
Gut vier Dutzend Menschen trafen sich am Freitag im Garten des Karlstadter evangelischen Gemeindezentrums. Eingeladen hatte der Helferkreis Karlstadt. Während sonst hier das freitägliche offene Treffen zu Kaffee und Kuchen stattfindet, war diesmal das muslimische "Fastenbrechen" der Anlass.
Es ist der dritte Tag des diesjährigen Fastenbrechens. Sakine Azodanlou verteilt zum "Zuckerfest" selbstgemachtes "Baklava", eine zuckersüße Blätterteigpastete, die im ganzen Nahen Osten und auf dem Balkan weit verbreitet ist. Zum Zuckerfest gehört sie ebenso wie der Lebkuchen und die Marzipanschnitten zu Weihnachten.
Einmal im Monat lädt der Helferkreis am Freitag zum Treffen ins Gemeindezentrum ein, sagt Günther Rösch. Eingeladen sind prinzipiell alle, Einheimische und Fremde. "Beim letzten Treffen im Pfarrsaal war der Raum voll", sagt Azodanlou. Die Besucher kommen aus den gegenwärtigen Brennpunkten der Welt: Syrien, Afghanistan und der südlichen Türkei, aber auch aus der Elfenbeinküste und der Ukraine. Sie wohnen derzeit in der Erwin-Ammann-Halle oder in dezentralen Einrichtungen.
Eine Art "Speed-Dating" als Deutsch-Training
Zu den Besuchern gehört auch die Familie Adiyaman, die mit ihren drei Kindern infolge des verheerenden Erdbebens im vergangenen Jahr aus Südanatolien nach Franken gekommen sind. Sie haben hier mittlerweile durchaus schon Fuß gefasst: die Kinder gehen in die Schule und in den Kindergarten. Der Vater Hasan war in seiner Heimat gelernter Gabelstaplerfahrer und möchte möglichst bald hier seinen Beruf ausüben dürfen. Die Mutter Besey ist Hausfrau. Für die Familie sind die Treffen beim Helferkreis und jetzt beim Zuckerfest eine Möglichkeit, Kontakt zu anderen Menschen zu bekommen.

Um das zu fördern, hat der Helferkreis eine Art "Speed-Dating" eingeführt. Fremde Menschen sitzen einander für eine Weile gegenüber, stellen sich vor und berichten von ihrem Leben. "Für viele eine Gelegenheit, endlich mal Deutsch zu sprechen", sagt Rösch. Für die Familien gibt es auch eine Mutter-Kind-Singgruppe. Die Angebote sind grundsätzlich kostenfrei, sie werden aber von Karlstadter Organisationen tatkräftig unterstützt. Gerade erst hat der Lions-Club eine großzügige Spende zugesagt.
Für den Zuckerfest-Nachmittag hatte sich die ehemalige Erzieherin Evi Krempel einige Spiele für die Kinder ausgedacht und Azodanlou verteilte entsprechend dem Zuckerfest Süßigkeiten an die jungen Besucher.
Verstärkter Zulauf in der Moschee während des Fastenmonats
Auch in der Sultan-Süleyman-Moschee wurde das Zuckerfest gefeiert: Cem Acikgöz vom Vorstand der Gemeinde erzählt, dass für das Zuckerfest nichts anderes als in den Jahren zuvor veranstaltet wurde, hauptsächlich ein Gebet am Mittwochmorgen. Bisher habe sich nur eine kleine Gruppe Geflüchteter der Gemeinde angeschlossen. Die Moschee habe sich nicht mit Aktionen in der Unterstützung der Geflüchteten aus der Erwin-Ammann-Halle eingebracht, da die Stadt und der Helferkreis sehr aktiv seien, wie Acikgöz erklärt.

Einen deutlich größeren Zulauf erlebt derzeit Cengiz Sarioglu, Sprecher der Diyanet-Ditib-Moschee: Um die 30 Personen aus der Erwin-Ammann-Halle zählt er etwa in seiner Gemeinde. Allerdings schränkt er ein, dass die Zeit des Ramadans einen verstärkten Besuch der Moschee bedeuten kann und will erst abwarten, ob auch danach noch so viele neue Gemeindemitglieder bleiben.
"Wir haben sie herzlich aufgenommen", sagt er über die Bewohnerinnen und Bewohner der Notunterkunft. Die Geflüchteten würden sich einbringen, halfen beispielsweise beim traditionellen Kochen jeden Samstag im Ramadan in der Moschee. Zusammen mit Gemeindemitgliedern hätten sie zudem Essen in die Erwin-Ammann-Halle gebracht und dort verteilt, auch an nicht-muslimische Geflüchtete. Zum Zuckerfest veranstaltete die Moschee ebenfalls hauptsächlich ein Gebet am Mittwochmorgen.
Essen in der Halle konnte nach Sonnenuntergang erwärmt werden
Während des Ramadans hatte es in der Erwin-Ammann-Halle einen Stromausfall gegeben, womöglich ausgelöst durch das Kochen in der Halle. Im islamischen Fastenmonat essen die Fastenden erst nach Sonnenuntergang. Das Landratsamt bestätigt auf Anfrage, dass seit einem Gespräch mit Vertretern des Landratsamts im Anschluss an den Vorfall die Essensversorgung unproblematisch verlaufen ist. Der Sicherheitsdienst habe verstärkt darauf geachtet, dass die Bewohner ein ausreichend großes Zeitfenster hatten, um das Essen zu erwärmen. Weiterhin sei es nicht möglich, allen Bewohnerinnen und Bewohnern das selbstständige Kochen zu gestatten – dafür stünden keine ausreichenden Kapazitäten zur Verfügung.
