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Stockheim
Getreidepower aus dem Mittelalter: Warum Joseph Stengel aus Stockheim seine eigenen Brötchen backt
Wenn es am Stockheimer Bahnsteig nach Brot duftet, steckt Joseph Stengel dahinter. Der Hobbybäcker lässt das mittelalterliche Backhandwerk wieder aufleben.
Knuspriges, frisch gebackenes Brot: Hobbybäcker Joseph Stengel aus Stockheim backt nach mittelalterlichen Rezepten.
Foto: René Ruprecht | Knuspriges, frisch gebackenes Brot: Hobbybäcker Joseph Stengel aus Stockheim backt nach mittelalterlichen Rezepten.
Franziska Sauer
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:33 Uhr

Der Duft von frischem Brot und Brötchen erfüllt den Stockheimer Bahnsteig. Dort, gleich neben den Gleisen für das Rhönzügle, backt Joseph Stengel regelmäßig seine mittelalterlichen Brot- und Brötchenkreationen. Dabei ist er eigentlich kein gelernter Bäcker, sondern Musiklehrer mit einem Faible fürs Mittelalter. 

Hobbybäcker Joseph Stengel in seiner 'Backstube' im ehemaligen Bahnhof von Stockheim.
Foto: René Ruprecht | Hobbybäcker Joseph Stengel in seiner "Backstube" im ehemaligen Bahnhof von Stockheim.

Beruflich ist der gebürtige Oberfranke in der Welt herumgekommen. Hat in Bayern, Amerika und Griechenland Musik studiert und zwischendurch noch eine Ausbildung zum Instrumentenbauer in Oberbayern gemacht. "Das Mittelalter hat mich schon immer gereizt. Ich fand es spannend, die Anfänge der Musik zu ergründen", sagt Joseph Stengel, der vor 23 Jahren seine eigene Mittelalter-Band gründete. Historische Instrumente wie die Schlüsselfiedel, die Schalmei und der Dudelsack haben es ihm angetan.

Gut durchkneten: Nur aus einem guten Teig, wird auch ein gutes Brot.
Foto: René Ruprecht | Gut durchkneten: Nur aus einem guten Teig, wird auch ein gutes Brot.

Was wurde im Mittelalter aufgetischt?

Die Leidenschaft für den "Sound" des Mittelalters machte er zwischenzeitlich sogar zu seinem Beruf. Stengel übernahm die künstlerische Leitung des mittelalterlichen Freizeitparks "Adventon" in Osterburken in Baden-Württemberg. "Zu meinen Aufgaben gehörten auch die Dinner-Shows und Rittermahle. Also suchte ich in der Bibliothek nach alten Rezepten und kochte und backte sie nach."

Wie gut, dass in Joseph Stengels Familie schon immer die Männer für das Kochen zuständig waren. "Ich habe viel von meinem Vater gelernt, aber auch alle möglichen Bäcker nach ihren Rezepten gefragt. Die waren aber meist aus dem 19. Jahrhundert." Deshalb entwickelte der 55-Jährige eigene Backrezepte mit historischen Getreidesorten, wie Dinkel, Roggen, Emmer, Einkorn oder Waldstaudenroggen, einer sehr alten Getreidesorte. 

"Zum Backen ist dieses Mehl nicht mehr zu gebrauchen"

Das Mehl bekommt er regional von der Eichersmühle in Mellrichstadt. "Eigentlich backe ich nichts mit Weizenmehl. Weil aber die Hitzeperiode im Juni und der anschließende Regen zu niedrigeren Fallzahlen geführt haben, wollte ich einmal ausprobieren, ob ich trotzdem ein ähnlich gutes Brot hinbekomme." Die Fallzahl gibt die Backfähigkeit des Getreides an. Wenn der Fallwert bei dem Mehl zu niedrig ist, kann das Brot nicht richtig aufgehen und im Brotteig entstehen Löcher.

Für Hobbybäcker Joseph Stengel braucht es eigentlich nur eins: eine große Portion Zeit. Aber dann kann aus Mehl, Wasser, Hefe und Salz etwas sehr Leckeres werden.
Foto: René Ruprecht | Für Hobbybäcker Joseph Stengel braucht es eigentlich nur eins: eine große Portion Zeit. Aber dann kann aus Mehl, Wasser, Hefe und Salz etwas sehr Leckeres werden.

Stengel versuchte es, auch wenn es hieß: "Zum Backen ist dieses Mehl nicht mehr zu gebrauchen." Er dachte sich: Die Menschen im Mittelalter mussten doch auch mit dem arbeiten, was sie hatten. Und siehe da: Nach nur einem Fehlversuch, der einem Fladenbrot ähnelte, gelang es ihm. "Was dabei herauskam, war von normalem Gebäck nicht zu unterscheiden", sagt Stengel.

Seine wichtigste Zutat neben Mehl, Hefe, Wasser und Salz: Zeit. "Es braucht eigentlich nicht viel, nur eine längere Teiglaufzeit", so Joseph Stengel, der auf Sauerteig schwört. "Ein guter Sauerteig kann über Jahre geführt werden und entwickelt dabei sogar mehr Triebkraft und Aroma."

Diese per Hand gedrehte Brötchen werden aus Dinkelmehl gemacht.
Foto: René Ruprecht | Diese per Hand gedrehte Brötchen werden aus Dinkelmehl gemacht.

Sauerteig: Lange Reifezeit für gutes Aroma

Weil der Sauerteig für viele Hobbybäcker ganz weit oben auf der Liste der Dinge steht, an die sie sich nicht wagen, hat Joseph Stengel sogar schon darüber nachgedacht, ein YouTube-Video mit Schritt-für-Schritt-Anleitung zu machen. Sein Tipp an alle Hobbybäcker: "Keine Angst – Sauerteig herstellen ist nicht so kompliziert, wie es scheint."

Als Musiklehrer einer Montessorischule in Aschaffenburg pendelte Joseph Stengel die letzten Jahre viermal in der Woche 170 Kilometer hin und zurück. "Seit diesem Schuljahr bin ich in Altersteilzeit und unterrichte nur noch zweimal in der Woche." Heißt: Der Stockheimer hat wieder mehr Freizeit. "Gerade kann ich mich aber noch nicht entscheiden, ob ich mehr Musik machen oder backen will", so Stengel. Auf jeden Fall kann sich der 55-Jährige nicht vorstellen, nur eines von beiden zu machen.

Stengels Dinkelbrötchen werden gezogen und gedreht und im Ofen goldbraun gebacken.
Foto: René Ruprecht | Stengels Dinkelbrötchen werden gezogen und gedreht und im Ofen goldbraun gebacken.

Als geschichtlich interessierter Hobbybäcker ist er im Fränkischen Freilandmuseum in Fladungen für das historische Koch- und Backprogramm zuständig. "Ich backe je nach Jahreszeit das Kleingebäck, wie Brezel, Brötchen oder Zimtschnecken", sagt Joseph Stengel, der sich beim Herbstfest im Freilandmuseum am 3. Oktober über die Schulter schauen lässt.

Meister als Voraussetzungen für Gründung einer Bäckerei

Gerade weil ihm das Backen so viel Spaß macht, hat er auch schon mit dem Gedanken gespielt, ein Café in einem ehemaligen Eisenbahnwaggon am Bahnhof zu eröffnen, wie er erzählt. Doch die Idee hat er der Kosten wegen wieder verworfen. Trotzdem lässt ihn der Gedanke, seine eigenen Backwaren zu verkaufen, nicht los. Zumal die jetzige Bäckerfiliale in Stockheim bald schließt. "Ich könnte vielleicht einmal pro Woche auf Bestellung backen", überlegt Stengel. Denn eines möchte der 55-Jährige unbedingt vermeiden: Lebensmittelverschwendung.

Einziges Problem: Joseph Stengel hat keine abgeschlossene Meisterprüfung im Bäckerhandwerk. Sein Talent allein reicht nicht aus. Denn in Deutschland gilt für einige Gewerke die sogenannte Meisterpflicht, darunter fällt auch das Bäckerhandwerk. Ein Verkauf von selbstgebackenem Brot oder Brötchen ist ihm als ungelernter Bäcker nicht gestattet. "In einem Imbiss dürfte ich meine Brötchen mit Bratwurst darin verkaufen, aber nicht einzeln zum Mitnehmen", sagt Joseph Stengel. Für die Zukunft schließt er dennoch nichts aus. Vielleicht könnte er über eine Sondergenehmigung zum Dorfbäcker avancieren.

Zur Person

Joseph Stengel hat eine große Leidenschaft zu Musik, und zwar von Kindesbeinen an. Seine Ausbildung absolvierte er am Richard-Strauss-Konservatorium in München, am Orpheon Conservatory of Athens und am Centre College in Danville. Später folgte die Ausbildung zum Instrumentenbauer. Danach spielte er in einer Big Band, dem Bach Collegium Stuttgart unter Hellmuth Rilling und der Broadway Musical Company. Als Solotrompeter eines der bekanntesten Pop-Orchester in den USA wirkte er bei CD-Produktionen, Konzert-Tourneen und verschiedenen Konzertprogrammen mit. 2000 gründete er seine eigene Mittelalterband.
Auch als Dirigent hat er sich einen Namen gemacht. Vor 15 Jahren gründete er das Würzburg Pop-Orchestra. Heute arbeitet er als Musiklehrer an einer Montessorischule in Aschaffenburg. Seine zweite Leidenschaft neben dem Musikspielen ist das Backen. In seiner Freizeit stürzt sich der gebürtige Oberfranke in die Welt von mittelalterlichen Rezepten und zaubert aus Sauerteig, Mehl, Salz und Wasser neue historische Rezepte.
Quelle: fs
 
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