Der junge Mann kann nicht mehr. Er ist nun seit längerer Zeit im Krankenstand. Das Geld reicht hinten und vorne nicht, um seine Frau und die drei Kinder zu ernähren. Das Haus muss abbezahlt werden und die Kosten für Lebensmittel gehen immer mehr nach oben. Jetzt kommen noch die steigenden Energiekosten hinzu. Er zahlt kleine Raten an frühere Gläubiger, damit die Inkassounternehmen die Füße still halten. Die Hauptforderung wird dadurch aber nicht getilgt, denn die Zinsen und Kosten steigen weiter. Der Teufelskreis wird immer größer. Dann hört er von der Schuldnerberatung und vereinbart einen Termin. Heute ist der Mann in einem Verbraucherinsolvenzverfahren und hat es geschafft, mithilfe der Beraterinnen und Berater wieder Fuß zu fassen.
Mit Schicksalen, wie diesem Beispiel, werden Sybilla Schmitt-Peter, Sandra Stamatakis und Lothar Schulz immer wieder konfrontiert. Sie arbeiten für die Schuldner- und Insolvenzberatung der Diakonie Bad Neustadt. Wenn die Hilfesuchenden zu ihnen kommen, ist es eigentlich fast schon zu spät. Da ist man bereits in der Schuldenfalle drin. Die Hemmschwelle sei sehr hoch, erklärt Schmitt-Peter. "Man spricht nicht über Geld und sein Gehalt. Und schon gar nicht spricht man über das eigene Scheitern." Dabei könnte man noch viel mehr richten, wenn die Klientinnen und Klienten früher kämen.
Was sind die Gründe für eine Überschuldung?
Wie gerät man derart in Schulden, dass man sich nicht mehr zu helfen weiß? Die meisten Gründe seien Krankheit, Trennung, Scheidung, Arbeitslosigkeit oder auch eine unwirtschaftliche Haushaltsführung, erläutert die Sozialpädagogin. Zum Bereich "Krankheit" gehören auch Suchterkrankungen. Bezeichnenderweise gingen die Schuldnerberatungen aus der Suchtberatung hervor, die in Bad Neustadt entstand 1988.
Vielfach beobachten sie und ihre Kollegen aber auch Unerfahrenheit und Unwissenheit in finanziellen Angelegenheiten. Viele Menschen hätten den genauen Überblick über ihre Einnahmen und Ausgaben verloren, über Verträge, die sie irgendwann mal auf die Schnelle eingegangen sind und die sich nicht immer als sinnvoll erwiesen haben.
Dazu hat auch Corona beigetragen. "Die Pandemie hat es mit sich gebracht, dass noch mehr mit Karte bezahlt oder online bestellt und der Geldverkehr abstrakter wurde", so die Schuldnerberaterin. Früher habe man mit dem Portemonnaie oder einem Taschengeldkonto seine zur Verfügung stehende Geldmenge genau gekannt.
"Online-Geschäfte können gefährlich sein", weiß auch Lothar Schulz. "Viele schließen Dinge ab, die sie nicht verstehen, und lassen sich von dem Angebot, erst später zu bezahlen, verführen." Etliche Menschen, die in Schulden geraten sind, würden auch die "Vogel-Strauß-Taktik" praktizieren, schildert er. "Nicht selten verschwinden Rechnungs- oder Mahnschreiben ungeöffnet in der Schublade oder gleich im Papierkorb."
Wie hilft die Schuldner- und Insolvenzberatung?
Was macht die Schuldnerberatung? "Ganz allgemein gesprochen, hilft sie, dass die Schuldner mit ihren Schulden leben können", fasst es Sybilla Schmitt-Peter zusammen. Für sie und ihre Kollegen ist es zunächst wichtig, Vertrauen zu schaffen. "Wir verurteilen nicht, wir wollen helfen." Zunächst werden die Ratsuchenden stabilisiert und der Schuldnerschutz aktiviert.
Dann geht es weiter. Es wird ein Überblick über die Finanzen gewonnen, Unterlagen werden geordnet und die Primärschulden abgecheckt. Das wichtigste - Miete, Strom- muss zahlbar sein. Eventuell werden Wohngeld, Kinderzuschlag, Zuschüsse vom Jobcenter oder für Energie beantragt. Wichtige Fragen seien: Wie viele Gläubiger gibt es? Wie hoch sind die Schulden? Gibt es ein Pfändungsschutzkonto? Ist ein Vergleich möglich? Oder Ratenzahlungen? Schließlich stehen die überschuldeten Menschen vor der Entscheidung, mit den Schulden zu leben oder Verbraucher-Insolvenz zu beantragen. Letzteres sei "kein Allheilmittel, aber ein Weg", so Schmitt-Peter.
Wenn sich die Schuldenspirale zu drehen beginnt
"Jeder Fall ist individuell und sehr komplex", berichtet sie. Ein Muster sei aber zu erkennen: Eine Grundschuld kann nicht getilgt werden, dann wird ein scheinbar günstiger Kreditvertrag aus dem Internet abgeschlossen und die Spirale beginnt sich zu drehen. Die Ratenzahlungen wachsen über den Kopf, hinzu kommen feste Ausgaben. Schließlich mündet die Spirale in einen Strudel. Eine Überschuldung sei ein langer Prozess von mehreren Jahren. Und: "So lange, wie man sie aufgebaut hat, so lange dauert es auch, sie wieder abzubauen."
Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie?
In Bezug auf die Corona-Pandemie blieb die große Welle der Verbraucherinsolvenzen bislang aus. "Es gab nicht den großen Knall und es standen viele Menschen vor der Tür, die plötzlich überschuldet waren", führt Schmitt-Peter aus. Der Prozess verlaufe schleichend. "Man könnte sagen, die Welle schwappt jetzt auf uns zu, nach zwei Jahren der Unsicherheit und Ungewissheit." Viele hätten sich am Anfang noch irgendwie geholfen und über Wasser gehalten. Nicht zuletzt durch die Kurzarbeit sei für etliche Menschen das Einkommen kleiner geworden. Die Berater vermuten, dass es bald einen Anstieg bei den Energieschulden geben wird. Hinzu kommen die Inflation und die Preissteigerungen. "Das Gesamtpaket Corona und Weltkrise wird viele ins Schwanken bringen."
Was empfehlen die beiden Beraterinnen und ihr Kollege in einem solchen Fall? "Rechtzeitig anrufen. Lieber einmal zu viel, als einmal zu spät."