Josef Gerspitzer war der "Idealist" des Bad Neustädter Gefängnisses. "Egal wie das System ist, ich möchte den Menschen helfen", mit diesem Anspruch war der Pastoralreferent 1985 in der JVA Bad Neustadt als hauptamtlicher Sozialbetreuer angetreten.
Zuvor waren die Strafgefangenen nur stundenweise von der Caritas betreut worden. Elf Jahre, bis zur Schließung des Gefängnisses 1996, kümmerte sich Gerspitzer dann um Wohl und Wehe von Insassen und Vollzugsbeamten.
Gerade von Letzteren wurde ihm anfangs "schon misstraut", erinnert sich der heute 67-Jährige. Mit wem telefonierte er? Welchem Gefangenen gestattet er warum ein Telefonat? Ein Schlüsselträger mit eigenem Büro, der nicht vom Aufsichtsdienst ist – nach und nach sei er aber Teil des Teams geworden.
Kritik aus dem Jahr 1987: Kein Geld für die Gefängnisse "mit den kleinen Ganoven"
Ursprünglich hatte Gerspitzer, der aus Eichenhausen stammt, Priester werden wollen. Am Ende entschied er sich gegen das Priesterseminar und für die pastorale Arbeit. 1987, verrät der Blick ins Archiv dieser Zeitung, stellte diese Redaktion erstmals den "relativ neuen Sozialbetreuer" zeitgleich mit dem neuen Fitnessgerät der Öffentlichkeit vor. Grund für den Blick hinter die Gefängnismauern war damals das Strafvollzugsgesetz, das 1987 zehn Jahre in Kraft war.
Anlässlich dieses Gesetzes blickte Main-Post-Autorin Silvia Eidel genauer auf die Lebensbedingungen der Häftlinge. Für den "offenen Vollzug" sei Bad Neustadt nur bedingt geeignet, schrieb sie: Arbeitsangebote gebe es zu wenige, die Zellen seien spartanisch eingerichtet, der Sportsaal so niedrig, dass nur Sitzfußball gespielt werden könne. Das Hauptproblem, das Eidel benannte: Nahezu alle Gelder flössen an die großen Gefängnisse. "Die mit den kleinen Ganoven" wie Bad Neustadt hätten das Nachsehen.
Immerhin: Durch das Strafvollzugsgesetz gebe es einen stärkeren Kontakt zwischen Vollzugsbeamten und Häftlingen, die mitunter auch mal gemeinsam Tischtennis spielten oder zusammen das neue Fitnessgerät nutzten. Der neue Sozialbetreuer Gerspitzer biete Erste-Hilfe-Kurse und Gesprächsgruppen zu den Themen politische Bildung und Alkoholprobleme an.
Wobei Gerspitzer Gefangene unterstützte: Am Ende "drehte sich alles immer um die Familie"
"In der Anfangszeit habe ich öfter versucht zu bekehren", schmunzelt Gerspitzer rückblickend, als er fast 40 Jahre nach Arbeitsantritt noch einmal rund um die Gefängnismauern schlendert.
Inzwischen lebt der 67-Jährige mit seiner Frau in Mainstockheim. Zweimal im Monat hielt er damals Gottesdienste in der Gefängnis-Kapelle, auch Bibelkreise hat er angeboten. Später habe er mehr die Rolle des Assistenten eingenommen. Nichtsdestotrotz ist er auch Jahrzehnte später überzeugt: "Du kannst etwas bewirken!" Die Frage sei immer nur, wie lange das anhalte.
Welche Anliegen die Gefangenen hatten? "Hinten und vorne drehte sich alles um die Familie", so Gerspitzers Erfahrung. Was tun, um die Frau nicht zu verlieren? Aber auch: Wie dem Arbeitgeber die Haft erklären?
Nachnutzungen, über die 1996 nachgedacht wurde: Asylbewerberunterkunft oder Jugendherberge
Nichts Menschliches ist ihm in all den Jahren fremd geblieben. So manche Enttäuschung, manchen Rückfall hat er miterlebt: Gerspitzer denkt insbesondere an einen Mitte-20-Jährigen. "Der hatte eine Chance verdient!" Einen Job bei einer Malerfirma in Herschfeld und ein Zimmer bei Kalli Wehner hatte Gerspitzer ihm nach Haftentlassung vermittelt. Doch das Glück war von kurzer Dauer. Eines Tages "hat er alles stehen und liegen lassen". Nicht immer war absehbar, wer es packen könnte.
Länger noch als Sozialbetreuer im Bad Neustädter Gefängnis war Gerspitzer freier Mitarbeiter der Main-Post-Redaktion. Als ebendieser schrieb er im Sommer 1996 nach Schließung der JVA über das "Ausbruchsfest".
Lokalpolitiker, Bürger und Mitarbeiter saßen feiernd beieinander. "Solange das Gefängnis da war, fühlten wir uns sicher", zitierte Gespritzer in seinem Artikel die Nachbarschaft. Kurz nach Schließung ging die Sorge um, das Gefängnis könnte als Asylbewerber-Unterkunft umgenutzt werden.
Der junge Bürgermeister Bruno Altrichter und sein Stadtrat brachten die Idee von Erlebnisübernachtungen im Stil von "Eine Nacht im Knast" auf. Das Stichwort Jugendherberge fiel. Eine sinnvolle Nachnutzung, aber auch die Sorge vor hohen Sanierungskosten und das Thema Verkehrsführung, beschäftigte die Lokalpolitik also schon an jenem 29. Juni 1996.