
Es sind besorgniserregende Signale, mit denen die Schuldnerberatung in Bad Neustadt konfrontiert wird. Sätze wie "Ich kann den Kühlschrank nicht mehr füllen" oder "Ich kann den Bedürfnissen der Kinder nicht nachkommen" fallen immer häufiger in den Beratungen. Die Einrichtung des Diakonischen Werkes registriert eine deutliche Zunahme von Nachfragen. Wurden 2021 264 Fälle verzeichnet, so waren es 2022 bereits 323. Im laufenden Jahr wurden bereits 248 Hilfe-Gesuche gezählt. "Alleine dieses Jahr haben wir 75 neue Ratsuchende in die Beratung aufgenommen. Das sind 50 Prozent mehr Anfragen als letztes Jahr im gleichen Zeitraum", erklärt die Beraterin Sybilla Schmitt-Peter.
Als Grund für die weiter steigende Nachfrage macht die Schuldner- und Insolvenzberatung, zu der noch die beiden Beraterinnen Nicole Pankalla und Sandra Stamatakis gehören, die Folgen der Inflation aus, die das Überschuldungsrisiko steigen lassen würden. "Viele Menschen machen sich große Sorgen und sind verunsichert, wie sie die Zukunft bewältigen können. Das erleben wir tagtäglich in unserer Schuldnerberatung", so Schmitt-Peter.

Das Problem griff auch die Aktionswoche der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) vor einigen Tagen auf. Deren Motto lautete "Was können wir uns noch leisten? – Überschuldungsrisiko Inflation".
Gestiegene Energiekosten und teurere Lebenshaltungskosten
Es sei deutlich zu spüren, dass die meisten Waren, Energie, Mieten und andere Dinge teurer geworden seien. "Haushalte mit knappen Einkommen trifft es besonders hart", erzählt Sybilla Schmitt-Peter aus ihrer Beratungserfahrung. Nicht wenige Haushalte müssten bereits ein Drittel ihres Einkommens allein für den Wohnraum ausgeben, eine Entspannung der Situation sei nicht in Sicht. Umso schwieriger werde es dann, die gestiegenen Energiekosten und die deutlich teureren Lebenshaltungskosten zu stemmen.
Das Thema Energiekosten schlägt bei der Schuldnerberatung in Bad Neustadt noch relativ wenig auf. "Wir dachten, dass eine größere Welle auf uns zukommt", sagt Schmitt-Peter. Woran das liege, sei ihr und ihren Kolleginnen selbst nicht klar. Wahrscheinlich seien Stromsperren eher in den Großstädten als auf dem Land zu finden.
Noch zu bezahlende Kredite erhöhen die Problematik
Bei ihnen drehe es sich eher um Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs, so die Beraterin. Gestiegene Kosten in Verbindung mit noch zu bezahlenden Krediten würden immer mehr Menschen zu schaffen machen. "Das Einkommen reicht dann nicht mehr, um die Ausgaben zu decken."
Sybilla Schmitt-Peter weist darauf hin, dass für viele ihrer Ratsuchenden wegen der in Folge der Inflation steigenden Zinsen Kredite teurer würden. Auch der ohnehin schon teure Dispokredit werde noch kostspieliger. Aber gerade Haushalte mit knappem Einkommen müssten diesen häufiger nutzen.
Das durchschnittliche Alter der Ratsuchenden liegt zwischen 20 und 59 Jahren. "Das ist das Alter, in dem man mitten im Leben steht", erklärt Sybilla Schmitt-Peter. Im Alter von 20 oder 30 Jahren beginne man mit der Familiengründung und gegebenenfalls einer Hausfinanzierung. Rentnerinnen und Rentner kämen nur vereinzelt zu ihnen. Die Beraterin vermutet jedoch, dass diese Zahl in den nächsten Jahren zunimmt. "Es wird immer schwieriger, von der Rente zu leben."
Die AG SBV fordert einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung
Um Überschuldeten besser helfen zu können, fordert die AG SBV einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung. Das sei angesichts des deutlich wachsenden Beratungsbedarfs dringend notwendig, meint Sandra Stamatakis dazu. "Mancherorts können nur Ratsuchende, die Bürgergeld oder Sozialhilfe erhalten, ohne jegliche Einschränkung kostenfrei beraten werden", beklagt Stamatakis. Das sei im Landkreis Rhön-Grabfeld glücklicherweise nicht der Fall, hier könne jeder die Schuldnerberatung in Anspruch nehmen.
Eine weitere Forderung sei der Ausbau der Finanzierung von sozialen Schuldnerberatungen, zu denen die Schuldnerberatung der Diakonie auch gehört. Außerdem müsse es einen generellen Pfändungsschutz von existenzsichernden Leistungen geben. "Solange der nicht umgesetzt wird, ist eine finanzielle Abwärtsspirale für viele Haushalte vorprogrammiert", betont Stamatakis. Auf der Wunschliste der Schuldnerberatungen stehe überdies ein unbürokratischer Zugang zu Sozialleistungen.
Auf welche Weise hilft die Schuldnerberatung?
Wie hilft die Schuldnerberatung? Sie macht sich einen Überblick über die Finanzen. Zusammen mit dem Ratsuchenden werden Unterlagen geordnet und die Primärschulden abgecheckt. Das Wichtigste - Miete, Strom - muss zahlbar sein. Eventuell werden Wohngeld, Kinderzuschlag, Zuschüsse vom Jobcenter oder für Energie beantragt. Wichtige Fragen seien: Wie viele Gläubiger gibt es? Wie hoch sind die Schulden? Gibt es ein Pfändungsschutzkonto? Ist ein Vergleich möglich? Oder Ratenzahlungen? Schließlich stehen die überschuldeten Menschen vor der Entscheidung, mit den Schulden zu leben oder Verbraucher-Insolvenz zu beantragen. Letzteres sei "kein Allheilmittel, aber ein Weg", so Sybilla Schmitt-Peter.
Die drei Beraterinnen empfehlen, sich bei Problemen frühzeitig mit dem Thema Schuldnerberatung zu befassen. In den meisten Fällen würden Überschuldete zu lange warten, bis sie Hilfe suchen. Dann habe die Abwärtsspirale bereits begonnen, sich zu drehen.
Kontakt: Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werkes Bad Neustadt, Marktplatz 11 in Bad Neustadt, Telefon (09771) 63097-0, E-Mail: schuldnerberatung@diakonie-nes.de.