Der Austritt der Firma Reich aus dem bayerischen Arbeitgeberverband Mitte April hat Wellen geschlagen. Vor 72 Jahren war das Mellrichstädter Unternehmen Gründungsmitglied des Verbands, heute sehen die Geschäftsführer Nina und André Reich die Bedürfnisse kleinerer Unternehmen bei den Tarifabschlüssen nicht mehr ausreichend berücksichtigt. Die IG Metall hatte in Folge des Austritts am 1. Mai zu einer Protestaktion auf der Streuwiese aufgerufen und die Reich GmbH für ihren Schritt an den Pranger gestellt. Die Geschäftsführer nehmen zu den Vorwürfen der Gewerkschaft Stellung und schildern in einem Gespräch mit dieser Redaktion ihre Beweggründe.
"Wir fühlen uns im Arbeitgeberverband der tarifgebundenen Unternehmen schlichtweg nicht mehr gut aufgehoben", macht André Reich deutlich. Und das nicht erst aufgrund des jüngst erzielten Tarifabschlusses. Die Entscheidung, den Verband zu verlassen, sei nicht spontan gefallen, sondern nach reiflicher Überlegung. "Die Abschlüsse sind zu sehr an die Großindustrie angepasst, wir als mittelständischer Betrieb können dadurch nicht mehr flexibel genug am Markt agieren", so Nina Reich. Zu viele Bestimmungen abseits von Lohnerhöhungen schränken die Wettbewerbsfähigkeit des weltweit agierenden Automobil- und Industriezulieferers ein, wie sie sagt.
Verlässliche Vereinbarung für beide Seiten
Insbesondere verweist sie dabei auf das tarifliche Zusatzgeld (T-Zug), eine jährliche Sonderzahlung, die in der Tarifrunde 2018 erzielt wurde. Schichtbeschäftigte, Eltern und Pflegende können statt Geld aber auch zusätzliche acht Tage im Jahr frei nehmen. Dies bedeutet für die Firma in der Planung einen immensen Mehraufwand, wie Betriebsleiter Christoph Renner anführt. Und für künftige Tarifabschlüsse stehe gar die Vier-Tage-Woche im Raum. Auch die hohen Lohnabschlüsse für die Metall- und Elektroindustrie – die nächste Verhandlungsrunde steht 2022 an – könne sich das Familienunternehmen auf Dauer nicht mehr leisten, sagt André Reich. Die Firma hatte darauf schon in der Vergangenheit mit einem Ergänzungstarifvertrag reagieren müssen. "Das soll bei uns aber nicht die Regel werden. Wir wollen eine für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gute und verlässliche Vereinbarung finden."
Diese wollen die Geschäftsführer mit den Arbeitnehmervertretern künftig selbst gestalten. "Auch jetzt, nach dem Austritt aus dem Verband, bewegen wir uns nicht im rechtsfreien Raum, sondern es bleibt beim bisherigen Status Quo. Es wird nichts geändert, weder beim Urlaub noch bei der Arbeitszeit und auch nicht beim Kündigungsschutz", versichert Nina Reich. Zudem werde in diesem Jahr wieder Urlaubs- und Weihnachtsgeld gezahlt. "Alle Arbeitsverträge gelten weiter, und auch der Betriebsrat wird nicht abgeschafft", treten Geschäftsführung und Personalchef Oliver Thiele anderslautenden Gerüchten entgegen. Was nicht übernommen wird, ist die aktuelle Tarifentwicklung in der Branche. Doch auch in puncto Lohnerhöhung soll für die Reich-Mitarbeiter dadurch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht sein. "Wir werden auch in Zukunft Entgelterhöhungen vornehmen sowie Prämien verteilen – jeweils nach unseren wirtschaftlichen Möglichkeiten", sichert André Reich der Belegschaft zu.
Im Dialog mit den Mitarbeitern
Betriebsrat und Mitarbeiter waren am 19. April in einem ausführlichen Schreiben über die Hintergründe des Ausstiegs informiert worden. Da wegen der Corona-Pandemie keine Betriebsversammlung stattfinden konnte, habe die Geschäftsleitung mit allen Abteilungen Gespräche geführt, um die Mitarbeiter persönlich zu informieren. "Wir haben dabei viele Ängste nehmen können und sehen uns mit der Belegschaft in einem guten Dialog", versichern die Geschäftsführer mit dem Hinweis auf weitere Gespräche in der kommenden Zeit.
Nina und André Reich, die seit 2014 die Geschicke der Reich GmbH lenken, sehen den Erhalt der Arbeitsplätze in Mellrichstadt als klares Ziel. Den Vorwurf, dass bei Reich Fehler in der Betriebsführung zu einer wirtschaftlichen Schieflage geführt hätten, den der Betriebsratsvorsitzende Christian Zirk bei der Demo am Maifeiertag geäußert hat, wollen sie nicht stehen lassen. "Wir können weder etwas für die Dieselkrise noch für die Corona-Pandemie", so André Reich. Trotz der beiden harten Einschnitte für die Firma habe es keine betriebsbedingten Entlassungen gegeben, hebt er mit Nachdruck hervor. Vielmehr suche das mehr als 870 Mitarbeiter zählende Unternehmen derzeit wieder Personal – in der Fertigung wie auch in der Verwaltung.
Reich will neue Geschäftsfelder erschließen
Und nicht nur das: Die Reich GmbH will sich durch die Erschließung neuer Geschäftsfelder breiter aufstellen. "Wir wandeln uns gerade vom reinen Komponentenfertiger zu einem aktiven Systempartner für unsere Kunden", so die beiden Geschäftsführer. Das bedeutet, dass die Firma in Zukunft nicht nur einzelne Teile, sondern ganze Einheiten fertigen und den Kunden maßgeschneiderte Lösungen bei Entwicklung, Produktion und zusätzlichen Dienstleistungen bieten will. Qualitätsprodukte fertigt Reich bereits unter anderem für E-Bikes, Brennstoffzellen und E-Antriebe. Auch die Fertigung von Getriebeelementen für Hybridantriebe entwickle sich gut. Im Bereich Medizintechnik positioniert sich Reich durch die Fertigung von Teilen für Dialysegeräte. "In der Summe sorgt dies dafür, dass wir weniger abhängig von einzelnen Industriesegmenten werden."
Digitalisierte und vernetzte Abläufe in der Firma sollen zudem Kosten senken. Eine Stärke sehen die Geschäftsführer auch darin, als Familienunternehmen schnell und innovativ auf die Anforderungen der Märkte und der Kunden reagieren zu können. Entsprechend baue man Entwicklungspartnerschaften mit Kunden auf. "Diese Ausrichtung trägt bereits Früchte bei neuen Projekten im Haus", hebt Betriebsleiter Christoph Renner hervor. Mit steigenden Auftragszahlen soll auch eine Produktionslinie in der neuen, bislang ungenutzten Halle auf dem Firmengelände entstehen, gibt André Reich Einblick in die Pläne der Geschäftsführung.
Das Ruder nach der Dieselkrise herumgerissen
Die Dieselkrise, die im Herbst 2018 zu einem herben Geschäftseinbruch geführt hatte, sieht die Unternehmensführung hinter sich gelassen. "Wir haben das Ruder herumgerissen und sehen uns wieder gut aufgestellt für die Zukunft", sagt André Reich. "Ein Großunternehmen hätte den Standort geschlossen und den Betrieb ins Ausland verlagert", ist sich Christoph Renner sicher. Die Reich GmbH wolle aber auch in Zukunft in Mellrichstadt sichere und attraktive Arbeitsplätze garantieren. "Wir sind hier aufgewachsen, leben mit unseren Familien hier und wollen uns für die Region einsetzen", versichern die Geschwister.
"In der 102-jährigen Geschichte unseres Unternehmens hat es schon mehrfach Krisen gegeben, die wir als Chance genutzt haben, um uns weiterzuentwickeln", blickt Nina Reich optimistisch nach vorne. "Unsere Familie hat mit der Fertigung von Fahrradteilen in Thüringen angefangen und nach dem Zweiten Weltkrieg in Mellrichstadt den Neuanfang gewagt. Mit der Ausrichtung auf die Autoindustrie wurde die Firma groß, und jetzt folgt der nächste Schritt zum aktiven Entwicklungspartner für unsere Kunden."
Eine einvernehmliche Vereinbarung mit den Arbeitnehmervertretern, ausgerichtet an den Anforderungen an das Unternehmen und mit sicheren Regelungen für die Mitarbeiter, soll da nicht fehlen. In der kommenden Woche sind diesbezüglich Gespräche anberaumt, so die Geschäftsführung. Eine Lösung wird nach den Worten von Nina und André Reich angestrebt, auf die sich beide Seiten verlassen können. "Wir wollen unsere Mitarbeiter mitnehmen auf diesem neuen Weg, denn ohne sie geht es nicht."