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Würzburg
Als der Mob auf die Würzburger Juden losging
Die "Hep-Hep-Unruhen" Anfang August 1819 richteten sich gegen die jüdischen Bürger der Stadt. Auf eine Familie hatte es die tobende Menge ganz besonders  abgesehen. 
"Hep-Unruhen" erschüttern im Jahr 1819 auch die Stadt Würzburg.  Foto: Stadtarchiv Würzburg
| "Hep-Unruhen" erschüttern im Jahr 1819 auch die Stadt Würzburg. Foto: Stadtarchiv Würzburg
Torsten Schleicher
 |  aktualisiert: 07.04.2020 11:54 Uhr

Am 8. August kehren die Juden zurück. Sechs Tage zuvor, an einem warmen, schwülen Sommertag, waren sie am 2. August 1819 von einem brüllenden Mob verjagt worden. Die Anfangsszene der Tragödie spielt vor dem ehemaligen Ebracher Amtshof. Hier lebt die jüdische Unternehmer- und Bankiersfamilie von Hirsch. Und auf die hat man es abgesehen.

Der Mob reißt Pflastersteine aus der Straße und schmettert sie gegen Fensterscheiben. „Hep, Hep“, brüllt die Meute. Was ist der Grund für ihre Wut? Dr. Hans Steidle, Stadtheimatpfleger, kann es erklären. „Man muss die Ereignisse vor dem Hintergrund der Zeit sehen“, sagt er. „Es war eine Zeit des Umbruchs.“

Konkurrenzdruck durch ausländische Güter

17 Jahre zuvor, 1802, endet die fast tausendjährige Herrschaft der Fürstbischöfe mit der Säkularisation, 1814 wird Würzburg bayerisch. „Die Stadt Würzburg war hoch verschuldet, und die gesamte Wirtschaft Europas musste sich von der napoleonischen Zeit auf die nachnapoleonische Zeit umstellen“, erklärt Steidle. Die Kontinentalsperre ist nun aufgehoben, wodurch ein Konkurrenzdruck durch ausländische Güter entsteht.

Obendrein kommt es in den Jahren 1816 und 1817 durch einen Vulkanausbruch zu einer Klimakatastrophe, der Missernten und Hungersnöte folgen. Eine Wirtschaftskrise beutelt Franken, das nun als Teil des Königreichs Bayern auch von dieser Seite mit Konkurrenz zu rechnen hat. Die Zeiten sind schlecht und wenn man selbst hungert, dann schaut man neidisch auf die, denen es vermeintlich gut geht und die allem Anschein nach das große Los gezogen haben. Und die, denen es offenbar gut geht, das sind rund 30 Familien jüdischen Glaubens, die sich seit zehn bis 15 Jahren in Würzburg ansiedeln dürfen, nachdem Fürstbischof Johann Philipp von Schönborn im Jahr 1643 alle Juden vertrieben und ihnen die Niederlassung verboten hatte.

„Natürlich hat man nun wohl ausgewählt, wer nach Würzburg kommen durfte“, sagt Steidle. „Sie mussten vermögend sein, damit sie der Gemeindekasse nicht zur Last fielen, sondern sie durch Steuern entlasteten.“ Die Präsenz des jüdischen Reichtums sei überall zu spüren gewesen. „Die Juden, die hier nach Würzburg kamen, besaßen Kapital und konnten zum Beispiel die verstaatlichten Kirchen, Besitzungen, Klöster und Domherrenhöfe aufkaufen und für ihre eigenen Zwecke verwenden“, schildert der Würzburger.

„Kostbarkeiten, die aus den Kirchen vom bayerischen Staat versteigert wurden, fanden neue jüdische Besitzer. Dies kam bei der Mehrheitsbevölkerung wenig positiv an.“ Manch ein Würzburger argwöhnte einen Zusammenhang zwischen dem Niedergang des Fürstbistums und dem Aufstieg der jüdischen Familien. Und nun kommt die Bankiersfamilie Hirsch ins Spiel.

Stadtheimatpfleger Hans Steidle steht dort, wo einst die Menge tobte. Foto: Eva-Maria Bast
| Stadtheimatpfleger Hans Steidle steht dort, wo einst die Menge tobte. Foto: Eva-Maria Bast

Staatsanleihen verhinderten Bankrott

Sie war die erste gewesen, der der Rat 1803 erlaubt hatte, sich wieder anzusiedeln. Die Familie weiß es zu danken: „Sie lieh dem Staat und auch dem Großherzog von Würzburg viel Geld“, sagt Steidle und macht klar, dass das keine Seltenheit war: „80 Prozent der bayerischen Staatsanleihen zwischen 1801 und 1810 gingen auf jüdische Bankiers zurück und verhinderten einen Staatsbankrott.“

Kein Wunder, dass der Bayerische König die Familie Hirsch in den erblichen Adelsstand erhebt. „Der Eigentümer des zum Bankhaus und Wohnhaus umgebauten Ebracher Hofs hieß fortan nicht Hirsch, sondern Jakob von Hirsch auf Gereuth. Gegen eben jenen richtet sich der aufgestachelte, ideologische Volkszorn.“ Zumal von Hirsch auch noch gewagt hatte, 1803 den Ebracher Hof zu kaufen, bisher hatte der nur klerikale Hausherren gehabt und die Äbte des Klosters Ebrach beherbergt.

Judenfeindliche Grundhaltung beim Großteil der Bevölkerung

Und keiner der Würzburger hatte die Diskussionen vergessen, ob Juden denn nun im Königreich Bayern die gleichen Rechte haben dürfen wie Nichtjuden. „Der liberale Abgeordnete der Universität Würzburg, Professor Joseph Behr, trat für die bürgerliche Gleichberechtigung ein. Ein Großteil der Bevölkerung verharrte aber in seiner judenfeindlichen oder judenablehnenden Grundhaltung und war eher der Meinung, dass man den Juden nicht die gleichen Rechte geben, sondern sie als Bürger zweiter oder dritter Klasse behandeln solle“, sagt Steidle.

Allein, die Diskussion ist beendet; 1813, ein Jahr, bevor Würzburg an Bayern kommt, hat der Landtag mit dem Bayerischen Judenedikt schon die Gleichstellung beschlossen und seit 1816 ist es auch in Würzburg gültig. All diese Meinungsunterschiede und Spannungen entladen sich am Abend des 2. August in der Ebracher Straße. „Eine wirkliche Chance hatten die Angreifer aber nicht“, sagt Steidle. „Der bayerische Staat hatte für solche Unbotmäßigkeiten nicht viel übrig. Das Militär und gezwungenermaßen die Würzburger Polizei schritten ein, zersprengten den Massenauflauf.“ Das jedoch entfacht den Zorn des Mobs nur noch mehr:

Jüdische Geschäfte werden geplündert und zerstört

Am nächsten Tag ziehen die Bürger durch die jüdischen Geschäfte, plündernd und zerstörend, die Besitzer und Familien fliehen in Panik aus der Stadt. Das Militär und die Polizei müssen gewaltsam gegen den tobenden Mob vorgehen. Und man bekommt die Situation auch tatsächlich in den Griff, am 8. August ist die Ordnung wiederhergestellt und die jüdischen Familien kehren unter militärischem Schutz in die Stadt zurück. Den Ruf „Hep, hep“, den die Würzburger bei deren Vertreibung brüllten, habe man in jenen Tagen in ganz Deutschland gehört, sagt der Stadtheimatpfleger. „In anderen Teilen deutscher Staaten kam es zu ähnlichen Ausschreitungen.“

Die Herkunft des Rufs „Hep, Hep“ ist übrigens unklar. Die Erklärungsansätze reichen von Hep als Abkürzung für Hebräer über die letzten Sätze einer in Danzig veröffentlichten Antijudenproklamation, die mit dem Satz „Unser Kampfgeschrei sey Hepp! Hepp! Hepp! Aller Juden Tod und Verderben, Ihr müßt fliehen oder sterben!“ endet, bis hin zu einer Abkürzung der mittelalterlichen Kreuzfahrerparole: „Hierosolyma est perdita“ („Jerusalem ist verloren“). Was auch immer der Ruf bedeutet haben mag – die Familie Hirsch wird, mit Unterbrechungen, immer eine verfolgte bleiben.

Gut 100 Jahre später wird es ein anderer Ruf sein, der die Nachfahren der für Bayern so wichtigen Familie in Angst und Schrecken versetzt. Auch dann wird ein Mob durch die Straßen toben und Schaufenster einwerfen. Auch dann werden Juden in Panik fliehen. Aber dieses Mal werden sie nicht zurückkehren: Der letzte Nachkomme der Familie von Hirsch wird in Theresienstadt ermordet.

Text: Eva-Maria Bast

Was Würzburg prägte
Das neue Buch „Was Würzburg prägte“ enthält 52 Texte über Jahrestage aus der Würzburger Geschichte, also für jede Woche des Jahres einen Text. Präsentiert werden die historischen Geschehnisse jeweils von Würzburger Bürgern. Das Buch der beiden Autorinnen Eva-Maria Bast und Kirsten Schlüter entstand in Zusammenarbeit mit der Main-Post. Wir werden in einer ganzjährigen Serie Texte aus dem Buch abdrucken.
Erschienen ist das Buch im Verlag Bast Medien GmbH, in dem auch die erfolgreichen „Würzburger Geheimnisse“ veröffentlicht wurden, die ebenfalls in Kooperation mit der Main-Post entstanden sind.
Erhältlich ist „Was Würzburg prägte – 52 große und kleine Begegnungen mit der Stadtgeschichte“ von Eva-Maria Bast und Kirsten Schlüter Überlingen 2017, ISBN: 978-3-946581-24-6 in den Main-Post-Geschäftsstellen (14.90 Euro).
 
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