
Dezember 2024 in Schondra (Lkr. Bad Kissingen): Ein Mann muss reanimiert werden und wird zunächst von einem Ersthelfer versorgt. Der Rettungsdienst aus Bad Brückenau trifft schnell ein. Zusätzlich wird ein Notarzt gebraucht, doch der hat einen deutlich weiteren Weg. Denn der nächste verfügbare ist Dr. Erich Martin aus Bischofsheim (Lkr. Rhön-Grabfeld) – rund 30 Kilometer von Schondra entfernt. Seine Anfahrtszeit beträgt eine halbe Stunde.
"Wir haben den Mann in Schondra wiederbelebt und ins Krankenhaus gefahren, konnten ihn also retten. Er hat davon profitiert, dass gute Ersthelfer da waren. Sonst hätte der Fall anders ausgehen können", sagt Erich Martin im Gespräch mit dieser Redaktion. Er fährt seit 39 Jahren Notarzt-Dienste und betreibt im 36. Jahr eine Hausarztpraxis in Bischofsheim. Die Wege, die er im Rahmen seiner Notarzt-Tätigkeit zurücklegt, sind häufig weit: "Zu meinem Leidwesen muss ich vom Standort Bischofsheim aus nach Bad Neustadt, Mellrichstadt, Ostheim fahren. Oder nach Motten, das sind Anfahrten von 20 bis 25 Minuten und 30 Kilometern".
Wenn ein Notarzt gebraucht wird, kommt einer – aber es kann dauern
Auch in andere Orte im Landkreis Bad Kissingen werde er gerufen, etwa nach Stralsbach, Burkardroth, Premich, Steinach oder Bad Bocklet. In der Weihnachtszeit sei er in 25 Einsätzen insgesamt 700 Kilometer durch die Rhön unterwegs gewesen. Es gebe Situationen, in denen der Notarzt gebunden ist und man einen anderen benötigt. "Aber in der Regel ist es so: Wo ich hin muss, ist der Standort nicht besetzt". Es sei nicht im Sinne des Erfinders, dass er von Bischofsheim aus die gesamte obere Rhön abdecke. "Die Versorgung ist aktuell so schlecht: Da geht es tatsächlich um Menschenleben, nicht um Befindlichkeiten".
Axel Heise, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB), verweist auf deren gemeinsamen Sicherstellungsauftrag zusammen mit dem Zweckverband für Rettungsdienst und Feuerwehralarmierung (ZRF) Schweinfurt. Auch wenn einzelne Notarztstandorte nicht besetzt seien, sei die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt: "In diesem Fall wird der nächstgelegene Notarzt oder der Rettungshubschrauber alarmiert." Der Hubschrauber kann laut Erich Martin nachts oder bei Nebel allerdings nicht fliegen. Dann müssten die Leute warten, bis irgendwo ein Notarzt frei ist und das "kann dauern", so der Mediziner.
Zuletzt war in Bad Königshofen nicht einmal die Hälfe der Dienste besetzt
Er betont, dass die Notfallsanitäter heute besser ausgebildet seien: "Sie können deutlich mehr schon vor unserem Eintreffen machen". Doch das Problem unbesetzter Notarzt-Stunden bleibt. Wie die KVB mitteilt, wiesen von den Rhöner Notarztstandorten zuletzt Mellrichstadt, Bad Königshofen und Hammelburg die niedrigsten Besetzungsquoten auf. So waren in Mellrichstadt im Oktober 2024 40,96 Prozent der Dienste besetzt, im November 64,13 Prozent und im Dezember 54,30 Prozent. In Bad Königshofen waren im Oktober 47,04 Prozent besetzt, im November 46,04 Prozent und im Dezember 43,82 Prozent. In Hammelburg waren im Oktober 53,49, im November 55,00 und im Dezember l46,64 Prozent besetzt.
Niemand kümmere sich darum, die Situation zu verbessern, klagt Martin. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) nicht, so die Meinung des Rhöner Hausarztes. KVB und ZRF hätten eine Arbeitsgruppe gegründet, der auch Notärzte aus der Region und Verbandsräte angehören, heißt es von Axel Heise von der KVB. Gemeinsam habe man bereits einige Verbesserungen erreicht. So seien seit Ende 2023 etwa die Integrierten Leitstellen und das Bereitschaftstelefon 116117 digital miteinander vernetzt. "Hier können Fälle ohne Verzögerungen zwischen den Einheiten vermittelt und somit Fehlsteuerungen vermieden werden", schreibt die KVB.
Dass es der Region an Notärzten fehlt, liegt nach Ansicht von Erich Martin auch an der Bezahlung. Die sei in Hessen und Thüringen deutlich besser als in Bayern. Dazu schreibt der KVB-Sprecher, die Vergütungssysteme seien nicht vergleichbar: "Das hessische Notarztsystem arbeitet unserer Kenntnis nach mit angestellten Notärztinnen und Notärzten". In Thüringen würden die Notärzte eine höhere Stundenpauschale erhalten, dafür aber eine niedrigere Einsatzvergütung.
Standorte im Rettungsdienstbereich Schweinfurt sollen erhalten bleiben
Martin sieht die Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte (AGBN) in der Pflicht, auf Verbesserungen hinzuwirken: "Aber da passiert nichts". Es gebe keine Aktionen und keine Öffentlichkeitsarbeit mit Blick auf die Missstände. Man sei im kontinuierlichen Austausch mit KVB, ärztlichem Leiter Rettungsdienst und bayerischem Innenministerium, informiert Dr. Thomas Jarausch, 1. Vorsitzender im Vorstand der AGBN.
"Wir verfolgen neben der Forderung nach angemessenen Notarzthonoraren auf das Niveau anderer Bundesländer auch den Ansatz, den Notarztdienst Bayern gemeinsam mit den anderen Protagonisten adäquat weiterzuentwickeln, damit die notärztliche Versorgung in Bayern auch in Zukunft sichergestellt werden kann", so Jarausch.
Als eine Möglichkeit empfahl das bayerische Innenministerium in einer Studie 2021, die Standorte in Bischofsheim und Mellrichstadt zu schließen und eine Wache in Bastheim neu zu errichten. "Vollkommen unrealistisch", so Erich Martin. Für die Ausgestaltung des Szenarios vor Ort ist der ZRF zuständig. Dessen Ziel ist, teilt er auf Anfrage mit, die Besetzung der Standorte zu verbessern, ohne dafür die Struktur zu verändern: "Der ZRF Schweinfurt beabsichtigt derzeit, alle bisherigen Notarztstandorte zu erhalten".