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Karlstadt
Vorführungen im Wirtshaus und eine Karte für 50 Pfennige: Der Siegeszug des Kinos in Main-Spessart
Aus der Geschichte Main-Spessarts (117): Die ersten "bewegten Bilder" wurden auf Jahrmärkten gezeigt, später dann in Gasthäusern. In Main-Spessart kamen Kinos in der zweiten Hälfte der 20er Jahre auf. Sie waren eine Attraktion.
Kinos kamen in den 20er Jahren auf, auch in der Region. Unser Bild zeigt eine Szene aus dem Stummfilm 'Faust - eine deutsche Volkssage' von 1926. 
Foto: W. Murnau Stiftung | Kinos kamen in den 20er Jahren auf, auch in der Region. Unser Bild zeigt eine Szene aus dem Stummfilm "Faust - eine deutsche Volkssage" von 1926. 
Günter Roth
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:45 Uhr

Wann und wo die Geschichte des Kinos oder des Lichtspieltheaters begann, ist nicht eindeutig zu klären. Das heute noch beliebte "Daumenkino" oder die um 1830 entwickelte "Wundertrommel", das Zoetrope, waren eher noch spielerische Versuche, die Illusion von bewegten Bildern zu erzeugen. In Schaubuden und Panoptiken auf Jahrmärkten und in Städten wurden optische Täuschungen und dreidimensionale Fotos präsentiert.

Ein Vorläufer des Kinofilms: 'Das Wunderrad' gibt durch Sehschlitze den Blick auf Bilder frei und erzeugt damit die Illusion einer Bewegung.
Foto: Günter Roth | Ein Vorläufer des Kinofilms: "Das Wunderrad" gibt durch Sehschlitze den Blick auf Bilder frei und erzeugt damit die Illusion einer Bewegung.

Die Brüder Lumière führten mit dem Cinématographen im März 1895 erstmals Filme einem ausgewähltem Publikum vor. Die zeigten Menschen bei der Arbeit oder beim Fischfang, eine Feuersbrunst oder ein Baby beim Frühstück. In Deutschland begann die Lichtspielära mit den Brüdern Skladanowsky im November desselben Jahres, die im Berliner Wintergarten Kurzfilme zeigten. Die nur wenige Minuten dauernden Kurzfilme, die "bewegten Bilder" oder die "lebende Fotografie", waren Attraktionen in Schaubuden auf den Jahrmärkten.

Siegeszug war nicht aufzuhalten

Das erste deutsche Kino wurde im April 1896 in Berlin eröffnet. Dann war der Siegeszug der Kinematografie nicht mehr aufzuhalten und erreichte schließlich um 1900 auch die Main-Spessart-Region. Zunächst wurden die Filme aber hauptsächlich in den Sälen von Gastwirtschaften vorgeführt.

In Karlstadt warb der Gasthof "Anker" im September 1900 vollmundig für das "Theater lebender Fotografien mit der neuesten und interessantesten Schaustellung der Gegenwart" für Filme von Kriegsszenen aus China und Transvaal, mit brennenden Schiffen und einem Stierkampf in Madrid. Der Eintritt kostete 50 Pfennige für den ersten Platz, 30 für die anderen Ränge. Vier Jahre später zeigten Fahrensleute in Zelten auf dem Kübelmarkt Kriegsszenen aus dem russisch-japanischen Krieg und ein Märchen aus 1000-und-einer-Nacht. Die Vorführungen sollen in Karlstadt wochenlang für Gesprächsstoff gesorgt haben.

Phantom der Oper Stummfilm 1925.
Foto: Universal Pictures | Phantom der Oper Stummfilm 1925.

In Gemünden fanden wohl die ersten Vorstellungen im Saal des Gasthauses "Koppen" statt. Dort waren die Vorstellungen so gut besucht, dass die Leute sogar mit den Fahrrädern von weit her angereist kamen. In Arnstein war das Wirtshaus "Zum Goldenen Löwen" am Schweinemarkt mit einer kinoähnlichen Vorführung mit März 1915 der kineastische Vorreiter.

Zuerst gab es die "Bewegten Bilder" ausschließlich in Schwarz-Weiß und als Stummfilm. Kommentare wurden als Schrift eingeblendet. Anstelle der Filmmusik spielte ein Piano, eine Musikgruppe oder wenigstens ein Grammophon zu der Vorstellung. Um 1923 lernten die Bilder nicht nur laufen, sondern auch sprechen: mithilfe des Lichttons von Sven Berglund. Etwa zehn Jahre später wurde mit Magnetton experimentiert, der sich dann Anfangs der 40er-Jahre durchsetzte. 

Hans Kempf zeigt bei der Ausstellung in Partenstein 'Schön war die Zeit...' auch den großen Kinoprojektor von Philips mit Bogenlampe und Kohlestiften.
Foto: Günter Roth | Hans Kempf zeigt bei der Ausstellung in Partenstein "Schön war die Zeit..." auch den großen Kinoprojektor von Philips mit Bogenlampe und Kohlestiften.

Einer, der sich mit der Frühzeit des Kinos im Main-Spessart-Kreis auskennt, ist Hans Kempf aus Partenstein. Der 86-Jährige war noch mit dem Wanderkino und der "35-Millimeter-Koffermaschine" im westlichen und nördlichen Spessart unterwegs. In der Ausstellung "Schön war die Zeit … " von der Partensteiner Filmwerkstatt konnte man unter anderem auch die technischen Voraussetzungen und den Wandel der Kinogeschichte hautnah erleben.

In der Ausstellung war ein riesengroßer Filmprojektor von Philips zu sehen, der die nötige Lichtausbeute mittels einer Bogenlampe mit Kohlekontaktstiften erzeugte. Daraus ergab sich eine Brandgefahr, denn das damalige Nitrat-Filmmaterial war noch chemisch instabil und neigte zur Selbstentzündung. Bereits bei Temperaturen unter 40 Grad konnte es zu Bränden kommen. "Bei uns stand noch immer ein Schelch mit Löschwasser im Vorführungsbereich", erzählt Kempf.

Adolf Spreng zeigt im Foto- und Filmmuseum Gemünden einen Projektor aus dem Jahr 1908. Er konnte mittels einer Handkurbel, aber auch schon elektrisch betrieben werden.
Foto: Günter Roth | Adolf Spreng zeigt im Foto- und Filmmuseum Gemünden einen Projektor aus dem Jahr 1908. Er konnte mittels einer Handkurbel, aber auch schon elektrisch betrieben werden.

Großartige Beispiele für die Entwicklung des Films und damit des Kinos in Main-Spessart sind auch im Film-Photo-Ton-Museum im Gemündener Huttenschloss zu bestaunen. Adolf Spreng führt nicht nur gerne durch die interessante Ausstellung, er gibt auch fachkundig Auskunft. Dreh- und Angelpunkt sind beim Film im wahrsten Sinn des Wortes die Drehungen - die Bewegungen sowohl bei der Aufnahme als auch beim Abspielen des Streifens.

Was wie ein Propeller vor dem Projektor anmutet, ist ein Unterbrecher, der jeweils 24 mal pro Sekunde ein Bild durchlässt.
Foto: Günter Roth | Was wie ein Propeller vor dem Projektor anmutet, ist ein Unterbrecher, der jeweils 24 mal pro Sekunde ein Bild durchlässt.

Wie beim Daumenkino oder beim Wunderrad sind die bewegten Bilder eigentlich eine Illusion, eine optische Täuschung. Genaugenommen werden bei der Aufnahme unentwegt neue Einzelbilder gemacht und aneinandergesetzt. Als optimale Frequenz hat sich bis heute eine Abfolge von 24 Bildern pro Sekunde erwiesen, projeziert auf einen 35 Millimeter breiten Streifen. Auch die heute aktuellen digitalen Aufzeichnungen sind genaugenommen nichts anderes.

Die bekannten ruckartigen und ungleichmäßigen Bewegungen der Personen auf alten Filmen sind auf die Drehbewegungen der Kameraleute oder der Filmvorführer zurückzuführen, denn die ersten Geräte wurden nicht elektrisch, sondern mit der Hand betrieben. Ein derartiger Projektor steht auch im Gemündener Museum. Das Gerät von etwa 1908 ist seit etwa einem Jahr im Besitz des Museums.

Das erste Kino in Karlstadt eröffnete die Familie Dix mit dem Film 'Das Deutsche Mutterherz' am 18. Februar 1927.
Foto: Repro Günter Roth | Das erste Kino in Karlstadt eröffnete die Familie Dix mit dem Film "Das Deutsche Mutterherz" am 18. Februar 1927.

Doch zurück zu den Kinos in der Region. Mit dem Tonfilm begann auch hier das große Zeitalter des Kinos, die Lichtspieltheater fanden den Weg aus den Gasthaussälen und den Schaubuden heraus in fest eingerichtete Häuser. Im Februar 1927 eröffneten Oswald und Lina Dix das Lichtspielhaus Karlstadt. Heimatliebe war damals voll im Trend, deshalb stand im Eröffnungsprogramm auch "Das Deutsche Mutterherz", die Geschichte einer deutschen Mutter. Zussätzlich gab es noch die Groteske "Jimmys Abenteuer in Neu-Mexico" und den Naturfilm "Eine Schweizer Bergfahrt". Beliebt waren die Kintops von Charlie Chaplin, Stan Laurel und Oliver Hardy sowie die bayerische Kultfigur Karl Valentin.

In Arnstein eröffnete Johann Koch an Ostern 1930 ein richtiges Kino. Als erster Film wurde der Stummfilm "Weltkrieg I. Teil" gezeigt. Die Eintrittspreise waren von 60 Pfennige bis zu einer Mark. Manche Zuschauer erinnern sich noch, dass man in den ersten drei Reihen eine Halsstarre bekam, weil man so hoch hinaufschauen musste. Dass der kleine Ort Arnstein schon ein Kino sein eigen nannte, wurde von vielen Städten neidvoll betrachtet. Während der Nazizeit wurde das Kino aber auch für Propaganda missbraucht. Manipulierte, reißerische Kriegsberichte und Verherrlichung des Führers waren nicht nur in den damaligen Filmen, sondern auch in den Beiprogrammen die Regel.

Nach dem Krieg erlebten die Kinos in Main-Spessart eine knapp 20-jährige Blütezeit. In Gemünden betrieb Magda Weis in der Bahnhofstraße ein Kino und das Koppen-Kino konnte sich bis 1968 halten. In Karlstadt hatte das "Dixy" von Jean Dietz seine Filmbühne. Auch die "Luna-Lichtspiele" in Lohr hatten bis dahin große Erfolge.

Dann kam das Kino-Sterben

Dann kam das Kino-Sterben. Im Februar 1986 titelte die Karlstadter Main-Post "Schwarzwaldklinik mach den Kinos den Garaus". Mit der Verbreitung des Fernsehens kam das "Pantoffelkino" in die deutschen Wohnzimmer. Mit Chips und einem Bier auf dem Sofa war es eben billiger und bequemer, wusste damals schon der Karlstadter Kinounternehmer Louis Flamme von den Burglichtspielen. Sein Nachfolger Wilfried Dunst hat 1958 mit 17 Jahren bei Flamme gelernt und 18 Jahre lang Filme vorgeführt, bis er die Burglichtspiele übernahm.

Statt großer Filmspulen findet man jetzt im Vorführraum der Mühlbacher Burglichtspiele jetzt einen Beamer-Projektor mit Festplatten und Monitor.
Foto: Günter Roth | Statt großer Filmspulen findet man jetzt im Vorführraum der Mühlbacher Burglichtspiele jetzt einen Beamer-Projektor mit Festplatten und Monitor.

Drei bis 120 Besucher kommen jetzt in die Vorstellungen und ohne den Zusatzverdienst durch den Verkauf von Popcorn, Süßigkeiten und Getränken könnte sein Kino nicht überleben, sagt Dunst. Unverzichtbare Hilfe für notleidende Kinos kommt aber auch vom Bundesministerium für Kultur und Medien, von der Filmförderungsanstalt in Berlin und dem FilmFernsehFonds Bayern. Wie auch sein Kollege vom "Movie im Luitpoldhaus" in Marktheidenfeld weicht er neben zugkräftigen Blockbustern häufig auf besondere Streifen aus. Es gibt Matineen, VHS-Auslesen und Sondervorstellungen für Organisationen, Gruppen, sogar für Familien. Für sein Programm wurde Dunst schon mehrfach von der Bayerischen Staatregierung ausgezeichnet.

Jetzt aber kommt mit der Energiekrise ein neues Problem auf die Kinos zu. Dunst verspricht seinen Gästen "Wir werden im Kino die Raumtemperatur zwar moderat reduzieren, aber frieren braucht deswegen gewiss niemand, eher machen wir zu. Dennoch sollten sich unsere Gäste darauf einrichten, in kurzen Hosen und Sommerhemden werden sie sich gewiss nicht wohlfühlen."

Von Zeit zu Zeit kommt aber dann doch wieder ein Blockbuster wie kürzlich der jüngste "Eberhofer Krimi". Da war das Haus wieder voll und man spürte die Stimmung und die Begeisterung der Zuschauer. Eine besondere Atmosphäre, die vor dem Fernseher wohl nie aufkommt.

Zum Autor: Günter Roth war langjähriger Lehrer im Werntal und ist mit der Heimatgeschichte vertraut. Er ist zudem stellvertretender Vorsitzender der Geschichtsfreunde Stetten.

Quellen: Günther Liepert "Gasthof Goldenes Lamm" in Arnstein; Adolf Spreng, Foto- und Filmmuseum Gemünden; Ausstellung "Schön war die Zeit …" Partenstein; Informationen Georg Büttner, Karlstadt

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter www.mainpost.de/geschichte_mspL.

 
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