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Weibersbrunn
Samstagsbrief: Frau Digitalministerin, 2021 muss Ihr Jahr werden!
Corona hat gezeigt, wie rückständig der Freistaat in Sachen Digitalisierung noch ist, findet unser Autor. Judith Gerlach aus Weibersbrunn muss es im neuen Jahr richten.
Digitalministerin Judith Gerlach beim Redaktionsbesuch Ende 2018
Foto: Angie Wolf | Digitalministerin Judith Gerlach beim Redaktionsbesuch Ende 2018
Benjamin Stahl
 |  aktualisiert: 08.02.2024 11:00 Uhr

Sehr geehrte Frau Gerlach,

ich erinnere mich noch gut an Ihren Redaktionsbesuch Ende 2018. Markus Söder hatte Sie, damals gerade 33 Jahre alt, zur ersten bayerischen Digitalministerin gemacht. Von einem Coup war die Rede: eine junge Frau aus dem unterfränkischen Weibersbrunn an der Spitze eines neu geschaffenen Zukunftsministeriums. Das klang nach Aufbruch und hauchte dem alten CSU-Slogan "Laptop und Lederhose" neues Leben ein.

Als Digitalministerin, sagten Sie uns, müssten Sie nicht programmieren können. Ihr Ministerium wollten sie als Denkfabrik aufbauen, die Leuchtturmprojekte entwickelt. Auf die Frage, was Sie konkret tun werden, baten Sie, Ihre ersten hundert Tage im Amt abzuwarten. Inzwischen sind Sie einige hundert Tage im Amt und ich frage Sie erneut: Was machen Sie?

Ich meine das nicht böse, ich wundere mich nur. Bei den vielen Corona-Pressekonferenzen wurde der Ministerpräsident von zahlreichen Kabinettsmitgliedern flankiert: von der Gesundheitsministerin, dem Wirtschaftsminister, dem Kultusminister, der Sozialministerin. Sie waren nie dabei. Und das, obwohl im Corona-Jahr die Digitalisierung eine größere Rolle als jemals zuvor gespielt hat. Egal ob Beruf oder Privatleben – alles wurde irgendwie digitaler, es musste digitaler werden. Nur das Digitalministerium schien seltsam außen vor.

Ja, ich weiß, im Sommer haben Sie mal dazu aufgerufen, den Corona-Digitalisierungsschub zu nutzen: Es dürfe "kein Zurück zum Vor-Krisen-Zustand geben", forderten Sie. Ich hätte mir aber gewünscht, dass Sie mal richtig auf den Tisch hauen, Frau Gerlach. Auch öffentlich. Der digitale Schlafwagenexpress, in dem viele ihrer Ministerkolleginnen und -kollegen sitzen, muss Sie doch auch wahnsinnig machen: Wenn nicht gerade Corona-Testergebnisse an der bayerischen Grenze noch mit Zettel und Stift erfasst wurden, brach in den Schulen die Lernplattform Mebis des Kultusministeriums zusammen. Zuletzt quasi mit Ansage am ersten Tag des harten Lockdowns im Dezember. Zudem fehlen noch immer von München versprochene Schüler-Laptops. Dabei hatte ausgerechnet Kultusminister Michael Piazolo noch im Oktober einen "Digital-Turbo" versprochen. Herauskam eine Fehlzündung. Da erwarte ich aus Ihrem Haus keine Leuchtturmprojekte. Pannenhilfe würde genügen.

Damit nicht genug: Das "Bayerische System für Infektionskettenmanagement", eine Behörden-Software, die die Erfassung von Corona-Infizierten und ihrer Kontaktpersonen vereinfachen sollte, wurde einfach nicht von allen Gesundheitsämtern genutzt. Viele setzten lieber auf Excel-Tabellen. Und jetzt, nachdem man monatelang auf den Impfstart gewartet hat, steht die Software, mit der die Impf-Kampagne gesteuert werden soll, nur teilweise zur Verfügung: Terminvergaben in den Impfzentren sind über die Online-Plattform des Freistaats wohl frühestens Mitte Januar möglich. Vermutlich kommen bis dahin wieder Papier und Stift zum Einsatz.

Nein, Sie müssen nicht programmieren können, Frau Gerlach. Aber vielleicht ginge manches schneller, wenn Sie es lernten. Wie man es besser macht, zeigt derweil das Rote Kreuz in Kitzingen: Dort hat man für das Impfzentrum in wenigen Tagen eine Online-Terminvereinbarung auf die Beine gestellt: corona-impfung-kitzingen.de. Auch in Würzburg gibt es unter impfen-wuerzburg.de das, was die Staatsregierung bis jetzt nicht geschafft hat.

Kürzlich hat mir ein Leser geschrieben. Er arbeitet in einem Industrieunternehmen und schilderte, wie sein Arbeitgeber zu Beginn der Corona-Krise innerhalb kürzester Zeit Prozesse optimiert und neue IT-Lösungen gefunden hat. Dann bringt er einen Vergleich: "Gute Unternehmen", schreibt er, "sitzen im Flugzeug, der Staat fährt Fahrrad und denkt, er ist mit dem Rennrad schon so schnell, dass es schneller nicht geht." Ich befürchte, das trifft den Nagel auf den Kopf: In Teilen der Staatsregierung piept das alte Modem noch so laut, dass man gar nicht zu bemerken scheint, wie analog man noch unterwegs ist.

Liebe Frau Gerlach, die Pandemie ist eine unbarmherzige Taschenlampe, die jeden Winkel unseres Lebens ausleuchtet und schonungslos offen legt, was nicht läuft. Für mich zeigt sich: "Laptop und Lederhose" sind noch weit voneinander entfernt. Ja, Sie haben es schwer: Für den Breitbandausbau ist der Finanzminister federführend, bei der Künstlichen Intelligenz der Wissenschaftsminister und bei digitalen Corona-Fragen eben die Gesundheitsministerin. Die Digitalministerin wirkt immer nur halbzuständig. Meine Bitte an Sie: Finden Sie im neuen Jahr Ihre Rolle, machen Sie Ihren Kabinettskollegen Druck und zünden Sie den Digital-Turbo.

Viel Erfolg für 2021 wünscht

Benjamin Stahl, Redakteur

Einer bekommt Post – der "Samstagsbrief"

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur.
Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir vom Adressaten Post zurück.
Die Antwort und den Gegenbrief, den Briefwechsel also, finden Sie dann auf jeden Fall bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet die Antwort desjenigen, der den "Samstagsbrief" zugestellt bekommt, ja auch Anlass für weitere Berichterstattung – an jedem Tag der Woche.
Quelle:
 
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Kommentare
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  • H. E.
    ... und gut geht auch anders! Der Brief lässt zum Start ins neue Jahr schon zu wünschen übrig!
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  • H. E.
    Nachdem ich zuerst die Antwort von Frsu Gerlach gelesen habe und dann den Brief von Herrn Stahl....
    Ich frage mich, warum die Kommentare hier so sind wie die sind... klar, es gibt Luft nach oben!
    Klar, es wurde viel geleistet und angeschoben was die Basis für Digitalisierung ist! Aber klar ist auch dass das Gute nicht in der Bevölkerung ankommt weil es der Presse höchstens Randnotizen wert sind!
    Aber wo wären wir wenn es entweder die Maßnahmen in Bayern oder im Bund nicht gäbe? Wo wenn Unternehmen nicht investieren würden? Wir sind auf einem guten Weg! ABER es geht nicht schnell genug! Daher greifen viele zum guten alten Excel. Bei den Kommunen steht ein riesiger Softwareapparat entweder von Kommuna oder der AKDB dahinter. Und da heißt es anstellen bis man dran kommt. Wer schult die (teilweise nicht IT-affinen) Helfer in Programmen von denen wir vor einem Jugar nicht wussten dass wir sie brauchen?
    Alles nachplappern und Vorhaltungen bzw Besserwisserei ist heute suboptimal!
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  • A. H.
    ......warum sie so sind, wie sie sind, dieKommentare?
    M.M., weil da einem vermeintlichen und von der MainPost im allgemeinen auch befeuert (meine Meinung!) mainstream folgend -populistisch halt - geradezu darauf gewartet wird, auf die Staatsregierung einzudreschen; o.k., ich hätte das auch ein wenig dezenter sagen können, würde aber an der Tatsache nix andern
    have a nice...
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  • A. H.
    Na, Herr Stahl, jetz ham se' se ja bald durch, die Staatsrregierung mit Ihren vordergründig-durchsichtig-populistischen Briefchen. Werden die eigentlich auch mal mit einer Antwort gewürdigt?
    Die Reaktion im Netz is jedenfalls angesichts der wohl beabsichtigten eher als erwartbar und kläglich zu bezeichnen (bisher zumindest), und das sowohl hinsichtlich der Anzahl, als auch der "Argumente".
    Da bleibt noch vieeeeeeeeeeeeel Luft nach oben.
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  • D. E.
    Lieber @glaubt-nicht-alles,
    bitte, bitte, bitte,
    stellen Sie doch endlich hier ins Forum, was sie vorschlagen - sei es allgemein, sei es an konkrete Stellen gerichtet - um die Digitalisierung an den Schulen, in Ämtern voranzubringen, das schnelle Internet flächendeckend in Bayern und selbstverständlich auch Anleitung zu einem Journalismus, der höheren Ansprüchen gerecht wird als dem der Leser dieser Zeitung mit den vier Buchstaben und den großen Bildern auf Seite 1! Wir warten auf Sie!!
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  • A. H.
    ...um die Digitalisierung geht's mir doch goar net
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  • B. S.
    Hallo glaubt-nicht-alles,
    zu Ihrer Frage: ja. Hier zum Beispiel die Antwort von Staatsministerin Gerlach: www.mainpost.de/10549230
    Alle Samstagsbriefe und Antworten gibt's übrigens unter www.mainpost.de/samstagsbrief
    Freundliche Grüße und alles Gute im neuen Jahr!
    Benjamin Stahl
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  • M. S.
    weiblich, jung, schaut gut aus, studiert sind die Attribute die sie auf den Posten gehievt haben.

    Die CSU hat hier dem Wahlvolk nicht viel zu bieten. Das eröffnet jungen, gut aussehenden CSU-affinen Damen hervorragende Karrierechancen, vor allem unter einem Ministerpräsidenten Söder der ohne Rücksicht auf Verluste als modern gelten will und sich wo immer es sich anbietet beim potentiellen Wähler anbiedert u.a. durch die Frauenquote.

    Frau Gerlach hat sich, warum auch immer, vor einem Karren spannen lassen den sie als gut ausgebildete Juristin nicht nötig hat! Solange sie sich ruhig verhält und die CSU an der Macht ist kann sie aber sicher sein, nicht nach unten fallengelassen zu werden, mit ein wenig mehr Glück spült es sie vielleicht ähnlich weit nach oben wie ihre Kollegin Frau Bär die ebenso unglücklich agiert und nur ihren Glamourfaktor in den Medien zur Schau stellen kann.

    Wenn die Frauenquote so umgesetzt wird, ist das Gegenteil dessen erreicht was gewollt ist
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  • A. G.
    "Corona hat gezeigt, wie rückständig der Freistaat in Sachen Digitalisierung noch ist"

    wenn man überlegt, das der "csu-slogan" laptop und lederhose 1998(!) von roman herzog in die welt gesetzt wurde und 2018 um dirndl und digitalisierung erweitert wurde, dann kann man sich nur wundern das es diesen rückstand überhaupt gibt.

    da wird eine bayerische digitalministerin wohl wenig daran ändern können, wenn ihr ministerium und sie selbst nur "halbzuständig" ist.

    gleiches gilt ja auch in "bärlin" wo eine staatsministerin "tätig" ist die weder weisungsbefugt ist, noch über ein eigenes budget verfügt.

    da werden wir noch länger damit leben müssen das alles schöngeredet wird und mit so schönen begrifflichkeiten wie "digital-turbo" usw. um sich geworfen wird.
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  • R. E.
    Gut formuliert, Herr Stahl! Allerdings befürchte ich, diese "digitale Verantwortung" wurde nur als Alibi installiert. Letztlich fehlt es wohl an der Akzeptanz für diese übergreifende Disziplin in den "wichtigeren" Ministerien. So zeigt uns Corona deutlich die Aufgaben und Baustellen, aber es fehlt an Problemlöser/innen und Bauarbeitern, die anpacken. Parallel dazu schüttet der Bund Milliarden aus, allerdings auch nicht nur zielgerichtet, sondern zum Teil in die Großunternehmen, die trotzdem Stellenabbau betreiben. Eigentlich nichts NEUES, aber die Hoffnung, dass Corona - nicht nur bei der Digitalisierung - eine positive Veränderung der Menschen erzeugt, bleibt!
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  • G. K.
    Ein sehr gelungener Kommentar.

    Allerdings gibt sich Herr Stahl im letzten Teil selbst die Antwort darauf, weshalb aus dem Digitalministerium bisher nicht viel gekommen ist.

    Man hat es versäumt, das Ministerium mit einer klaren Zielsetzung auszustatten – und es gibt zu jedem Thema immer Kompetenzüberschneidungen mit mindestens einem weiteren Ministerium – das liegt in der Natur der Sache. Die Aufgaben (siehe https://www.stmd.bayern.de/ministerium/aufgaben/) kann man mit einem einzigen Wort zusammenfassen: „Blubb!“

    Frau Gerlach wurde in diesem Ressort vermutlich nach Alter und ihre CSU-Ahnenreihe ausgewählt – ihre IT-Fachkompetenz als Anwältin jedenfalls kann nicht den Ausschlag gegeben haben. Motto der CSU-Altherren: „Jeder Digital Native ist automatisch ein IT-Experte.“ Aber nur weil jemand im Jahr 2020 ein Smartphone nutzt, macht ihn das nicht zum IT-Experten!

    Die Ministerin – wie das gesamte Ministerium - ist für mich inhaltlich wie personell substanzloses Blendwerk.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Eine Digitalministerin bringt noch lange keinen Laptop ins Dirndl. Geschweige denn in die Lederhose. Möglicherweise liegt das weniger an der jungen Dame, als an der, in großen Teilen, rückwärtsgewandten CSU.
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  • M. D.
    Haben Sie vergessen, mit welcher Partei Sie es hier zu tun haben, Herr Stahl?

    Der korrekte Adressat dieser Rüge ist Söder. Der „Coup“ jedenfalls war mit der medienwirksamen Ernennung hier beendet. Ist nun wirklich nichts Neues.
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