zurück
Main-Spessart
Schuldnerberater am Landratsamt Main-Spessart: "Wir haben durch die steigenden Gaspreise schon erste Anfragen"
Das Landratsamt bietet Hilfe, wenn Bürgerinnen und Bürger verschuldet sind. Im Interview spricht Christian Maltry über steigende Klientenzahlen. Spürt er schon Auswirkungen der Energiekrise?
Christian Maltry ist Schuldnerberater am Landratsamt Main-Spessart.
Foto: Björn Kohlhepp | Christian Maltry ist Schuldnerberater am Landratsamt Main-Spessart.
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:19 Uhr

Christian Maltry ist fachlicher Leiter der Schuldnerberatung am Landratsamt Main-Spessart, einer der ersten in Unterfranken. Der Sozialpädagoge berät seit dem Start im Jahr 1988 Menschen mit finanziellen Schwierigkeiten. Maltry ist einer von drei Schuldnerberatern am Landratsamt.

Frage: Kommen im Moment durch Corona und die steigenden Preise mehr Leute zu Ihnen?

Christian Maltry: Die Nachfrage hat angezogen. In dem Jahr haben wir schon die Nachfragezahlen erreicht, die wir letztes Jahr am Jahresende hatten. Überschuldungsprobleme sind aber meistens nicht auf ein ganz konkretes Ereignis zurückzuführen, sondern es ist eine Vielzahl von Faktoren, die dazu führt, dass man in finanzielle Schwierigkeiten kommt. Der allgemeinen Entwicklung hinken wir etwa zwischen ein und zwei Jahre nach, weil diejenigen mit finanziellen Problemen versuchen, sich erst mal selber zu helfen. Die Finanzkrise von 2008 haben wir auch erst 2009, 2010 gespürt.

Wie hat sich Corona bislang ausgewirkt?

Maltry: Wir hatten am Anfang, ehrlich gesagt, gedacht: 'Oh je, Corona, das wird jetzt ganz übel'. Aber es war gar nicht so. Jetzt kommen die ersten. Das liegt ganz einfach daran, dass Selbstständige erst mal Hilfsangebote genutzt und angefangen haben, die eigenen Reserven reinzustecken. Da ist sicherlich so manche Altersversorgung in den Betrieb geflossen.

Wie verschuldet sind denn die Main-Spessarterinnen und Main-Spessarter im Vergleich?

Maltry: Der Landkreis hat bei der Schufa eine vergleichsweise niedrige Quote, liegt im Bundesvergleich in den Top Ten. Solche Zahlen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, denn es gibt keine Überschuldungsforschung mehr. Einerseits haben wir eine niedrigere Arbeitslosigkeit, was eine geringe Überschuldungsquote erklären könnte. Andererseits ist die Gründungsquote in Main-Spessart hoch, was heißt, dass auch viele scheitern. Wir können uns jedenfalls über mangelnde Nachfrage nicht beschweren.

Wie alt sind Ihre Kundinnen und Kunden im Schnitt?

Maltry: Der Schwerpunkt liegt zwischen 35 und 45 Jahren. Nach der Familiengründungsphase hat man die größten Investitionen und kommt am leichtesten in finanzielle Schwierigkeiten.

Wer kann zu Ihnen in die Schuldnerberatung kommen?

Maltry: Die Schuldnerberatung am Landratsamt ist für alle Bürger des Landkreises, die finanzielle Probleme haben. Grundsätzlich darf jeder Verbraucher zu uns kommen, Firmen beraten wir nicht. Wir unterstützen Verbraucher bis hin zur Restschuldbefreiung im förmlichen gerichtlichen Insolvenzverfahren, aber auch im Rahmen von niederschwelligeren Angeboten – zum Beispiel, wenn jemand mit seinen Ausgaben nicht zurechtkommt oder wenn viele Forderungen an einen gestellt werden.

Und die Beratung ist kostenlos?

Maltry: Die Beratung ist kostenlos und vertraulich.

Was sind die häufigsten Gründe dafür, dass jemand Ihre Hilfe sucht?

Maltry: Die Mehrzahl der Auslöser sind Scheidung, Arbeitsplatzverlust und dramatische Lebensereignisse, etwa eine schwere Erkrankung. Der klassische unwirtschaftliche Schuldner, den man sich so vorstellt, der alles kauft, was nicht bei drei auf den Bäumen ist, spielt eigentlich keine Rolle.

Und diese Auslöser führen dann über kurz oder lang dazu, dass Menschen in finanzielle Schwierigkeiten geraten?

Maltry: Genau. Wenn Sie beispielsweise Ihren Arbeitsplatz verlieren und haben aber das Auto über Ratenzahlung finanziert, kommen Sie womöglich mit den Raten in Rückstand. Eine Rate ist okay, aber zwei Raten führen nach den gesetzlichen Bestimmungen dazu, dass man Ihnen das Darlehen insgesamt fällig stellen kann. Das heißt, Sie schulden nicht nur Ihre 300-Euro-Rate, sondern die vollen 20.000 Euro, die noch offen sind. Auch wenn Sie nach weiteren zwei Monaten wieder eine Arbeit finden, müssen Sie weiterhin die 20.000 Euro begleichen plus die Kosten für Inkassounternehmen und Rechtsanwälte und so weiter. Die Mehrzahl unserer Verhandlungspartner sind Inkassounternehmen oder Anwaltskanzleien.

Wie können Sie als Schuldnerberater da helfen?

Maltry: Wir versuchen durch Verhandlungen eine Lösung zu finden, mit der alle zufrieden sein können – etwa eine monatliche Ratenzahlung, die sich an den wirtschaftlichen Möglichkeiten orientiert. Wenn das nicht klappt, müssen wir über ein Insolvenzverfahren nachdenken und sind dort unter Umständen rechtliche Vertretung des Schuldners vor dem Insolvenzgericht.

Sie beraten aber auch einfach nur?

Maltry: Genau, es fängt immer erst einmal mit dem Beraten an.

Empfehlen Sie dann zum Beispiel, ein Haushaltsbuch zu führen?

Maltry: Das sagen wir bisweilen, wenn wir sehen, derjenige weiß gar nicht, was er ausgibt. Dafür gibt es auch Apps. Ausgaben, die nicht regelmäßig sind, sind besonders schwer zu merken. Wir überlegen mit den Leuten beispielsweise, was für einen Versicherungsschutz brauche ich vernünftigerweise. Manche Verträge sind vielleicht gar nicht sinnvoll, andererseits haben viele gar keine private Haftpflichtversicherung, die die wichtigste Versicherung überhaupt ist.

Stoßen Sie auch an Grenzen?

Maltry: Manchmal müssen wir sagen: Ihr Problem ist erst einmal ein ganz anderes, Sie haben ein Suchtproblem, das müssen Sie erst in den Griff kriegen. Gegen die Sucht können wir nicht anberaten. Wir verweisen dann an Einrichtungen für Suchtberatung. Auch bei psychischen Erkrankungen, etwa Depressionen, stoßen wir an Grenzen.

Wie viele Fälle betreuen Sie insgesamt pro Jahr?

Maltry: Ungefähr 800 Fälle im Jahr. Viele sind nach ein, zwei oder drei Beratungsterminen zur Zufriedenheit abgeschlossen, aber es sind auch etliche dabei, die dann tatsächlich ins Insolvenzverfahren müssen.

Kommt es häufig vor, dass Ihren Klientinnen und Klienten etwa der Strom abgedreht wird?

Maltry: Das kommt immer wieder vor. Der Versorger muss aber zunächst andere Lösungen finden, beispielsweise die Ratenzahlung des Rückstands. Es darf nicht abgeschaltet werden, wenn Gefahr für Leib und Leben besteht. Kann die Strom- oder Gasrechnung nicht bezahlt werden, muss eventuell beim Sozialamt oder beim Jobcenter ein Antrag gestellt werden.

Erwarten Sie, dass durch die steigenden Preise mehr auf Sie zukommt?

Maltry: Ja, das erwarten wir natürlich. Wir haben angesichts der steigenden Gaspreise schon die ersten Anfragen. Wenn der Bedarf mit dem normalen Einkommen nicht zu decken ist, bleibt als letzte Lösung die Antragstellung beim Jobcenter oder beim Sozialamt.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Karlstadt
Lohr
Gemünden
Marktheidenfeld
Björn Kohlhepp
Depressionen
Finanzkrisen
Finanznöte
Gaspreise
Schufa
Schuldnerberater
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Eos123456
    Ich bin nach wie vor der Ansicht: Wer vernünftig wirtschaftet und sich nicht zur Kreditaufnahme verleiten läßt, der wird auch keine Probleme haben.

    Vor Jahrzehnten beim Hausbau habe ich Hausbau- und Hypothekenkredite aufgenommen, aber diese waren ja durch reale Immobilienwerte gedeckt. Heute werden Schulden ohne alle Sicherheiten gemacht.

    Ich kaufe selbst Neuwagen gegen Direktüberweisung vom Konto und habe damit immer nur gute Erfahrungen gemacht. Schon seit vielen Jahren habe ich keinen einzigen Kredit oder gar eine Kontenüberziehung mehr benötigt.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten