
Mehr als vier Jahre ist es inzwischen her. Zum Jahresanfang 2021 hatten mehrere Personen auf der Werntalbahn zwischen Waigolshausen im Landkreis Schweinfurt und Gemünden in Main-Spessart Plakate angebracht, in die ein ICE-Zug fuhr. Rasch fiel damals der Verdacht auf die sogenannte Querdenker-Szene. Zwei Verdächtige wurden einen Monat später festgesetzt.
Im Jahr 2022 verurteilte das Amtsgericht Gemünden einen heute 40 Jahre alten Mann aus Bad Bocklet und eine 63-jährige Frau aus Bad Kissingen wegen fahrlässigen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr und Nötigung zu Freiheitsstrafen. Der folgende Berufungsprozess am Landgericht Würzburg wurde Ende Mai 2024 ausgesetzt, weil Nachermittlungen nötig geworden waren und ein Sachverständigengutachten eingeholt werden sollte.
Seit dieser Woche wird jetzt das Berufungsverfahren neu aufgerollt. Und es barg gleich eine faustdicke Überraschung: Für die sorgte die erneute Zeugenaussage des Polizeibeamten, der mit der Überwachung des Umfelds des 40-Jährigen betraut gewesen war. Seiner Feststellung nach stimmen die bisher für den Tattag festgestellten Zeitangaben nicht. Zufällig habe er dies nun bei der Vorbereitung auf die neue Verhandlung festgestellt.
Neue Aussage des Ermittlers: Falsche Zeitangabe entdeckt
Was der Ermittler sagt: Ein in der Auswertungssoftware fehlerhaft auf Sommerzeit eingestellter Zeitstempel hatte für das bei der Hausdurchsuchung vom 10. Februar 2021 eingezogene Mobiltelefon der Ehefrau des Angeklagten eine falsche Zeitangabe zur Folge. Damit ergebe sich eine Stunde mehr an Spielraum.
Vier Jahre lang war demnach Ermittler und Justiz von einem falschen Tatzeitraum ausgegangen. Das 25 Minuten kurze Zeitfenster bis zur ersten Nachricht des Angeklagten an seine Frau, dass er in Sicherheit sei, ist offenbar 60 Minuten länger. Damit ist ein wichtiger Pfeiler in der Verteidigungsstrategie stark erschüttert.
Und ein weiterer Pfeiler stürzte vor Gericht komplett in sich zusammen. Dem Polizisten war aufgefallen, dass ein vom Angeklagten als Alibi benanntes Foto mit dem rot in den Schnee gesprühten Spruch "Widerstand jetzt" nicht vom 6. Januar 2021 stammt. Also nicht vom Tag, an dem die Aktion auf den Gleisen stattfand, sondern wohl erst vom 30. Januar 2021.
Polizist im Zeugenstand: Fotos nicht am Kreuzberg, sondern bei Bitterfeld gemacht
Seiner neuen Aussage nach ist es auch nicht am Kreuzberg entstanden, sondern wohl nahe Bitterfeld auf dem Weg zu einer Bauerndemonstration in Berlin. Vor Gericht hatte der 40-Jährige geschildert, dass er das Foto in der Dämmerung auf dem Rückweg vom Kreuzberg aufgenommen habe. Die geringe Menge an Schnee, die auf diesem Bild zu sehen ist, spricht dem Polizisten zufolge dagegen. Laut Wetteraufzeichnungen soll am 5. und 6. Januar auf dem Kreuzberg Schneechaos geherrscht haben.
Auf dem Kreuzberg will der Angeklagte als sein Beitrag für den bundesweiten Aktionstag am 6. Januar mit einer weiteren Person coronakritische Sprüche an der Schlittenstrecke in den Schnee gesprüht und fotografiert haben. Die örtlichen Polizeistellen konnten die Aufnahmen jedoch nicht einem bestimmten Ort zuordnen.

Seit der Unterbrechung des Berufungsverfahrens im Mai 2024 haben sich nun auch die Vorzeichen geändert, was die Einschätzung der Gefährlichkeit der Aktion betrifft: Ein Gutachten zeigt, dass die an den Gleisen angebrachten schmalen Holzlatten samt Plakaten nicht geeignet waren, den ICE entgleisen zu lassen. Von einem Anschlag wie ursprünglich angenommen ist wohl nicht mehr auszugehen.
Notbremsung in voller Fahrt: Den Angeklagten drohen hohe Schadensersatzforderungen
Die in voller Fahrt eingeleitete Notbremsung war für die 62 Fahrgäste indes keineswegs harmlos. Der Deutschen Bahn entstand nach eigenen Angaben durch die entstandene vierstündige Verspätung des Schnellzugs ein Schaden von 34.000 Euro. Dem 40-jährigen vierfachen Familienvater und der mitangeklagten 63-Jährigen drohen demnach noch empfindliche Schadensersatzforderungen.
Die Berufungsverhandlung wird am Mittwoch, 18. Februar, um 9 Uhr fortgesetzt.
Und den Schadensersatz darf sich die Bahn gerne bis zum letzten Cent erstatten lassen.