Während die Jets ihre Konkurrenz wegtanzen, lässt sich Wilfried Dunst tief in seinen Sessel sinken. Der Kindergeburtstag, der gerade zur Mittagsvorstellung da war, hat heute immerhin ein paar Reihen gefüllt. Oft aber kommt niemand. Dann hat der 82-jährige Besitzer der Burg-Lichtspiele in Karlstadt-Mühlbach den Kinosaal, wie jetzt, für sich allein.
Wilfried Dunst gibt sich gerne Privatvorstellungen. Dann sitzt er immer auf einem der schwarzen Sessel in Reihe sieben oder acht in der Mitte. Das sind seine Lieblingsplätze. Weit genug weg, um die Leinwand gut im Blick zu haben, aber auch nicht zu weit hinten. Das West-Side-Story-Musical, das er sich gerade anschaut, gehört zu seinen Allzeit-Lieblingen. Aber nur die alte Version. "Die neue Verfilmung ist zum Abschminken", sagt er und macht eine wegwerfende Geste.
Wilfried Dunst: Früher waren Filme realistischer als heute
Während die Leinwand flimmert, entspannt sich der 82-Jährige sichtlich. Der Film aus den 1960er-Jahren erinnere ihn an eine Zeit, als Kino-Reihen noch regelmäßig gefüllt waren. "Und als Filme noch mehr Gehalt hatten. Als die noch mehr Sinn hatten und realistischer waren", sagt Dunst.
Er schafft sein Lieblingsmusical bis zur Hälfte. Dann kommen die ersten Gäste für die Abendvorstellung. Während Rita Moreno gerade noch "I like to be in America" durch den Saal schmettert, verlässt Dunst den Saal. Durch eine Tür im Foyer gelangt er über eine steile Metalltreppe in den Vorführraum.
Seit 1991 gehören Wilfried Dunst die Burg-Lichtspiele im Mühlbach. Geplant war diese berufliche Laufbahn allerdings nicht: "Ich hatte nicht im Traum daran gedacht, einmal ein Kino zu besitzen. Vor allem nicht jenes Kino, in dem ich das Filmvorführen gelernt habe. Es war eigentlich ein Hobby." Dunst war früher Schriftsetzer in einer Druckerei. An den Wochenenden arbeitete er in Würzburger Kinos. "Ich habe da meistens auch meinen Urlaub reingebuttert. Das hat mir irre Spaß gemacht, insbesondere die Technik."
Wie der gelernte Schriftsetzer zum Kinobesitzer wurde
Als er irgendwann auch in Mühlbach aushalf, fragte Dunst den damaligen Besitzer Louis Flamme, was eigentlich aus dem Kino werden würde, wenn dieser es nicht mehr unterhalten wolle. "Da hat er mich angeschaut und meinte: Dann können Sie es kaufen." 200.000 Mark sollte es kosten. "Da war ich Baff", meint Dunst. Ein Schnäppchen – auch für ein Kino mit nur einem Saal. Wilfried Dunst zögerte nicht lange und machte seine Leidenschaft zum Beruf. "Für mich gab es keine Zweifel, dass das die richtige Entscheidung ist."
Dunst warf zunächst einmal die 300 Kino-Stühle des Vorgängers hinaus und kaufte 191 Samtsessel mit viel Beinfreiheit. Auch den alten Teppich riss er heraus, baute ein Podest unter die Sitze und hängte die Decke ab. Das Soundsystem ersetzte er durch ein neues, besseres. Sogar die Wände bekamen eine neue, samt-rote Bespannung aus schwerem Stoff. Dieser sorge dafür, dass kein Echo im Saal entstehen kann, erklärt Dunst.
Die Technik hinter dem Filmvorführen hat sich massiv geändert
Filmvorführer sein – das sei damals noch eine Kunst für sich gewesen. In fünf bis sechs Filmrollen wurden die neusten Blockbuster angeliefert. So wog ein Film durchaus bis zu 25 Kilogramm. Filme wurden einzeln zusammengeklebt, eingelegt und ausgetauscht. Hin und wieder rissen besonders oft gespielte Streifen. In mühevoller Kleinstarbeit klebte Wilfried Dunst diese dann wieder zusammen. "Es war schon besonders", sagt er. "Das Filmvorführen war seinerzeit eine sehr abwechslungsreiche Handarbeit."
Ab den 2000er-Jahren verschwanden dann die Filmrollen – und damit auch Dunsts Leidenschaft für die Filmtechnik. "Die Faszination ist nicht mehr da." Denn heutzutage läuft alles vollautomatisch ab. Der Projektor ist ein schwarzer, verschlossener Kasten, der nur noch über ein kleines Bedienfeld an der Seite gesteuert wird. Mithilfe einer Art Baumdiagramm wird am Laptop das Kinoprogramm für die nächsten Tage geplant. Die Software zu verstehen sei für ihn müßig und brauche seine Zeit, sagt der 82-Jährige. Dort, wo früher die Filmrollen lagerten, steht heute eine Couch.
Die alten Projektoren sind einem neuen Gerät gewichen
Trotzdem ist Wilfried Dunst noch gerne hier oben. Durch die Abwärme des Projektors ist es in dem Raum immer ein bisschen wärmer. Außerdem wolle er vor Ort sein, falls die moderne Technik doch einmal versagen sollte.
Auf der Tonanlage, rechts neben dem Projektor, steht eine kleines Diorama einer Modelleisenbahn und auf dem Projektor ein Fernseher. Dort laufen den ganzen Tag Nachrichten. In einer Ecke gibt es sogar noch einen alten 16-mm-Filmprojektor. Er hat jedoch nie in diesem Kino gespielt. Dunst hat das Gerät einem ehemaligen Wanderkino abgekauft. Er hätte gerne seine eigenen Projektoren behalten. Doch die waren zu groß für den kleinen Raum. Auch deshalb hat Dunst sich die kompaktere Variante in seinen Vorführraum gestellt.
Aktuell gibt es im Vorführraum nichts zu tun. Deshalb gesellt sich Wilfried Dunst zu seiner Tochter Carolin in das menschenleere Foyer des Kinos. Es riecht nach frischem Popcorn. Hinter einer Plexiglasscheibe am Tresen zählt die 37-Jährige gerade die Tickets, die für die heutige Mittagsvorstellung verkauft worden sind. 20 Stück waren es. Heutzutage eine gute Quote für einen Freitagmittag.
Wie viele Menschen zur Abendvorstellung kommen? Manchmal niemand. "Man gewöhnt sich daran", sagt Carolin Dunst. Ihren Vater frustriert das ausbleibende Publikum jedoch: "Ich kann mich nicht daran gewöhnen. Damals gab es noch ausverkaufte Vorstellungen. Heute sind wir froh, wenn wir zwei oder drei Reihen vollbekommen."
Die Corona-Pandemie hat die Kino-Branche hart getroffen
Obwohl das befürchtete Kinosterben durch die Pandemie ausgeblieben ist, hat Corona die Branche hart getroffen. "Wir fangen jetzt erst an, die letzten Jahre nachzuholen", meint Wilfried Dunst. Ohne Zuschüsse und Prämien der Filmförderungsanstalt, des Kultusministeriums und des Filmfernsehfonds Bayern könnte sich das Kino nicht mehr halten.
Das weiß auch Carolin Dunst. Sie soll das Geschäft irgendwann ganz übernehmen. "Ich schaue einfach mal. Man kann davon leben, aber reich wird man nicht." Im Gegensatz zu ihrem Vater bindet sie nichts Sentimentales an das Kino: "Ich könnte mir auch vorstellen, etwas Anderes zu machen, weg vom Kino zu gehen."
Ihr Vater kann damit jedoch nicht abschließen. Er kämpft um seine Burg-Lichtspiele. "Ich würde mir wünschen, dass die Leute das Kino wieder mehr wertschätzen", sagt Wilfried Dunst. Besonders viel Hoffnung setzt er dabei in die Kinder, die als neue Generation das Kino wieder lieben lernen könnten.
An diesem Freitagabend kommen jedoch gerade einmal vier Gäste.
Wenn ich ins Kino gehe...nur in Mühlbach!