Über Jahrzehnte hinweg gehörten die Ordensschwestern von der Kongregation der Schwestern von der Schmerzhaften Mutter zu Mellrichstadt. 1994 wurde für die Streitel-Schwestern, wie sie in der Stadt liebevoll genannt wurden, unter Pfarrer Roßmark ein neues Haus in der Bauerngasse 12 gebaut. "Damals bestand die Hoffnung, dass die Schwestern dauerhaft in Mellrichstadt bleiben", sagt Pfarrer Thomas Menzel.
Doch es kam anders: Das Gebäude mit vielen Treppen war nicht seniorengerecht, im September 2021 zogen mit Meinrada Böhnlein und Eberharda Schramm die letzten Schwestern aus. Sie verbringen ihren Ruhestand in Abenberg in Mittelfranken. Und die Katholische Kirchenstiftung St. Kilian Mellrichstadt, Eigentümerin der Immobilie, suchte nach Möglichkeiten, wie das Haus künftig genutzt werden kann.
Flüchtlinge ziehen aus, Kinder ziehen ein
"Die Verwaltung eines solchen Hauses können die Ehrenamtlichen in der Kirchenstiftung nicht leisten", sagt Pfarrer Menzel klipp und klar. Im Dezember 2021 wurde der Verkauf von der Diözese ausgeschrieben. Und wieder kam es anders: Mit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine im Februar 2022 wurden Unterkünfte für Flüchtlingsfamilien gesucht. Knapp 20 Personen kamen in der Folgezeit in dem mehrstöckigen Gebäude unter. Nun ziehen die letzten Bewohner aus. Denn das einstige Schwesternhaus wird künftig für die Einrichtung heilpädagogischer Kinder- und Jugendwohngruppen genutzt.
Wie Pfarrer Thomas Menzel und Kirchenpfleger Elmar Will im Gespräch mit dieser Redaktion mitteilen, ist der Verkauf seit kurzem unter Dach und Fach. Neuer Eigentümer ist das Bayerische Rote Kreuz (BRK) in Rhön-Grabfeld. Kreisgeschäftsführer Ralf Baumeister und Zoher Said, Bereichsleiter für Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, erläutern, was nun geplant ist.
Zwei Gruppen finden in Mellrichstadt ein Zuhause
Wenn Kinder aus sogenannten Problemfamilien genommen werden, sucht das zuständige Jugendamt nach geeigneten Betreuungsmöglichkeiten. Hier bietet sich das BRK Rhön-Grabfeld an: In Mellrichstadt werden von der Hilfsorganisation heilpädagogische Kinder- und Jugendwohngruppen eingerichtet. Fünf Kinder bis zu sechs Jahren und fünf Sieben- bis Zwölfjährige werden hier, eingeteilt in zwei Gruppen, ein neues Zuhause finden.
Der Kreisverband hat Erfahrung auf diesem Gebiet. Seit 2016 werden im ehemaligen Schwesternhaus in Wollbach 14 Mädchen und Jungen zwischen 9 und 18 Jahren betreut, wie Ralf Baumeister sagt. Doch die breite Altersspanne sorgt auch für Probleme: "Es ist schwierig, Kinder und Jugendliche in einer Gruppe zusammen zu betreuen." Mit dem Kauf des Schwesternhauses in Mellrichstadt können die Gruppen besser nach Alter eingeteilt werden.
Aus Wollbach verabschiedet sich die Wohngruppe ganz, wie Baumeister sagt. Eine dritte Gruppe mit 13- bis 18-jährigen Schützlingen wird künftig in der Sonnenstraße in Bad Neustadt untergebracht. In der ehemaligen Kreisklinik in Bad Neustadt betreut das BRK zudem eine Gruppe von knapp 30 unbegleiteten Flüchtlingen.
Bedarf an Betreuungsplätzen wird immer größer
"In den vergangenen zwei Jahren ist der Bedarf an heilpädagogischen Betreuungsplätzen immer mehr gestiegen", sagt Ralf Baumeister. Daher sei das Schwesternhaus in Mellrichstadt wieder in den Fokus der Hilfsorganisation gerückt. Schon während der Corona-Pandemie, noch vor dem Ukraine-Krieg, wollte das BRK das Gebäude anmieten, hatte nach Kriegsausbruch und der damit verbundenen Unterbringung der Geflüchteten das Vorhaben aber nicht weiterverfolgt. Im Juni vergangenen Jahres wurden die Verhandlungen mit der Kirchenstiftung wieder aufgenommen.
Nun ist der Kaufvertrag unter Dach und Fach. Die letzten Flüchtlinge ziehen aus und werden in den vom Landkreis angemieteten Räumen der ehemaligen Vier Jahreszeiten an der Meininger Landstraße 1 unterkommen. Entsprechend können bald die Umbauarbeiten im Schwesternhaus beginnen, in das spätestens ab 2025 die ersten Kinder einziehen sollen. Allerdings muss erst das Personal gefunden werden, damit die Kinder dort wie in einer Familie leben können, sagt Zaher Said.
Für die Kinder ist das BRK die neue Familie
Er erläutert das Konzept der Einrichtung in Mellrichstadt: Die Kinder, die aus Problemfamilien in die Einrichtung kommen, werden rund um die Uhr betreut, jedem Kind ist eine feste Bezugsperson zugeordnet. Auch in den Ferien und an Wochenenden ist das Personal durchgehend vor Ort. Rund 14 Arbeitsplätze entstehen für beide Gruppen, vorwiegend Erzieher und Sozialpädagogen, aber auch eine Hauswirtschaftskraft und eine Krankenschwester für die Kleinsten werden gesucht.
Die Babys und Kinder, die vom Jugendamt aus ihren Familien herausgenommen werden, kommen allerdings nicht nur aus dem Landkreis Rhön-Grabfeld. Laut Ralf Baumeister nehmen Anfragen nach Betreuungsplätzen aus der ganzen Region und von weiter her, etwa aus Erfurt und Kulmbach, zu. "Es gibt immer weniger Pflegefamilien, unter anderem auch, weil Wohnraum knapp ist", sagt er. Der Bedarf nehme aber stetig zu: "Wir erhalten derzeit im Monat mindestens fünf Anfragen von Jugendämtern, die nach Plätzen suchen."
In Mellrichstadt ist alles da
Das Schwesternhaus in Mellrichstadt ist für ihn als Standort der neuen heilpädagogischen Gemeinschaft bestens geeignet. "Es ist alles da: Direkt neben dem Haus entsteht ein neuer Spielplatz, Kindergarten und Grundschule sind nicht weit weg, es gibt Hausärzte, eine Praxis für Psychotherapie und eine gute Bus- und Bahnanbindung an die umliegenden Orte", so Baumeister.
"Die Kinder wachsen hier im Landkreis auf, können hier Fuß fassen und werden im besten Fall in ein selbstständiges Leben entlassen", sagt Zoher Said. Das ist das Ziel der Verantwortlichen, die dafür sorgen wollen, dass die jungen Menschen einen Halt im Leben finden.
Lebenswerk von Franziska Streitel wird fortgesetzt
Für Pfarrer Thomas Menzel und auch Bürgermeister Michael Kraus schließt sich mit der neuen Nutzung des einstigen Schwesternhauses ein Kreis. "Vor 30 Jahren wurde das Haus für Menschen gebaut, die soziale Dienste verrichten, und es stand Hilfsbedürftigen offen. Jetzt werden darin die Kleinsten der Gesellschaft, die Hilfe brauchen, betreut." Das gefällt auch Schwester Meinrada, wie Elmar Will weiß: "Ordensgründerin Franziska Streitel hat sich auch um heimatlose Kinder gekümmert. Mit der heilpädagogischen Einrichtung wird ihr Lebenswerk fortgesetzt."