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Mellrichstadt
Reich GmbH verabschiedet sich aus der Tarifbindung
Nach 72 Jahren steigt der Mellrichstädter Industriebetrieb Reich aus dem Arbeitgeberverband aus. Ein Vorbild für andere? Die Gewerkschaft ist alarmiert.
Der Automobilzulieferer Reich in Mellrichstadt - hier ein Blick in die Produktion - ist aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten. Damit ist der Mittelständler mit seinen 900 Beschäftigten nicht mehr tarifgebunden.
Foto: Reich GmbH | Der Automobilzulieferer Reich in Mellrichstadt - hier ein Blick in die Produktion - ist aus dem Arbeitgeberverband ausgetreten. Damit ist der Mittelständler mit seinen 900 Beschäftigten nicht mehr tarifgebunden.
Gerhard Fischer
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:45 Uhr

Vor 72 Jahren war die Firma Reich aus Mellrichstadt, heute ein weltweit agierender Autozulieferer, Gründungsmitglied des bayerischen Metallarbeitgeberverbandes. Der Zweite Weltkrieg lag wenige Jahre zurück, das Unternehmen mit Wurzeln im thüringischen Zella-Mehlis hatte den Neuanfang in Rhön-Grabfeld gewagt. 1949 wurde der erste Betriebsrat für die rund 400 Mitarbeiter gewählt, wie die Reich-Chronik heraushebt.

Doch die lange Geschichte der Zugehörigkeit zum Arbeitgeberverband und damit zu den Tarifvereinbarungen mit der IG Metall hat bei Reich nun ein Ende gefunden. Zu Wochenbeginn ist der Mittelständler mit seinen rund 900 Beschäftigten aus dem Arbeitgeberverband ausgestiegen. Damit wird der neu ausgehandelte  Tarifabschluss, der in Bayern übernommen werden soll, für die Reich-Beschäftigten in Mellrichstadt nicht umgesetzt.

Betriebsrat und Gewerkschaft sind alarmiert. Und die Sorge ist da, dass auch andere Unternehmen in Unterfranken einen solchen Weg gehen.  

Für die IG Metall völlig überraschender Beschluss

"Wir haben eine lange Historie der Zusammenarbeit, geprägt von einem Miteinander. Umso erstaunter und enttäuschter sind wir über die Entwicklung hier", sagt Thomas Höhn, Zweiter Bevollmächtigter bei der IG Metall in Schweinfurt. Er ist seit 14 Jahren auch Betriebsbetreuer für Reich. Für ihn kommt der Entschluss der Geschäftsführung völlig überraschend. 

"Wir haben in all den Jahren stets gute, individuelle Lösungen gefunden", sagt der IG-Metaller weiter. Schon 2019/2020 habe man von Gewerkschaftsseite auf eine schwierige Situation bei Reich Rücksicht genommen. In einem Ergänzungstarifvertrag haben die Mitarbeiter laut Höhn unter anderem auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld sowie einen Sonderbonus von 400 Euro verzichtet.

Belegschaft ist verunsichert

Dazu habe aber die Forderung von Gewerkschaft und Betriebsrat gehört, auch an betrieblichen Strukturen zu arbeiten sowie am Qualitätsmanagement. "Eigentlich hatten wir Gespräche für 2021 verabredet. Umso mehr trifft uns die Tarifflucht bei Reich aus heiterem Himmel", sagt Höhn, der mit dem Betriebsratsvorsitzenden Christian Zirk Anfang der Woche die Belegschaft informierte.

Eine außerordentliche Betriebsversammlung kommt wegen Corona derzeit nicht infrage. "Natürlich ist die Belegschaft jetzt extrem verunsichert", berichtet Zirk.

Geschäftsführung: Viele Monate überlegt

Dass die Entscheidung der Reich-Geschäftsführung keine spontane Reaktion auf den neuen Metall-Tarifvertrag ist, macht Nina Reich deutlich: "Wir haben viele Monate überlegt, wie wir hier verfahren sollen. Aber wir mussten eine strategische Entscheidung für die Zukunft treffen", so die Geschäftsführerin, die mit ihrem Bruder André seit 2014 die Geschicke des Unternehmens führt.   

Sind mit den Tarifabschlüssen nicht mehr einverstanden: die Geschäftsführer Nina und André Reich.
Foto: Archiv Reich GmbH | Sind mit den Tarifabschlüssen nicht mehr einverstanden: die Geschäftsführer Nina und André Reich.

Die beiden üben Kritik an den Tarifabschlüssen schon der vergangenen Jahre. "Die Nebenabreden werden immer umfangreicher", kritisiert Nina Reich unter anderem Zusatzleistungen beim so genannten T-Zug, dem Tariflichen Zusatzgeld. Auch wenn im aktuellen Abschluss zum Beispiel die geforderte Vier-Tage-Woche nicht realisiert worden sei, so stehe sie doch für zukünftige Verhandlungen im Raum. "Wir können nicht unendlich Personal vorhalten. Das können wir als Mittelständler nicht dauerhaft stemmen", kritisiert Nina Reich.

Jetzt ist von Streiks bei Reich die Rede

Für sie und ihren Bruder André sind die Tarifabschlüsse des Arbeitgeberverbandes mehr und mehr an der Großindustrie orientiert, die die Bedürfnisse kleinerer Unternehmen nicht ausreichend berücksichtigten. Ein Argument, das Gewerkschaftler Thomas Höhn nicht teilt: "Mit Ergänzungstarifverträgen reagieren wir flexibel auf aktuelle Lagen. Wir haben das gemeinsame Interesse, die Transformationsprozesse in der Metallindustrie zu meistern", so Höhn.

Für ihn sind die Sätze aus der Geschäftsführung ein Scheinargument. "Es geht schlicht darum, vor Ort die Tarife selbst anzuweisen." Hinnehmen werde man das nicht. Die Gewerkschaft bereite sich auf Streiks vor, bei Reich sei man hier gut organisiert.

Geschäftsführung: Es geht um Standortsicherung

André und Nina Reich rechnen mit solchen Aktionen: "Aber wir wollen unseren Mitarbeitern nichts wegnehmen, letztendlich geht es um eine Standortsicherung für Mellrichstadt", sagen die beiden. Im Gegensatz zum Krisenjahr 2020 werde es heuer auch wieder ein Urlaubs- und Weihnachtsgeld geben. Durch die Kündigung beim Arbeitgeberverband bleibt für Reich der alte Tarifvertrag erhalten, bis sich Geschäftsführung und der Betriebsrat auf eine neue Betriebsvereinbarung geeinigt haben. Es sei denn, man würde sich in der Geschäftsführung wieder rückbesinnen. 

Tarifbindung: Wie der Trend in Unterfranken aussieht

"Im Bezirk Main-Rhön ist uns kein weiteres Unternehmen bekannt, das diesen Schritt geht", erklärt Thomas Höhn. Der Erste Bevollmächtigte der IG Metall in Würzburg, Werner Flierl, hat ebenfalls keine Erkenntnisse über eine Tarifflucht von Unternehmen in seinem Bereich.

Ein Bild darüber, wie stark der Rückhalt für den Arbeitgeberverband bei den regionalen Unternehmen ist, lässt sich schwer zeichnen. Zwar bemerkt der Deutsche Gewerkschaftsbund eine Zunahme tarifflüchtiger Unternehmen in Unterfranken allgemein. Vom Informationsdienst der Bayerischen Wirtschaft gibt es keine Details zur Lage im Bezirk: "Wir äußern uns dazu nicht", heißt es kurz.

Die Reich GmbH in Mellrichstadt gehört zu den Gründungsmitgliedern des bayerischen Metallarbeitgeberverbandes.
Foto: Gerhard Fischer | Die Reich GmbH in Mellrichstadt gehört zu den Gründungsmitgliedern des bayerischen Metallarbeitgeberverbandes.
 
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