Nur noch blau! Der Blick über die Hochflächen der Rhön ist für Insider frustrierend. Statt Arnika, Orchideen und der ganzen bunten Vielfalt wächst auf vielen Flächen nur noch eine Pflanze: die Staudenlupine. Werden die altbekannten Rhöner Wiesen bald verschwunden sein?
Das ist eine Frage, die sich auch für Yves Klinger stellt. Während Freiwillige, Landwirte und professionelle Helfer die Ausbreitung der Lupine seit Jahren mit Mähwerk, Sense oder Ampferstecher einzudämmen suchen, ist er mit dem Laptop auf den Rhöner Wiesen unterwegs und geht das Problem theoretisch an. Der 31-Jährige ist Mitarbeiter am Institut für Landschaftsökologie und Ressourcenmanagement der Justus-Liebig-Universität Gießen und einer der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die Ausbreitung der Lupinen und Möglichkeiten zu ihrer Reduzierung in der Rhön erforschen.
In vielen Ländern ein Problem
In der Wissenschaft ist die Problematik schon lange Thema. Seit mehr als 20 Jahren gibt es Untersuchungen dazu. Derzeit sind nicht nur Forscher der Uni Gießen, sondern auch der Uni Kassel in der Rhön unterwegs, um einen Beitrag zum Schutz der artenreichen Wiesenlandschaft zu leisten. Dabei geht es für Yves Klinger und seine Kollegen nicht nur um das Naturschutzgebiet Lange Rhön, in dem sie forschen. Die Lupine verbreitet sich gerade vielerorts massiv. Nicht nur in anderen Bereichen der Rhön wie im bislang weitgehend verschonten thüringischen Teil, sondern in fast allen deutschen Mittelgebirgen. Auch in den skandinavischen Ländern wird sie zunehmend zu einem Problem. Entsprechend könnten viele Regionen von Forschungsergebnissen aus der Rhön profitieren.
Der 31-Jährige beschäftigt sich schon seit 2015 mit dem Eindämmen der aus Nordamerika eingewanderten Pflanze in der Rhön und steht kurz vor dem Abschluss seiner Promotion zu diesem Thema. Anfangs galt es für die Wissenschaftler, die Dimension der Ausbreitung der Lupinen zu untersuchen und die Frage zu klären, ob der frühere Artenreichtum der davon betroffenen Rhönwiesen überhaupt wiederherzustellen ist.
Fläche in 20 Jahren verdoppelt
Wenig überraschend - aber nun wissenschaftlich quantifiziert - war dabei die Erkenntnis, dass die "Invasion der Aliens", wie Michael Geier vom Biosphärenreservat die Lupinen einmal bezeichnete, problematische Ausmaße in der Rhön angenommen hat. Die von ihnen übernommene Fläche hatte sich im untersuchten Bereich seit einer ersten Kartierung im Jahr 1998 verdoppelt. Zudem konnte eine starke Verdichtung der Stauden mit all den negativen Auswirkungen für die Artenvielfalt ermittelt werden. Die erfreuliche Erkenntnis aus verschiedenen Versuchen lautete: Die Wiesen lassen sich renaturieren.
Mit diesen Ergebnissen, die Yves Klinger und seine Kollegen in zweijährigen Voruntersuchungen ermittelten, erschien es sinnvoll und erfolgversprechend die Forschungen weiterzuführen. Die Deutsche Bundesstiftung Umwelt startete 2017 ein mit insgesamt mehr als 750 000 Euro ausgestattetes Forschungsprojekt unter dem Namen "Erhaltung und Restituierung der Artenvielfalt in den Bergwiesen des Biosphärenreservats Rhön – Management der invasiven Stauden-Lupine (Lupinus polyphyllus Lindl.) in einem komplexen Schutzgebietssystem". Letztlich stehen dabei drei Fragen im Fokus: Wie verbreitet sich die Lupine? Wie kann ihre Verbreitung gestoppt und wie können die Wiesen wieder in einen besseren Zustand versetzt werden?
Um die letztgenannte Frage zu klären, ließen die Wissenschaftler unter anderem frisch gemähtes Heu arten- und samenreicher Wiesen auf Probeflächen ausbringen, um zu testen, ob so die Pflanzenvielfalt erhöht werden kann. Die Versuche waren erfolgreich, so Klinger. Günstig waren auch Ergebnisse bei der Untersuchung der "Samenbank", wie in der Fachsprache, die im Boden lagernden und oft nach vielen Jahren noch keimfähigen Samen bezeichnet werden. Hier droht von den Lupinen keine besondere Gefahr. Unter 14 000 getesteten Samen fanden sich, wie der Wissenschaftler weiß, nur vier keimfähige Lupinen.
Bis zu 2000 Samen pro Pflanze
Untersucht wurden auch Methoden, die Ausbreitung der Lupinen über Satellitenfotos oder mithilfe von Drohnen zu ermitteln. Als ein Ergebnis zeigte sich, dass sich Lupinen von Wegrändern und Straßen aus in die Wiesen verbreiten. Dort kommen die Bewirtschafter der Wiesen mit ihren Fahrzeugen vorbei und auch Schafherden ziehen entlang und können dabei Lupinensamen verteilen, der hier offensichtlich gute Voraussetzung für seine ungestörte Verbreitung findet, vermutet Klinger. Dabei kann nur eine Lupinenstaude bis zu 2000 Samen in sechs Metern Umkreis verschleudern. Entsprechend, so einer Erkenntnis der Forscher, müssten gerade hier einzelnstehende Pflanzen entfernt werden.
Andererseits ist aber der Samentransport über die landwirtschaftliche Nutzung seit jeher ein wichtiger Faktor für den Artenreichtum der Rhöner Wiesen, wie Klinger betont. Daraus ergibt sich für ihn, dass die Bewirtschaftung so erfolgen müsste, dass möglichst nur die typischen Rhöner Pflanzen und keine Lupinensamen verbreitet werden.
Somit stellte sich für den Forscher die Frage, ab wann die Lupinensamen keimfähig sind. Eine gewisse Bekanntheit in der Region erreichte er mit seinen Methoden, das zu klären. Über Monate war er regelmäßig in der Langen Rhön unterwegs, kehrte die Mähwerke von Landwirten ab oder sammelte den Kot von Schafen und untersuchte dann im Gewächshaus die dabei gefundenen Samen auf ihre Keimfähigkeit.
Zeitpunkt der Mahd entscheidend
Das Ergebnis: Noch grüne Schoten sind nach Ansicht des Wissenschaftlers unkritisch. Braune oder gar schwarze Samen zu verschleppen, sollte allerdings unbedingt vermieten werden. Entsprechend sei daher der Zeitpunkt der Mahd entscheidend, um die Samenproduktion und damit die weitere Ausbreitung der Lupine zu verhindern. Dass es dabei einen "klassischen Zielkonflikt" in der Langen Rhön gibt, ist ihm natürlich auch bewusst. Denn zum Schutz der seltenen Bodenbrüter in der Rhön, darf die Mahd auch nicht zu bald erfolgen.
Ein weiteres Problem ist die Langlebigkeit der Staude, die zwischen vier und zwölf Jahre alt werden und über Wurzelausläufer wieder austreiben kann. Um das zu untersuchen, hat Klinger mit Unterstützung des Gebietsbetreuers für die Lange Rhön, Torsten Kirchner, am Rand der Hochrhönstraße zwölf fünf mal fünf Meter große Testflächen angelegt, auf denen die verschiedene Arten der Lupinenbekämpfung untersucht werden. Einschürige oder zweischürige Mahd und ihre Auswirkung auf die Lupinen wird hier ebenso getestet, wie das Abknicken der Blütenstände oder aber das Ausstechen der Wurzeln. Hier ist gerade die letztgenannte Methode mit Abstand die erfolgversprechendste, allerdings auch die arbeitsintensivste.
Punktgenau reagieren
Auch wenn seine Arbeiten noch nicht abgeschlossen sind, derzeit die Ergebnisse der verschiedenen Forschungsvorhaben zusammengeführt werden und die Erkenntnisse im kommenden Jahr bei einem Workshop und dann per Broschüre oder Internet veröffentlicht werden sollen, sieht Yves Klinger die Rhön beim Thema Lupinen auf einem guten Weg. Neben der Arbeit von Landwirten und anderen professionellen Helfern sieht er dabei das eindrucksvolle Engagement der ehrenamtlichen Helfer als höchst sinnvoll an.
Zwar werde man die Lupine hier wohl nie mehr ganz wegbekommen, aber die jetzt laufenden Maßnahmen sieht er als durchaus positiv. Entscheidend für das Zurückdrängen der Lupine sei ganz offensichtlich, dass die Pflanze beseitigt wird, bevor die Samen keimfähig sind. Da dieser Zeitpunkt in jedem Jahr wechselt, wäre nach seiner Ansicht eine engmaschige Beobachtung erforderlich, um punktgenau reagieren zu können. Im Idealfall würden die Landwirte ihre Wiesen dann nicht ab einem langfristig, sondern flexibel festgesetzten Datum mähen. Vielleicht könne man ihnen den Mehraufwand bei der Lupinenbekämpfung auch honorieren. Auch wenn solche Vorschläge wohl nicht vollständig umzusetzen seien, nach Überzeugung des jungen Forschers ist eine Voraussetzung für den Erhalt der Rhönwiesen unabdingbar: Die Lupinenbekämpfung muss unbedingt weitergehen. Andernfalls wäre in kürzester Zeit alle bisherige Arbeit zunichtegemacht.