Das Gästebuch im Pflegeübungszentrum, kurz PÜZ, der Caritas in Mellrichstadt füllt sich weiter mit bekannten Namen. Nicht nur die Bundestags- und Landtagsabgeordneten aus den hiesigen Wahlkreisen, auch die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml, die Ende April 2019 zur Eröffnung des PÜZ gekommen war, und der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, haben sich schon dort verewigt. Am Dienstag besuchte nun Barbara Stamm das Modellprojekt für alle, die Pflege brauchen, und zeigte sich sehr beeindruckt von der Arbeit, die in Mellrichstadt geleistet wird. "Hier wird der Würde des Menschen Rechnung getragen", schrieb sie ins Gästebuch.
Stamm, die Ehrenvorsitzende des Caritasverbands der Diözese Würzburg ist, hat sich von Anfang an sehr für die Idee eines Pflegeübungszentrums interessiert und nun auch ihre Unterstützung zugesagt, wenn es um die Weiterverhandlungen der Finanzierung mit den Krankenkassen geht. Bei einem Rundgang durch das PÜZ stellte Ulli Feder, Pflegedienstleitung der Sozialstation St. Kilian, die Einrichtung vor, in der Pflegebedürftige und Angehörige vorübergehend einziehen und, von Fachleuten angeleitet, Pflege üben können.
Pflegebedürftige wollen lernen, selbständig zu bleiben
Wird ein Familienmitglied pflegebedürftig, sind die Angehörigen mit der neuen Situation oftmals überfordert und stehen hilflos vor einem Berg von Problemen. Im PÜZ erhalten sie Unterstützung, die dankbar angenommen wird. Sie lernen Handgriffe, wie Kranke vom Bett in den Rollstuhl gesetzt oder wie sie gewaschen werden können. Doch noch ein anderer Aspekt wird in der täglichen Praxis deutlich: Nicht nur Angehörige wollen Pflege üben, sondern auch Pflegebedürftige, die so lange wie möglich allein zu Hause leben wollen, möchten lernen, wie sie mit ihren Einschränkungen zurecht kommen können.
Zudem erweitert das neue PÜZ-Mobil das Konzept. Mit diesem Fahrzeug können die Angehörigen von Pflegebedürftigen testen, ob sie mit den betreuten Personen mobil bleiben können, ob das Ein- und Aussteigen funktioniert und welche Stolperfallen lauern, wenn der Angehörige etwa im Rollstuhl sitzt. Natürlich können auch Pflegebedürftige selbst ausprobieren, ob sie noch eigenständig mobil unterwegs sein können.
Auch andere Träger sollen das PÜZ-Konzept nutzen können
Die Rundumbetreuung durch die Mitarbeiter der Caritas sowie deren Flexibilität beeindruckten Barbara Stamm. "Die warme Hand eines Menschen ist in der Pflege nicht zu ersetzen", sagte sie und sprach damit Kreiscaritasgeschäftsführerin Angelika Ochs aus der Seele. Johanna Dietz, Leiterin der ambulanten Altenhilfe im Kreiscaritasverband Rhön-Grabfeld, führte an, dass die Verantwortlichen der Caritas gerade dabei sind, Leitlinien für das PÜZ zusammenzufassen, damit auch andere Träger in ganz Deutschland das bislang einzigartige Konzept nutzen können.
Im Gespräch mit Angelika Ochs, den PÜZ-Ideengeberinnen Ulli Feder, Andrea Ebert und Johanna Dietz, dem Vorsitzenden des Kreiscaritasverbandes, Reiner Türk, dem Landtagsabgeordneten Steffen Vogel sowie Landrat Thomas Habermann und seinem Stellvertreter Peter Suckfüll wurde schnell deutlich, dass Barbara Stamm Expertin auf dem Gesundheitssektor ist. Die ehemalige bayerische Sozial- und Gesundheitsministerin wusste insbesondere um die Probleme der Finanzierung von neuen Konzepten, die nicht in vorgefertigte Schubladen passen, durch die Pflege- und Krankenkassen. Ein Jahr lang ist die Finanzierung des Modellprojekts PÜZ zunächst gesichert, dann muss nachverhandelt werden. Hierbei will die langjährige Landtagspräsidentin ihr politisches Gewicht in die Waagschale werfen, wie sie versicherte.
Die Menschen in ihrer Lebenssituation abholen
"Jeder möchte, so lange es geht, zu Hause bleiben, auch wenn er gepflegt werden muss", so Stamm. "Je mehr man hier investiert, desto besser ist das für die Menschen. Und wenn wir den ambulanten Bereich unterstützen, spart das in der Pflege sogar Kosten", machte Stamm deutlich. Insbesondere in Pflegestufe eins und zwei müsse man den Menschen die Möglichkeit geben, zu lernen, dass man selbst noch vieles machen kann, um ein Stück weit unabhängig zu bleiben. "Hier müssen wir die Menschen in ihrer Lebenssituation abholen", so Ulli Feder.
"Der Freistaat Bayern unterstützt die Entwicklung toller Modelle, doch was nutzt das, wenn die Kassen diese nicht ausreichend finanzieren", sprach Stamm den Experten der Caritas aus der Seele. Sie kritisierte, dass sich die Politik in den letzten Jahren immer weniger an der Lebenswirklichkeit der Menschen orientiert habe, und erntete damit einhelliges Kopfnicken in der Runde. "Unser neues Konzept passt in keine Finanzierungsschiene und nicht ins Konzept der Krankenkassen", machte Reiner Türk deutlich. Er forderte zudem mehr Unterstützung durch die Pflegekassen, um den Pflegebedürftigen helfen zu können.
"Die Psyche der Menschen wird von den Krankenkassen einfach zu wenig gesehen", kritisierte Stamm und machte auf ein weiteres Problem aufmerksam: "Wenn wir von der Vereinbarkeit von Familie und Beruf reden, rückt hier in der Zukunft auch immer mehr die Pflege in den Vordergrund. Und darauf sind wir von gesetzlicher Seite nicht vorbereitet."
Die Politiker könnte sich vorstellen, das Konzept des PÜZ auszuweiten und auch für Menschen mit Demenz auszugestalten. Damit traf sie in Mellrichstadt einen Nerv, denn auch Angelika Ochs und Ulli Feder haben sich dazu schon ihre Gedanken gemacht.
Barbara Stamm will sich für das PÜZ einsetzen
Die Ehrenvorsitzende des Caritasverbands der Diözese Würzburg bot Angelika Ochs an, gemeinsam eine Strategie zu entwickeln, wie das PÜZ auf lange Sicht bei den Kassen in den Fokus gerückt werden könne. Ochs will nun die Erfahrungen in der täglichen Arbeit sammeln und bündeln, um dann im nächsten Jahr mit dieser Grundlage in neue Verhandlungen zu treten. Barbara Stamm zeigte sich energisch: "Dann wollen wir hören, was die Kassen weiter zum Modellprojekt beitragen können."