, weswegen Waschke teilweise am Abend zu Übungszwecken im OP-Saal das Endoskop in die Hand nimmt, einen Sieb damit aufmacht und Gummibänder oder sonstige Gewebe beispielsweise miteinander vernäht. Oder eben auch einmal mit der ungewohnten linken Hand isst.