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Würzburg/Karlstadt
Überraschung im Berufungsprozess zum ICE-Anschlag auf Werntalbahn: Plötzlich bröckelt die Verteidigungsstrategie
Viele Monate lang war sie ausgesetzt, jetzt geht die Verhandlung gegen zwei Querdenker am Landgericht Würzburg weiter. Die neue Aussage eines Ermittlers ändert vieles.
Notbremsung in voller Fahrt: Auf der Werntalbahn-Strecke im Landkreis Main-Spessart geriet im Januar 2021 ein ICE in Gefahr durch Plakate auf den Gleisen. Der Berufungsprozess in dem Fall läuft neu an. 
Foto: Günter Roth (Symbolbild) | Notbremsung in voller Fahrt: Auf der Werntalbahn-Strecke im Landkreis Main-Spessart geriet im Januar 2021 ein ICE in Gefahr durch Plakate auf den Gleisen. Der Berufungsprozess in dem Fall läuft neu an. 
Christian Ammon
 |  aktualisiert: 12.02.2025 02:41 Uhr

Mehr als vier Jahre ist es inzwischen her. Zum Jahresanfang 2021 hatten mehrere Personen auf der Werntalbahn zwischen Waigolshausen im Landkreis Schweinfurt und Gemünden in Main-Spessart Plakate angebracht, in die ein ICE-Zug fuhr. Rasch fiel damals der Verdacht auf die sogenannte Querdenker-Szene. Zwei Verdächtige wurden einen Monat später festgesetzt.

Im Jahr 2022 verurteilte das Amtsgericht Gemünden einen heute 40 Jahre alten Mann aus Bad Bocklet und eine 63-jährige Frau aus Bad Kissingen wegen fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr und Nötigung zu Freiheitsstrafen. Der folgende Berufungsprozess am Landgericht Würzburg wurde Ende Mai 2024 ausgesetzt, weil Nachermittlungen nötig geworden waren und ein Sachverständigengutachten eingeholt werden sollte.

Seit dieser Woche wird jetzt das Berufungsverfahren neu aufgerollt. Und es barg gleich eine faustdicke Überraschung: Für die sorgte die erneute Zeugenaussage des Polizeibeamten, der mit der Überwachung des Umfelds des 40-Jährigen betraut gewesen war. Seiner Feststellung nach stimmen die bisher für den Tattag festgestellten Zeitangaben nicht. Zufällig habe er dies nun bei der Vorbereitung auf die neue Verhandlung festgestellt.

Neue Aussage des Ermittlers: Falsche Zeitangabe entdeckt

Was der Ermittler sagt: Ein in der Auswertungssoftware fehlerhaft auf Sommerzeit eingestellter Zeitstempel hatte für das bei der Hausdurchsuchung vom 10. Februar 2021 eingezogene Mobiltelefon der Ehefrau des Angeklagten eine falsche Zeitangabe zur Folge. Damit ergebe sich eine Stunde mehr an Spielraum.

Vier Jahre lang war demnach Ermittler und Justiz von einem falschen Tatzeitraum ausgegangen. Das 25 Minuten kurze Zeitfenster bis zur ersten Nachricht des Angeklagten an seine Frau, dass er in Sicherheit sei, ist offenbar 60 Minuten länger. Damit ist ein wichtiger Pfeiler in der Verteidigungsstrategie stark erschüttert.

Und ein weiterer Pfeiler stürzte vor Gericht komplett in sich zusammen. Dem Polizisten war aufgefallen, dass ein vom Angeklagten als Alibi benanntes Foto mit dem rot in den Schnee gesprühten Spruch "Widerstand jetzt" nicht vom 6. Januar 2021 stammt. Also nicht vom Tag, an dem die Aktion auf den Gleisen stattfand, sondern wohl erst vom 30. Januar 2021.

Polizist im Zeugenstand: Fotos nicht am Kreuzberg, sondern bei Bitterfeld gemacht

Seiner neuen Aussage nach ist es auch nicht am Kreuzberg entstanden, sondern wohl nahe Bitterfeld auf dem Weg zu einer Bauerndemonstration in Berlin. Vor Gericht hatte der 40-Jährige geschildert, dass er das Foto in der Dämmerung auf dem Rückweg vom Kreuzberg aufgenommen habe. Die geringe Menge an Schnee, die auf diesem Bild zu sehen ist, spricht dem Polizisten zufolge dagegen. Laut Wetteraufzeichnungen soll am 5. und 6. Januar auf dem Kreuzberg Schneechaos geherrscht haben.

Auf dem Kreuzberg will der Angeklagte als sein Beitrag für den bundesweiten Aktionstag am 6. Januar mit einer weiteren Person coronakritische Sprüche an der Schlittenstrecke in den Schnee gesprüht und fotografiert haben. Die örtlichen Polizeistellen konnten die Aufnahmen jedoch nicht einem bestimmten Ort zuordnen.

Dieses Plakat entdeckte der Stettener Ronny Sauer zu Jahresbeginn 2021 auf den Gleisen der Werntalbahn zwischen Stetten und Schönarts im Landkreis Main-Spessart, machte das Foto und entfernte das Transparent.
Foto: Ronny Sauer | Dieses Plakat entdeckte der Stettener Ronny Sauer zu Jahresbeginn 2021 auf den Gleisen der Werntalbahn zwischen Stetten und Schönarts im Landkreis Main-Spessart, machte das Foto und entfernte das Transparent.

Seit der Unterbrechung des Berufungsverfahrens im Mai 2024 haben sich nun auch die Vorzeichen geändert, was die Einschätzung der Gefährlichkeit der Aktion betrifft: Ein Gutachten zeigt, dass die an den Gleisen angebrachten schmalen Holzlatten samt Plakaten nicht geeignet waren, den ICE entgleisen zu lassen. Von einem Anschlag wie ursprünglich angenommen ist wohl nicht mehr auszugehen.

Notbremsung in voller Fahrt: Den Angeklagten drohen hohe Schadensersatzforderungen

Die in voller Fahrt eingeleitete Notbremsung war für die 62 Fahrgäste indes keineswegs harmlos. Der Deutschen Bahn entstand nach eigenen Angaben durch die entstandene vierstündige Verspätung des Schnellzugs ein Schaden von 34.000 Euro. Dem 40-jährigen vierfachen Familienvater und der mitangeklagten 63-Jährigen drohen demnach noch empfindliche Schadensersatzforderungen.

Die Berufungsverhandlung wird am Mittwoch, 18. Februar, um 9 Uhr fortgesetzt.

 
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  • Andreas Majer
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  • Alfred Neumann
    Auch wenn Holzlatten eher unwahrscheinlich sind, damit ein ICE entgleist - der Triebfahrzeugführer muss von einem stehenden Hindernis ausgehen. Ob dahinter sich Luft befindet oder verdeckte Stahlträger kann aus einem heranfahrenden ICE nicht sicher beurteilt werden. Hier gehört genauso hart bestraft, wie bei Anscheinswaffen.

    Und den Schadensersatz darf sich die Bahn gerne bis zum letzten Cent erstatten lassen.
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  • Peter Koch
    Die Holzlatten könnten sicher ein ICE Fenster durchschlagen wenn der ICE ungebremst in das Transparent rast und die Latten aus dem Boden gerupft werden. Hoffentlich gibt es diesmal keine Bewährung.
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