Bereits als 2015 viele Geflüchtete nach Deutschland kamen, haben Alexandra Ott und Klaus Oßwald sich in Sachen Flüchtlingsarbeit engagiert, damals noch für die Caritas. Jetzt sind sie wieder seit einem knappen Jahr in der Notunterkunft im ehemaligen Krankenhaus in Marktheidenfeld im Einsatz. Zweimal pro Woche beraten sie die Bewohnerinnen und Bewohner in behördlichen Fragen, kümmern sich um die Zulassung zu Integrationskursen, Berufsintegrationsklassen oder in Sachen Arbeitserlaubnis. Im Interview erzählen sie, wie sie die Stimmung in der Unterkunft erleben, was sich gegenüber 2015 geändert hat und warum Kontakte zur Bevölkerung fehlen, aber dringend nötig wären.
Alexandra Ott: Meistens stehen viele Menschen vor unserer Tür – auch ohne Termin. Denen versuchen wir dann zu helfen. Der eine kommt zum Beispiel mit seinen ganzen Job-Center-Unterlagen, der nächste will sich zum Integrationskurs anmelden, der andere hat nur eine kurze Frage.
Klaus Oßwald: Die meisten Flüchtlinge wollen ihre Zeit hier nutzen. Viele fragen auch nach Arbeit, weil sie sonst den ganzen Tag nichts tun können. Sie werden versorgt, sie müssen nicht einkaufen. Was sich für uns erstmal nach Urlaub anhört, ist auf die Dauer schwer zu ertragen.
Ott: Wir wurden auch schon nach ehrenamtlicher Arbeit gefragt. Aber das scheitert meist an der Sprache.
Oßwald: Eigentlich ist es ein großer Wartebahnhof. Die Leute sind vorübergehend da, bis sie in eine andere Unterkunft weiterverteilt werden. Niemand weiß, wie lange das dauert. Wochen, Monate – das macht natürlich was mit den Menschen. Die wissen nicht: Lohnt es sich jetzt, hier Fuß zu fassen? Oder nicht?
Ott: Das ist ganz unterschiedlich, manche sind sehr interessiert und engagiert. Schauen zum Beispiel, ob sie sich zum Deutschkurs anmelden können, in die Schule gehen können. Andere tun sich aus psychischen oder gesundheitlichen Gründen schwerer und warten erstmal ab.
Oßwald: Da hat jeder seine Geschichte. Vor allem die afghanischen Geflüchteten haben oft schon mehrere Stationen und Länder durchlaufen. Dass da an manchen EU-Außengrenzen, wie zum Beispiel in Kroatien, teils sehr menschenverachtende Zustände herrschen, darüber gibt es mehrere Dokumentationen.
Ott: Es gibt manche, denen geht es psychisch richtig schlecht. Die nehmen auch teils heftige Medikamente. Aber nur Medikamente helfen wenig, damit stellt man jemanden nur ruhig. Doch ohne Sprache keine Therapie. Manchmal würde es schon helfen, sie hätten ein bisschen mehr Privatsphäre oder eine Beschäftigung um sich abzulenken. Die sind ja teils mit vier, fünf Leuten zusammen im Zimmer.
Ott: Ich denke, viele Ehrenamtliche haben sich aufgerieben. Die haben viel gegeben, sind mit unserer Bürokratie in Berührung gekommen. Manche sind auch daran verzweifelt. Es ist schon sehr viel im Moment.
Oßwald: Die Stimmung hat sich geändert. Es ist nicht mehr so wie 2015, wo geflüchtete Menschen mit offenen Armen empfangen wurden. Es gibt viele Vorbehalte, es gibt viele Unsicherheiten auf beiden Seiten.
Ott: Ich kann verstehen, dass es so manchem Unbehagen bereitet, wenn die Unterkunft-Bewohner in Gruppen durch Marktheidenfeld laufen. Das machen sie aber auch, weil sie sich alleine unsicher fühlen und kein Deutsch sprechen. Oder wenn sie als Gruppe in die Sparkasse gehen, um ein Konto zu eröffnen und nur einer von ihnen Englisch spricht. Das wirkt befremdlich. Andererseits wird auch viel Angst geschürt: "Wo führt das alles hin? Schaffen wir das?" Das spiegelt sich auch vor Ort wider und lähmt in gewisser Weise. Gutes tun wir uns dadurch jedenfalls nicht.
Oßwald: Es fehlt einfach der Kontakt zu Einheimischen. Egal, ob die jemanden zur Bank begleiten, versuchen, ein wenig Deutsch beizubringen oder die Geflüchteten mal mit zum Sportverein nehmen. An jedem Wohnort machen es die Menschen aus und wir leben ja von den Beziehungen, die wir knüpfen. Wenn ich jemanden in der Stadt begegne, den ich wiedererkenne - das weiß man ja von sich selbst, wie sich da das Gesicht verändert.
Ott: Es wäre einfach gut, wenn die Menschen etwas zu tun hätten. Der TV Marktheidenfeld hat meines Wissens schon Angebote gemacht. Einige Geflüchtete haben sich selbst schon einen Sprachkurs organisiert. Ein Afghane, der bereits gut Deutsch spricht, gibt seinen Kollegen Unterricht. Helfen könnte man auch beim Thema Wohnen. In der Unterkunft sitzen einige Syrer, die sind anerkannt, arbeiten teilweise, finden aber keine Wohnung. Weil niemand mit ihnen auf Wohnungssuche geht. Weil es wenig Bereitschaft gibt, an jemanden, der nur gebrochen Deutsch spricht, zu vermieten und weil es einfach zu wenig Wohnungen gibt. Das ist ein Riesenproblem. Wo sollen sie denn hin? Es braucht eine Gesellschaft, die aufnimmt und es braucht auch die Bereitschaft, sich aufnehmen zu lassen.
Oßwald: Zum Beispiel, wenn der Sportverein ein Angebot macht, auch den Mut zu finden, hinzugehen.
Ott: Aber auch seine Bilder im Kopf zu ändern: Viele Geflüchtete haben falsche Vorstellungen von Deutschland und merken vor Ort, wie kompliziert es doch ist.
Oßwald: Ich kann mir vorstellen, dass sich viele nicht trauen, ehrlich zu sein und den Daheimgebliebenen zu berichten: "Ey Leute, hier ist es verdammt schwer, ich hab es nicht geschafft." Die Familien haben teils lange gespart, um diesem Familienmitglied die Flucht zu ermöglichen.
Ott: Manchmal suggerieren auch Posts in den Sozialen Medien ein falsches Bild. Wenn sich zum Beispiel jemand mit seinem Auto fotografiert, das er jetzt hat, um auf die Arbeit zu kommen: Das ist für viele ja schon mehr, als sie jemals hatten. Wie kompliziert das aber war, da hinzukommen. Wie sehr man da an sich arbeiten muss, das wird oft nicht so klar. Ich sage ganz oft in der Sprechstunde: Wer hat dir gesagt, dass es bei uns schnell geht? Oder dass es einfach ist?
Oßwald: Ich kann nur aus Karlstadt berichten, weil ich dort wohne, dass es dort eine Integrationsfachkraft von der Stadt gibt, über die jetzt auch der aktuelle Helferkreis organisiert ist. Das funktioniert sehr gut.
Ott: Dadurch, dass so wenig bekannt ist, sind die Menschen oft interessiert und überrascht: Ah, da sind auch Familien? Aus welchem Land kommen die? Wie sind die so? Warum machst du das? Oft sind sie auch betroffen, wenn man erzählt, mit wie wenig die Leute kommen, dass sie noch nicht einmal Winterschuhe haben.
Ott: Ich sage, dass zu mir noch keiner unfreundlich war. Aber dass sich jeder auch selbst vorstellen kann, was es mit einem machen würde, in einer Art Jugendherberge mit 250 anderen Deutschen zu wohnen. Manche Menschen werden auch politisch und wollen diskutieren. Aber das Flüchtlingsthema ist so komplex.
Ott: Ich mache das, weil die Menschen sonst keine andere Möglichkeit haben, hier weiterzukommen. Und weil es schön ist zu sehen, wenn die Leute vorankommen und dann irgendwann einen Job haben, zum Beispiel im Hotel. So etwas brauchen wir.
Oßwald: Ich fände es toll, wenn sich Leute finden würden, die sich die Zeit, Energie und Kraft nehmen, Kontakt aufzunehmen, mal mit den Leuten zu reden, die Stadt zu zeigen, zum Arzt zu fahren, kleinere Hilfestellungen geben. Das könnte viel Positives bewirken.