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Bad Neustadt
"Die Rhön steht auf": Der Protest wirkt heute noch nach
Den Geist der Solidarität wieder aufleben lassen. Rückblick und Ausblick zehn Jahre nach den massiven Protesten gegen den Arbeitsplatzabbau bei Siemens in Bad Neustadt.
In drei Gesprächsrunden wurde die Geschehnisse von damals und die aktuelle Situation am Siemens-Standort Bad Neustadt beleuchtet.
Foto: Eckhard Heise | In drei Gesprächsrunden wurde die Geschehnisse von damals und die aktuelle Situation am Siemens-Standort Bad Neustadt beleuchtet.
Eckhard Heise
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:10 Uhr

Den Geist der Solidarität aufleben lassen, auch das war ein Ziel der Gedenkveranstaltung "10 Jahre Die Rhön steht auf", räumte Siemens-Betriebsratsvorsitzender Oliver Mauer durchaus ein. Aber die Veranstaltung in der Stadthalle war noch mehr: Sie zeigte, welch Innovationspotential eine solche Massenbewegung freisetzen kann. Denn das Bad Neustädter Siemens-Werk steht ganz offensichtlich besser da, als vor den Protesten gegen die angekündigte Entlassung von 840 Mitarbeitern vor einem Jahrzehnt.

Ein ganze Region wurde wachgerüttelt

Dem Aufruf der Gewerkschaft, sich die Ereignisse vor einem Jahrzehnt noch einmal in Erinnerung zu rufen folgten natürlich nicht so viele Menschen, wie damals an den Protesten teilnahmen. Damals hatte der Schock über die Ankündigung einer Halbierung der Belegschaft eine ganze Region aufgerüttelt und zum Handeln bewegt. Doch auch zu der von der IG-Metall initiierten Zusammenkunft waren rund 250 Menschen gekommen.

Professionell hatte die Gewerkschaft die Ereignisse aufbereitet, mit Schautafeln, Protestschildern von damals und Illustrationen. Zur Einstimmung gab es erst einmal eine Präsentation mit Fotos und Zeitungsartikeln, kurzen Videosequenzen von den verschiedenen Aktionen wie den Großdemonstrationen in Bad Neustadt und München sowie von Prominenten aus allen Teilen der Gesellschaft, die sich ebenfalls solidarisierten.

Die Chronik des Widerstandes

Aufgearbeitet wurde das ganze Geschehen durch drei Podiumsrunden. Den erste Part mit der Rekapitulation der Ereignisse übernahmen Jens Öser (damals IG-Metall-Betriebsbetreuer), der damalige Betriebsratsvorsitzende Bernhard Omert,  Ann-Katrin Streit (damals Azubi) und Werner Schmitt (damals Betriebsrat), die von Moderator Sven Schröter befragt wurden. "Es war vollkommen unvorstellbar für uns gewesen, dass sich so etwas in Bad Neustadt ereignen kann", fasste Bernd Omert die Reaktion der vier Diskussionsteilnehmer zusammen. Es sei ein Schock gewesen, weil jeder angenommen habe, bei Siemens einen sicheren Arbeitsplatz zu haben. Gemeinsam schilderten sie die Chronik des Widerstands.

Symbole des Widerstandes erlebten ein Comeback in der Stadthalle in Bad Neustadt.
Foto: Eckhard Heise | Symbole des Widerstandes erlebten ein Comeback in der Stadthalle in Bad Neustadt.

Omert unterstrich, dass die breite Solidarität ihn mit Zuversicht erfüllt habe, dass mit dieser Unterstützung das Schlimmste abgewendet werden könne. Schon gar nicht konnte sich Schmitt vorstellen, dass nach den Protesten deutlich mehr Arbeitsplätze im Werk waren als vor Beginn der Proteste. Ann-Katrin Streit beschrieb ihre Ernüchterung, dass plötzlich das Leben eine unangenehme Wende erfahren kann, wenn an höherer Stelle entsprechend entschieden wird.

Ein Schock auch für die Kommunalpolitiker

In der zweiten Runde nahmen Landrat Thomas Habermann, IG-Metall Bevollmächtigter Peter Kippes, Lorenz Adler (vor zehn Jahren Gesamt-Siemens-Betriebsratsvorsitzender) und Bürgermeister Bruno Altrichter Platz. Für die Kommunalpolitiker sei die Nachricht aus der Zentrale in München genauso ein Schock gewesen, da sie niemals mit einem solch drastischen Einschnitt gerechnet hätten, beschrieben Habermann und Altrichter übereinstimmend. Aber unmittelbar darauf sei auch schon überlegt worden, was jetzt zu machen ist.

Auch auf Schautafeln wurde an den Widerstand einer ganzen Region erinnert.
Foto: Eckhard Heise | Auch auf Schautafeln wurde an den Widerstand einer ganzen Region erinnert.

Lorenz Adler beschrieb die Haltung im Gesamtbetriebsrat, der der festen Ansicht gewesen sei, dass der Widerstand von den Betroffenen vor Ort in die Hand genommen werden müsste. Peter Kippes kam das Ganze wie ein "Kampf gegen Goliath" vor, da die Bad Neustädter Niederlassung im Konzern nur ein winziges Puzzleteilchen darstelle. Habermann beschrieb, wie er auf politischer Ebene Unterstützung mobilisiert habe. Altrichter sei es nach eigenen Worten darum gegangen, einerseits auf breites Basis Aufmerksamkeit zu erzeugen, andererseits auch die Tragweite eines solch massiven Arbeitsplatzabbaus für die Familien und die Region aufzuzeigen.      

Wäre eine solch große Solidarität auch heute möglich?

Auf Nachfrage dieser Zeitung beteuerte eine Reihe von Zuhörern, dass heutzutage eine ähnliche Solidarität auch wieder möglich wäre, sollte Ähnliches eintreten. Damals sei wohl von den Verantwortlichen die Widerstandskraft unterschätzt worden. Diese Reaktion habe die Konzernmanager so stark beeindruckt, dass sie auch nachhaltig bis in die Gegenwart wirke.

Rund 250 Zuhörer kamen in die Stadthalle, um sich den Massenprotest von vor zehn Jahren, als 840 Stellen bei Siemens gestrichen werden sollten, in Erinnerung zu rufen.
Foto: Eckhard Heise | Rund 250 Zuhörer kamen in die Stadthalle, um sich den Massenprotest von vor zehn Jahren, als 840 Stellen bei Siemens gestrichen werden sollten, in Erinnerung zu rufen.

Die aktuelle Lage beschrieben dann der damalige Werklseiter Michael Frank, sein Nachfolger Peter Deml, Siemens-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Birgit Steinborn und Valeo-Werksleiter Silvio Zamzow. Übereinstimmend beschrieben die Vier die aktuelle Situation der Niederlassung als "hervorragende Ausgangsposition", um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.

Heute ein Vorzeigebetrieb im Digitalisierungsprozess

Mit dem Digitalisierungscenter und seiner Bedeutung für die Elektromobiltät – 200 000 Fahrzeuge fahren laut Zamzow schon mit einem Antriebsaggregat aus der Bad Neustädter Valeo-Produktion – sei der Standort inzwischen ein Vorzeigebetrieb im Digitalisierungsprozess. "Ich weiß nicht, ob wir ohne den Massenprotest von damals heute dort stehen würden, wo wir jetzt sind", fasste Oliver Mauer gegenüber dieser Zeitung zusammen.

    

 
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