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Wildflecken
Nach dem Nachweis eines Wolfsrudels in der Rhön: Was Experten nun erwarten und was sie fordern
Seit einigen Tagen gibt es Hinweise auf Wolfsnachwuchs in der Rhön. Drei Fachleute erläutern, wie junge Tiere aufwachsen und was sie besser nicht lernen sollten.
Diese Aufnahme einer Wildkamera vom 22. Juni zeigt die Wölfin auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken. Beim genauen Hinsehen lässt sich das 'Gesäuge' erkennen, das als Nachweis für Wolfsnachwuchs in der Rhön gewertet wird. 
Foto: Quelle: BImA – Bundesforstbetrieb Reußenberg | Diese Aufnahme einer Wildkamera vom 22. Juni zeigt die Wölfin auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken. Beim genauen Hinsehen lässt sich das "Gesäuge" erkennen, das als Nachweis für Wolfsnachwuchs in der Rhön gewertet ...
Thomas Pfeuffer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 15:21 Uhr

Die kurze Videosequenz, die eine Wildkamera am 22. Juni um 6.15 Uhr im zentralen Bereich des Truppenübungsplatzes Wildflecken (Lkr. Bad Kissingen) aufzeichnete, hat weder Egon Schleyer, noch Torsten Kirchner oder Heribert Schöller wirklich überrascht. Bedeutsam ist sie dennoch. Auf den Bildern ist ein weiblicher Wolf, eine Fähe, mit einem "Gesäuge" zu erkennen. Und eine solche Milchleiste, so Schleyer, der als Leiter des Bereichs Naturschutz am Bundesforstbetrieb Reußenberg für den Truppenübungsplatz und somit dort auch für das Thema Wolf zuständig ist, belege eindeutig, dass die Fähe Welpen mit Milch versorgt. Die schieße nämlich erst ein, wenn tatsächlich gesäugt werde. Entsprechend gilt das als erster klarer Nachweis für die Geburt von Welpen und damit für ein Wolfsrudel in der Rhön.

Kameras an wolfsstrategisch günstigen Punkten 

Mit dieser Entwicklung, die das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) wenige Tage später auch offiziell bestätigte, haben die drei Experten gerechnet, seit im Februar bekannt wurde, dass sich auf dem Bundeswehrgelände ein Wolfspaar gebildet hat. Der Fachmann vom Bundesforst, der sich schon seit 22 Jahren mit dem "emotionsgeladenen Thema Wolf" beschäftigt, weiß, dass die Nachricht von einem Wolfsrudel in der Rhön mit viel Interesse verfolgt wird. 

Bundesförster Egon Schleyer bei der Kontrolle einer Wildkamera
Foto: Egon Schleyer (Selbstauslöser) | Bundesförster Egon Schleyer bei der Kontrolle einer Wildkamera

Eine Antwort auf die Frage, wie viele Welpen es sind und ob sie noch leben, gibt es noch nicht. Der Biologe, Forscher und Tierfilmer Heribert Schöller, der jahrelang in der Nähe von Wölfen gelebt und dabei mehrere Filme über ihr Leben gedreht hat, geht aber davon aus, dass es in naher Zeit Bildmaterial aus dem Truppenübungsplatz geben wird, sollten dort Welpen leben.

Schon vor drei Jahren seien an "wolfsstrategisch" günstigen Punkten etwa zehn Wildkameras angebracht worden, erläutert Egon Schleyer dazu. Sobald sie eine Bewegung registrieren, zeichnen sie etwa zehn Sekunden lange Sequenzen auf. Diese Aufnahmen würden bislang einmal in der Woche von den Revierleitern des Bundesforstes ausgewertet. Beobachtungen würden umgehend an die zuständigen Landesämter in Bayern und Hessen weitergeleitet. Weitere Aufklärung über die Existenz und die Zahl der Welpen erhofft man sich, indem die Kameras in Absprache mit dem LfU "verdichtet" und die Aufnahmen öfter ausgewertet werden, so Schleyer.

Wurfhöhle extrem gut versteckt

Wo die Wolfswelpen zur Welt gekommen sind, ist nicht bekannt. In der Regel, so die Experten übereinstimmend, seien die Wurfhöhlen extrem gut versteckt. Zudem wird die Recherche dadurch erschwert, dass in Teilen des Truppenübungsplatzes ein Betretungsverbot für Menschen gilt. Auch dass die Wölfin in der Nacht nach der ersten Aufnahme noch einmal vor eine Kamera im zentralen Bereich des Truppenübungsplatzes lief, sage wenig über die Lage der "Wurfhöhle", so Schleyer. Dafür sei der Radius, in dem sich die Tiere bewegen, zu groß.

Wie Schleyer erwartet aber auch der für das Netzwerk große Beutegreifer in der Rhön aktive Biologe und Gebietsbetreuer für die Lange Rhön, Torsten Kirchner, dass sich die jungen Wölfe bald zeigen werden. Die Welpen würden Mitte April bis Mitte Mai taub und blind geboren und benötigten in den ersten vier Wochen dringend die Mutter in der Nähe, um sich zu wärmen. Die Fähe verlasse die Wurfhöhle in dieser Zeit praktisch nicht. Während sich die Jungen von Muttermilch ernährten, sei sie selbst auf Fleisch angewiesen, das ihr vom Rüden gebracht werde.

Lernen, Weidetiere in Ruhe zu lassen

Nach drei bis vier Wochen beginnen dann die Jungen, die Höhle zu verlassen und die nähere Umgebung zu erkunden. "Das wird dann von Woche zu Woche mehr. Sie sind sehr neugierig", weiß Heribert Schöller. Dann könnten sie von den Kameras erfasst werden. Wölfe seien sehr individuell, ihr Verhalten daher sehr unterschiedlich, so der Fachmann aus der Eifel, der aktuell wegen eines Forschungsvorhabens in der Rhön unterwegs ist. In der Regel aber blieben die Welpen bis August eng zusammen, gingen dann mehr und mehr eigene Wege. 

Für den Biologen und Tierfilmer Heribert Schöller hat die Anwesenheit von Wölfen wichtige Auswirkungen auf die Ökosysteme. 
Foto: Thomas Pfeuffer | Für den Biologen und Tierfilmer Heribert Schöller hat die Anwesenheit von Wölfen wichtige Auswirkungen auf die Ökosysteme. 

Wölfe wachsen und lernen schnell. Im Spätherbst und Winter begleiten sie die älteren Tiere auf der Jagd und beobachten dabei deren Vorgehen. Das ist eine ganz wichtige Phase. Denn nun, da sind sich die Experten einig, müssten die Jungtiere lernen, "Weidetiere besser in Ruhe zu lassen" und sich auf Wildtiere zu beschränken, wie Torsten K irchner es formuliert. Das sei im Truppenübungsplatz nicht sehr schwierig, da sich hier Reh- und Muffelwild in größerer Zahl jagen lässt. Aber die Wölfe streifen viele Kilometer umher und damit über die Grenzen des Bundeswehrgeländes hinaus.

Wolfschutzzäune und Herdenschutzhunde

Hier gelte es des den Umstand zu nutzen, dass Wölfe bequem sind und nach einfacher Beute suchen. Also müsse es ihnen möglichst schwer gemacht werden, an Weidetiere zu kommen. Entsprechend wichtig sei es, dass alle Tierhalter Schutzmaßnahmen ergreifen und die Wölfe keinerlei Schwachstellen finden. Sie dürften keine positiven Erfahrungen mit Weidetieren machen. Heribert Schöller fordert, dass sich alle Halter darauf einstellen und nennt als wirksame Mittel vor allem Wolfschutzzäune und Herdenschutzhunde - auch wenn er weiß, dass es hier immer wieder Diskussionen um die Wirksamkeit gibt.

Wölfe könnten Herdenschutzhunde kilometerweit wahrnehmen und von den Eltern lernen "hier brauchst du es gar nicht erst zu versuchen!" Auch funktionierende Schutzzäune seien sehr effektiv. Im Regelfall versuche ein Wolf, sich darunter hindurchzugraben, so Schöller weiter. Falls dies dank eines kräftigen Stromschlags zu schmerzhaften Erfahrungen führe, halte er sich künftig von Schutzzäunen und den Herden fern.

Gebietsbetreuer Torsten Kirchner ist für das Netzwerk große Beutegreifer in der Rhön aktiv. 
Foto: Thomas Pfeuffer | Gebietsbetreuer Torsten Kirchner ist für das Netzwerk große Beutegreifer in der Rhön aktiv. 

Zumindest auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken scheint das zu funktionieren. Hier sind zwar seit Jahren immer wieder Wölfe aktiv, aber die Herden würden von Schutzhunden bewacht und über die Nacht wolfssicher eingezäunt. Entsprechend ändere sich hier wegen eines Wolfsrudels für die Schäfer nichts, so Schleyer. Zudem hätten die Wölfe keine Auswirkungen auf die militärische Nutzung und stellen auch aus naturschutzfachlicher und jagdlicher Sicht kein Problem dar.

Wölfe wichtig für die Ökosysteme

Lediglich das Verhalten des Wildes hätte sich mit der Anwesenheit der Wölfe geändert, stellt Schleyer fest und bestätigt damit einen Aspekt, der Heribert Schöller sehr wichtig ist. Es werde zwar immer wieder betont, so Fachmann, Wölfe seien durch europäisches Recht geschützt, aber kaum erklärt, warum es diesen strengen Schutz gibt. Wölfe hätten enorme Auswirkungen auf die Ökosysteme und sorgten für das biologische Gleichgewicht. Nicht nur, dass sie schwache und kranke Tiere erbeuten und den Bestand ihrer Beutetiere regulieren, durch ihre Anwesenheit verändern sie auch das Verhalten der Pflanzenfresser, was wiederum zum Beispiel sehr positive Auswirkungen auf die Verjüngung des Waldes haben kann.

 
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  • S. T.
    Ein sehr scahlicher und gut recherchierter Artiel , danke erst mal dafür. Aus anderen Bundesländern kann man sich nun wirklich viel Expertise holen (Lausitz , Göhrde etc ), dort gibt es schon seit langem wieder Rudel und die Erfahrungen sind zaglreich. Auch das "Management" läuft gut und die Weidetierbesitzer sind größtenteils gelassen und kompetent unterwegs mit wolfasabweisendem Grundschutz und gut ausgebildeten Herdenschutzhunden.
    Der Wildverbiss im Wald könnte sich reduzieren, wenn der Wolf da ist und die Jäger müssen nicht mehr stöhnen, dass sie nicht mehr hinterherkommen.....
    Traurige Wahr heit ist ja leider auch, dass die meisten Wölfe hierzulande früher oder später durch Autos ums Leben kommen, das ist quasi der sonst nicht verhandene Feind, der wiederum den Wolfsbestand reguliert....Also , bitte gelassen bleiben und fachgerecht mit allem umgehen.
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  • R. B.
    Ganz so euphorisch wie Sie die Situation in den neuen Bundesländern darstellen ist es leider nicht. Mehrere Tausend Nutztiere wurden seit 2018 gerissen, auch wenn die Besitzer meist entschädigt werden, ist dies fatal, da eine Schafherde in welcher der Wolf gerissen hat, häufig nicht mehr brauchbar ist. Auch die Herdenschutzhunde sind nicht das Allheilmittel, da noch selten Übergriffe auf Spaziergänger oder Radfahrer stattfinden. Wir müssen die Anzahl der Wölfe den vorhandenen Reviermöglichkeiten anpassen, sonst wird die Situation eskalieren. Bund Naturschutz und die Betroffenen (Schafhirte etc.) müssen gemeinsam Konzepte für die Erhaltung des Wolfes in Deutschland erarbeiten.
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  • G. Z.
    der Biber richtet sicherlich wesentlich mehr Schaden an, den keiner ersetzt. Auch die gefällten Bäume werden beim nächsten Hochwasser fehlen. Um den Wolf bracht man sich daher keine Sorgen zu machen. Dass die drei Bauern stöhnen, ächzen und jammern ist normal. Das gehört zum Geschäft. Die einzige die sich wirklich beschweren dürfen sind die Großmutter und das Rotkäppchen. Aber wir haben ja noch den Jäger! Also viel Trara um nichts.
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  • R. B.
    Das Entscheidende wird sein, ob wir die Wolfsrudel zahlenmäßig den Flächenverhältnissen entsprechend regulieren können. Sobald in dieser Region zu viele Wolfsrudel heimisch werden, sind die Probleme vorprogrammiert. Am Ende wird es wieder der Wolf sein, welcher den Kürzeren zieht und dass wäre sehr schade. In den neuen Bundesländern ist die Wolfssituation zum Teil aus dem Ruder gelaufen, weil man nicht in die Anzahl der Wolfsrudel eingreift.
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  • A. H.
    "Wölfe hätten enorme Auswirkungen auf die Ökosysteme und sorgten für das biologische Gleichgewicht. "
    - und sie sorgen erfreulicherweise auch dafür, dass jetzt sicher ein paar schißhäsige Zweibeiner weniger lärmend und ihren Abfall hinterlassend durch die Botanik trampeln oder zumindest auf den Wegen bleiben....
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  • A. H.
    und ich träume - und das darf man ja - von einer Rhön, wie ich sie in den 60- und 70ern noch erleben durfte....
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