
Hunderte von Jahren lebten die Laudenbacher Seite an Seite mit jüdischen Einwohnerinnen und Einwohnern. Ähnlich war es in Wiesenfeld. Trotz des langen Zusammenlebens war dieses nicht immer harmonisch, offenbar lebte man oft einfach nebeneinander her. Kreditgeschäfte, ein wichtiges Betätigungsfeld für Juden, waren konfliktträchtig, und immer wieder kam es zu Beschwerden, Juden würden christliche Feiertage entehren. So entstanden tief verwurzelte Vorurteile.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es in Laudenbach und Wiesenfeld zu Ausschreitungen vor allem junger Männer gegen die jüdischen Einwohner, die im ganzen deutschsprachigen Raum Schlagzeilen machten. Der im Februar gestorbene amerikanische Geschichtsprofessor James Harris hat 1987 einen Aufsatz über die Vorkommnisse in Laudenbach und Wiesenfeld geschrieben, und für den "Synagogen-Gedenkband" hat sich der evangelische Pfarrer Hans Schlumberger mit den gut dokumentierten Vorfällen befasst. Auch in Thüngen gab es damals Unruhen, allerdings ist dazu offenbar wenig überliefert. In zeitgenössischen Zeitungsnotizen von 1866 werden auch Heßdorf und Urspringen, wo fünf Häuser jüdischer Familien verwüstet worden sein sollen, als Orte von Exzessen erwähnt, außerdem Schwanfeld (Lkr. Schweinfurt).
Hauptursache für Unruhen war die Teilnahme der Juden an den Gemeinderechten
Die Übergriffe resultierten vor allem daraus, dass die Juden aufgrund neuer Gesetze etappenweise ihre Bürgerrechte erhalten hatten und nun allmählich ebenfalls an den Gemeinderechten wie Weiderecht, Brunnen- und Holznutzung teilhaben wollten. Dass diese zuvor jedoch nie Steuern an die Gemeinde, sondern an die Obrigkeit gezahlt hatten, brachte die christliche Bevölkerung, die die "Allmenderechte" jahrhundertelang gegen die Obrigkeiten verteidigt hatte, auf, weiß Georg Schirmer, Mitbegründer des Laudenbacher "Förderkreises ehemalige Synagoge". Zum Teil trugen die Unruhen aber auch antisemitische Züge. Die wochenlangen Übergriffe im Jahr 1866 beschränkten sich zwar auf Sachbeschädigungen, aber die Juden wurden bedroht und eingeschüchtert. In Laudenbach waren die Exzesse so schlimm, dass sogar Soldaten in den Ort verlegt wurden, um die Ordnung wieder herzustellen.

In Wiesenfeld gab es wohl bereits 1863 erste Vorfälle, die der Gemeinde "zu großer Schande gereichten", wie das Bezirksamt Karlstadt notierte. Im Juni 1865 begann es mit nächtlichen Steinwürfen an die Fensterläden von Moses Steigerwald, der mit seinem Bruder Jakob 1864 Holz aus dem Gemeindewald geholt hatte. Acht Tage später gingen bei ihm auch Fensterscheiben zu Bruch und jemand schoss offenbar in die Wohnung, bei Süß Stern schepperten die Fensterläden. Im Juli kam es zu immer mehr Steinwürfen, und es gab auch Schüsse auf Häuser jüdischer Wiesenfelderinnen und Wiesenfelder.
Aus Angst um seine Tochter kündigte Schwiegervater in spe Ehevertrag
Das Bezirksamt ordnete am 25. Juni 1865 an, die Wiesenfelder und die Gendarmerie sollten die Nachtwachen verdoppeln und sie "nicht mehr so lässig wie vor zwei Jahren" handhaben. Im Juli wurden auf drei Äckern jüdischer Wiesenfelder die fast erntereifen Gerstenähren abgeschlagen und schon geerntete Roggengarben unbrauchbar gemacht. Anfang September wurde es unappetitlich: Als Markus Braunold seinem künftigen Schwiegervater sein Haus zeigen wollte, fand er dieses mit menschlichen Exkrementen beschmiert vor. Aus Angst um seine Tochter kündigte der Schwiegervater in spe den Ehevertrag.
Nach ein paar friedlichen Monaten ging es im Mai 1866 wieder los. In der Nacht zum 17. Mai, mitten unter der Woche, wurden an jüdischen Häusern 14 Fensterscheiben, ein Gartenzaun und ein Fensterladen zerstört. Zudem wurde versucht die Haus- und Ladentür von Kalmann Grünbaum aufzubrechen. An Pfingstmontag wurden weitere jüdische Häuser angegriffen. Rädelsführer sollen ein in Wiesenfeld tätiger Schnapsbrenner aus Obersinn und der Sohn des Gemeindepflegers gewesen sein. Christliche Nachbarn sollen Hilferufe ignoriert haben.
Juden in Wiesenfeld verzichteten auf ihre Rechte, damit sie in Ruhe gelassen wurden
Jüdische Wiesenfelder äußerten zu den Gründen: "Nach unserer besten Überzeugung ist an allen diesen Aufruhren lediglich die uns in der letzten Zeit gestattete Theilnahme an den Gemeindenutzungen schuld." Sie wollten lieber freiwillig darauf verzichten, damit sie wieder ihren Frieden bekommen. Nur weil die Juden auf die ihnen zustehenden Rechte ("Nachbarholz") verzichteten, erklärte sich die Gemeinde in einem Entwurf dazu bereit, die Sicherheit von Leib, Leben und Eigentum der jüdischen Wiesenfelderinnen und Wiesenfelder zu garantieren.
In Laudenbach hatten die Unruhen, die in der Nacht von Pfingstmontag auf den 22. Mai 1866, begannen, eine Vorgeschichte. Denn als Hauptgrund wurden die Holzrechte angegeben. Als 40 Jahre zuvor ein gemeinsamer Schulbesuch von christlichen und jüdischen Kindern in Laudenbach angeordnet worden war, musste ein neuer größerer Schulbau her. Die Finanzierung sollte anteilig von der christlichen Gemeinde und den jüdischen Familien aufgebracht werden. Nur dass die Christen das Geld überwiegend aus zusätzlichem Holzeinschlag nahmen, an dem die Juden damals noch nicht beteiligt waren, wie Georg Schirmer recherchiert hat. Gegen diese Ungleichheit klagten die Juden damals.

Vier Jahrzehnte später zogen junge Burschen unter Geschrei durchs Dorf, warfen bei einigen Juden Fenster ein und schlugen mit Prügeln gegen Türen und Fensterläden, weil die jüdischen Laudenbacher auch ihren Anteil am Gemeindeholz haben wollten. Das Bezirksamt ermahnte die Gemeinde, die Ordnung aufrechtzuerhalten, die sogenannten Schleichwachen wurden auf acht Mann verstärkt und Gendarmerie aus Karlstadt zugezogen.
Christliche Bevölkerung ließ Burschen gewähren
Dennoch kam es eine Woche später zu Steinwürfen, die Dächer und Fenster bei Juden beschädigten, "theilweise auf Kommando eines Führers", wie es heißt. "Hep-Hep"-Rufe wie bei den gewalttätigen Ausschreitungen gegen Juden 1819 seien zu hören gewesen. Auch in Laudenbach hat sich die christliche Bevölkerung trotz Hilferufen offenbar teilnahmslos gezeigt. Ortsvorsteher Schuhmann gab den Juden die Schuld, weil diese angeblich Wucher trieben, an den Gemeindenutzungen teilhaben wollten und "durch ihr eigenes freches Gebahren die Christen aufreizen". Jüdische Laudenbacher identifizierten acht Burschen aus dem Ort als Urheber der Unruhen.
Die Würzburger Kreisregierung ließ vor 80 Laudenbacher Männern die Rechtslage mit Schadensersatzpflichten verkünden und die Möglichkeit, auf Kosten der Gemeinde Militär ins Dorf zu verlegen. In der darauffolgenden Nacht sei es ruhig gewesen, aber schon in der Nacht auf den 31. Mai seien 40 bis 50 Laudenbacher Burschen zunächst friedlich singend herumgezogen. Nach Mitternacht kam es aber erneut zu Schäden. Ein sechsjähriges Kind wurde im Bett durch Glasscherben am Kopf verletzt, vor allem Frauen flüchteten halb bekleidet auf Schiffen nach Karlstadt. Einige Familien flohen nach Würzburg. Am 1. Juni wurde daraufhin eine 124 Mann starke Infanteriekompanie ins Dorf geschickt, offenbar die Hälfte bis 22. Juni dort einquartiert.
Stationierung der Soldaten kostete Laudenbach viel Geld
Im Juli kam es in drei Nächten noch einmal zu Belästigungen und Beschädigungen an jüdischen Häusern. Bis 1868 dauerte der Prozess um die Einquartierungskosten, die schließlich auf 1130 Gulden wuchsen und die die Gemeinde schließlich auf alle Bürger, die jüdischen inklusive, umlegte. Georg Schirmer kennt eine weitere schlimme Folge der Einquartierung: Die Soldaten hinterließen die Cholera, an der einige Laudenbacher Christen und Juden starben.
In Wiesenfeld verhinderten die Behörden, dass Terror und Einschüchterung ihr Ziel erreichten. Zwar war die Karlstadter Polizei rund um Pfingsten nicht in der Lage, eine Patrouille in den Ort zu schicken, weil diese in Thüngen ähnliche Exzesse verhindern musste. Aber das Bezirksamt Karlstadt bat die Regierung die Gendarmeriestation zu verstärken und gar nach Wiesenfeld zu verlegen. Den Wiesenfelder Juden wurde mitgeteilt, dass es ihnen unbenommen bliebe, auf ihre Teilhabe an den Nutzungen zu verzichten, dass ihr Schutz aber auch so gewährleistet werde. Daraufhin kehrte offenbar Ruhe ein – zumindest für ein paar Jahre.
Auch in Wiesenfeld wurde mit einem Militäreinsatz gedroht
1880 kam es in Wiesenfeld erneut zu judenfeindlichen Ausschreitungen, diesmal aufgrund persönlicher Streitigkeiten. Am 29. August verprügelten einige Burschen den jungen Viehhändler Veitel Hanauer II. Am 12. September berichteten die Vorstände der Kultusgemeinde dem Bezirksamt von verschiedenen Tätlichkeiten und eingeworfenen Fensterscheiben. Drohplakate tauchten auf, die die Behörden die Wachen verstärken ließen. Der Grund der Unruhen war offenbar ein Streit zwischen der jüdischen Familie Hanauer und einem nichtjüdischen Bewohner. Der Wiesenfelder Bürgermeister beteuerte, die Täter könnten nicht aus dem Ort stammen. Auch gegen zwei jüdische Metzger namens Rosenfeld tauchten weitere Drohplakate auf. Von jüdischer Seite wurde zu Protokoll gegeben, die Wiesenfelder Einwohnerschaft billige die Aktion, die Gemeindeverwaltung reagiere "mit Gemüthlichkeit". Das Bezirksamt drohte mit Militäreinsatz.
Am 20. September meldete der Wiesenfelder Bürgermeister, zwei Burschen aus Langenprozelten und Seifriedsburg seien festgenommen worden, da sie am Vorabend Steine auf das Haus von Abraham Bamberger geworfen hätten. Das Bezirksamt sah jedoch eine Verabredung von Wiesenfelder Burschen dahinter. Tatsächlich meldete die Karlstadter Polizei im Oktober 1880, vier namentlich bekannte Wiesenfelder Burschen als Urheber der Misshandlung Veitel Hanauers und weiterer Delikte ausgemacht zu haben. Ältere Wiesenfelder können noch von derben Späßen berichten, denen sich Juden offenbar in späteren Jahren ausgesetzt sahen und die auf einen Riss in der Einwohnerschaft hindeuten.
Nach Ansicht Schirmers wurden die Konflikte um den Schulbau und die Gemeindenutzung in Laudenbach nie grundlegend gelöst und schwelten im kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung weiter. "Laudenbach und Wiesenfeld sind Beispiele dafür, dass der nationalsozialistische Antisemitismus eben nicht vom Himmel fiel, sondern sich auch auf einem Boden uralter Probleme gründete, die nie wirklich bereinigt werden konnten", so Schirmer.
Literatur: Harris, James F.: "Bavarians and Jews in conflict in 1866: neighbours and enemies" (1987); "Mehr als Steine... Synagogen-Gedenkband Bayern", Band III/1 (2015)
Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter https://www.mainpost.de/dossier/geschichte-der-region-main-spessart