
"Es ist eigentlich nicht mehr händelbar", sagt Steuerberaterin Gaby Rüppel. In ihrem Steuerbüro in Kreuzwertheim hat sie zurzeit jeden Tag Angst, dass jemand aus dem Team ausfällt, weil die Arbeitsbelastung zu groß wird. Das Pensum sei ohnehin schon sehr hoch, "weil sich Herr Lindner jeden Tag etwas Neues einfallen lässt". Die Erklärungen zur Grundsteuer-Reform hätten den Rahmen dann gesprengt. Rüppel hat deshalb eigens ihren Mann in der Kanzlei angestellt, der sich als Ingenieur eigentlich bereits im Ruhestand befand und für die neue Aufgabe extra Seminare besuchte. Seit Juli kümmert er sich in Vollzeit ausschließlich um die Bearbeitung der Anträge.
Denn bis Ende Oktober müssen Grundstückseigentümer in ganz Deutschland Erklärungen zu ihrem Besitz abgeben, auf deren Grundlage die Grundsteuer dann neu berechnet wird. 2018 hatte das Bundesverfassungsgericht die alte Berechnungsgrundlage für verfassungswidrig erklärt. Bis Ende September hat jedoch laut dem Bayerischen Landesamt für Steuern gerade einmal rund ein Viertel der Grundeigentümer die Erklärung abgegeben.

Bei der Steuerkanzlei Menzel aus Lohr hat das Thema Grundsteuer vor der Reform im Alltag eine untergeordnete Rolle gespielt, erzählt Dominik Tschinkl, der dort Steuerberater ist. Das habe sich grundlegend geändert. Als das Thema Anfang des Jahres konkreter geworden sei, habe man auch in der Lohrer Kanzlei versucht, ein eigenes Grundsteuer-Team auf die Beine zu stellen und zu schulen. Personell musste das Steuerbüro aufstocken. "Denn es fallen deswegen ja nicht weniger Einkommenssteuererklärungen an, das läuft alles neben dem Alltagsgeschäft", so Tschinkl.
Fachbegriffe lassen viele Menschen an der Erklärung scheitern
Doch warum läuft es überhaupt so schleppend mit den Erklärungen? Nach den Erfahrungen von Rüppel scheitern viele Eigentümer vor allem an der Fachsprache, die in den Formularen verwendet wird. "Der Begriff Hauptfeststellung zum Beispiel ist für uns Teil des täglichen Wortschatzes", sagt sie. Aber damit könne bei weitem nicht jeder etwas anfangen. Deshalb würden sie neben Firmen auch für viele Privatpersonen die Erklärung übernehmen.
Viele ältere Menschen tun sich laut Rüppel ohnehin schwer mit der digitalen Bearbeitung, aber auch junge Menschen scheiterten schlicht an den Tücken des Steuerprogramms Elster. "Viele Leute stoßen an ihre Grenzen, wenn sie es selbst versuchen", so Rüppels Beobachtung. Mit der Aussage "Egal was es kostet, ich will es loshaben" gingen sie dann doch zum Steuerberater. Wenn bei Elster nur ein Haken fehle oder eine Angabe falsch sei, könne man den Antrag nicht abschicken. Meist sei aber nicht klar, wo der Fehler liege und das Programm gebe hier keine Hilfestellung.
Daten für die Grundsteuererklärung sind nur schwer zu beschaffen
Laut dem Lohrer Steuerberater Tschinkl ist ein weiteres großes Problem die Beschaffung der Daten. "Für ein Ehepaar, das ein Einfamilienhaus besitzt und alle Stammdaten hat, ist die Erklärung meist in einer halben Stunde erledigt", erklärt er. Diese einfachen Erklärungen würden viele seiner Mandanten auch selbst erledigen, ohne die Hilfe des Steuerbüros.
Doch es gebe viele Fälle, die nicht so eindeutig und dadurch viel aufwändiger seien. Ein Beispiel ist die Land- und Forstwirtschaft. Hier seien die Grundstücksgrößen und -verteilungen oft gar nicht so klar, schildert Tschinkl. Probleme gebe es häufig auch bei Erbengemeinschaften. "Da wissen manche Menschen gar nicht genau, was sie alles besitzen oder woran sie überhaupt beteiligt sind." Die Aufgabe der Steuerbüros sei es, alle notwendigen Daten zu beschaffen und dafür seien oft viele Gespräche und Rückfragen bei den Mandanten nötig.
Hinzu kommt die Masse an Erklärungen, die Stück für Stück gemacht werden müssen: Für das Steuerbüro Menzel schätzt Dominik Tschinkl, dass sie am Ende auf etwa 1200 bis 1400 Erklärungen kommen werden.
Unterschiedliche Bundesländer haben unterschiedliche Regeln für die Grundsteuer
Eine weiteres, wenn auch im Vergleich eher kleines, Problem: Nicht alle Bundesländer haben die gleichen Regeln. Denn in Baden-Württemberg gelten andere Vorgaben als in Bayern und wer eine Immobilie in Berlin besitze, müsse wieder andere Dinge beachten. Tschinkl schätzt, dass in dem Lohrer Steuerbüro Immobilien aus fast allen Bundesländern bearbeitet werden.
Rund zweieinhalb Wochen vor dem Ende der Frist sieht der Steuerberater aus Lohr keine Chance, dass diese eingehalten werden kann: "Ich halte es für utopisch, dass bis dahin alles abgegeben wird." Seiner Meinung nach sei die Frist von vier Monaten von Anfang an viel zu knapp bemessen gewesen. Eine Verlängerung wäre auf jeden Fall wünschenswert und ein schönes Zeichen, findet Tschinkl. Denn in den vergangenen Jahren sei den Steuerpflichtigen und damit auch den Steuerbüros immer mehr aufgebürdet worden. Zuletzt hatten die Anträge für die Corona-Hilfen für viel Arbeit gesorgt.
Auch Gaby Rüppel kann angesichts der bevorstehenden Frist nur lächeln. Das Datum sei ihr inzwischen völlig egal, leid tue es ihr nur um die Mandanten, die sie vertrösten müsse. "Wir arbeiten nacheinander alles ab, mehr geht nicht", sagt sie. Sie kann sich durchaus vorstellen, dass es eine Fristverlängerung geben wird, die Regierung diese aber aus taktischen Gründen erst ganz kurz vor Ablauf verkünden wird. Denn dann fange man noch einige Menschen ein, die die Erklärung doch erst kurz vor knapp abgeben würden.