Wie es sich anhört, wenn eine Landmine explodiert, weiß Reinhold Albert seit seiner Kindheit. Albert stammt aus Sternberg im unterfränkischen Grabfeld, einem winzigen Weiler direkt an der bayerisch-thüringischen Grenze. Besonders in den frühen Sechziger Jahren, als Hunderttausende Minen entlang der Grenze gerade verlegt worden waren, hörten der kleine Reinhold und seine Eltern immer wieder den dumpfen Knall, mit dem die Minen hochgingen. Meist war es ein Wildtier, das mit seinem Gewicht die Explosion ausgelöst hatte. Aber manchmal nicht.
Reinhold Albert: Aufgewachsen mit dem Geräusch explodierender Minen
Reinhold Albert erinnert sich noch heute an den Flüchtling aus dem Osten, der - kaum einen Kilometer von Alberts Elternhaus entfernt - starb. „Er ist auf eine Mine getreten, ihm wurde der Unterschenkel abgerissen, er ist verblutet. Einen Tag später hat man ihn gefunden.“ Und auch der traurige Fall des verwirrten Dorfbewohners, der sich aufmachte, gen Osten zu laufen, steht Albert noch heute vor Augen: „Die Leute haben versucht, ihn abzuhalten, ihn zu warnen. Aber der Mann ist auf den Stacheldraht zu gelaufen und dann ist eine Mine hochgegangen.“
Viele Jahrzehnte sind seither vergangen. Rein theoretisch könnte Albert, mittlerweile Pensionär, querfeldein wandern, um die ehemalige Grenze zu queren; vielleicht um einen Besuch im nahegelegenen thüringischen Hellingen abzustatten, einem Örtchen, in dem immer noch ein Lenin-Denkmal steht. Aber Albert hat fast sein Leben lang im Grenzgebiet gewohnt. Hat jahrzehntelang dort als Grenzpolizist gearbeitet. Und schließlich als Kreisheimatpfleger jeden Winkel des Grenzgebiets erkundet. Auf die Frage, ob er, der das Rhöner Grenzgebiet kennt wie kein zweiter, querfeldein wandern würde, über die ehemalige Grenze, sagt er: „Besser nicht“.
Der Kolonnenweg ist sicher. Querfeldeinwanderungen sind es nicht.
„Ich mache manchmal Führungen mit Schülergruppen“, erzählt Albert. „Und dabei schärfe ich den Kindern immer ein, wie vorsichtig sie sein müssen.“ Denn auch jetzt noch, 30 Jahre nach der Grenzöffnung, sei das Gelände nicht sicher. Zwar könne man auf dem Kolonnenweg, auf dem früher DDR-Grenzer in ihren Fahrzeugen patrouillierten, gefahrlos wandern. „Aber bitte nicht vom Weg abgehen! Nicht in unwegsamen Gelände herumstreifen! Da sind nämlich immer noch Minen!“
Der Kreisheimatpfleger sagt, er wisse von „mindestens drei Fällen“, wo im fränkisch-thüringischen Grenzgebiet lange nach der Grenzöffnung voll funktionstüchtige Minen entdeckt wurden. Bis in den „Spiegel“ schaffte es 2001 der Minenfund bei Behrungen, einem südthüringischen Örtchen nur wenige Kilometer von Mellrichstadt entfernt. Beim Spaziergang mit seinem Vater hatte damals ein zehnjähriger Bub aus Unterfranken eine russische Plastikmine entdeckt. Wäre das Kind versehentlich draufgetreten, hätte es wohl nicht überlebt.
Auch die Geschichte von der oberfränkischen Pilzsammlerin, die 2010 bei Roth im thüringischen Kreis Sonneberg nicht nur Pilze, sondern zusätzlich eine Mine fand, griffen etliche Zeitungen auf. Genaue Zahlen, darüber, wie viele Minen noch an der im Rhöner Grenzgebiet verborgen liegen, existieren nicht. Aber es gibt Angaben darüber, wie viele Minen pro Jahr der Kampfmittelräumdienst entfernt.
Sprengkommando Erfurt: Im vergangenen Jahr rund zehn Minen an früherer Grenze gesprengt
Den Kampfmittelräumdienst für Thüringen hat die bundesweit agierende Firma Tauber übernommen: Sie stellt das „Sprengkommando Erfurt“, das rund um die Uhr Bereitschaft hat und pro Jahr zu 240 bis 250 Einsätzen ausrückt. Nach den Worten von Michael Heinze, dem Leitenden Truppführer, geht es bei den meisten dieser Einsätze allerdings um Munitionsfunde aus dem Zweiten Weltkrieg. Deutsche Soldaten hätten 1945 in Schützengräben, Bombentrichtern, Bächen, Talsperren, Seen und Flüssen Munition entsorgt. „Aber rund zehn Einsätze pro Jahr haben mit DDR-Minen zu tun“, sagt Heinze. Auch im vergangenen Jahr noch seien Zweierteams von Tauber rund zehn Mal an die innerdeutsche Grenze beordert worden, um die „sehr haltbaren“ DDR-Plastikminen durch eine kontrollierte Sprengung zu beseitigen.
Kampfmittelräumer finden Minen etliche Kilometer von Grenze entfernt
Auf die Frage, warum die hochgefährlichen DDR-Minen in den Jahren seit der Grenzöffnung nicht systematisch weggeräumt worden seien, geben Truppführer Heinze und Albert identische Antworten. Doch, die Minen seien systematisch entsorgt worden. Kampfmittelräumer hätten nach der Wende im Auftrag des Bundes die Grenzlinie gesäubert. Wenn trotzdem noch Minen gefunden würden, liege das an Erdbewegungen. „Wir finden Minen drei, vier, fünf Kilometer von der Grenze entfernt“, berichtet Heinze. Minen könnten beispielsweise nach heftigen Stürmen oder Regenfällen weggeschwemmt worden sein.
Dem Kampfmittelräumer ist es ein Anliegen, Wanderer oder Spaziergänger auch heute noch vor Minen oder Kampfmitteln zu warnen: „Nie berühren, nie die Lage verändern!“ Wer die gefährlichen Relikte aus der DDR-Zeit finde, solle sich den Fundort merken und sofort die Polizei anrufen. Die verständige dann das Sprengkommando.