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Karlstadt
Wenn Fiebersaft knapp wird: Wie Karlstadter Apotheken mit dem Medikamentenmangel umgehen
Eine Erkältungswelle rollt über Deutschland. Doch gerade jetzt gibt es Lieferengpässe bei vielen Medikamenten für Kinder. In Karlstadt steigen Apotheken nun selbst in die Produktion ein.
Sven Jahn von der Brunnen-Apotheke in Karlstadt findet, es sollten wieder mehr Arzneimittel in Europa produziert werden.
Foto: Corbinian Wildmeister | Sven Jahn von der Brunnen-Apotheke in Karlstadt findet, es sollten wieder mehr Arzneimittel in Europa produziert werden.
Corbinian Wildmeister
Corbinian Wildmeister
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:24 Uhr

Am "schlimmsten" sei die Situation bei Arzneien für Kinder wie Fiebersäften, Antibiotika oder Zäpfchen, berichtet Sven Jahn, Leiter der Brunnen-Apotheke. In ganz Deutschland gibt es im Moment größere Lieferengpässe bei Medikamenten. So auch in den Apotheken in Karlstadt. Bei vielen Medikamenten könne er derzeit noch auf Produkte mit demselben Wirkstoff von anderen Herstellern ausweichen, so Jahn. Ansonsten versuche er in Rücksprache mit seiner Kundschaft und den behandelnden Ärztinnen und Ärzten eine Alternative zu finden.

Manche Arzneien könnte man auch noch ohne Bedenken einnehmen, wenn sie bereits seit kurzer Zeit abgelaufen und noch original verpackt sind. Jahn warnt jedoch: "Es kommt auf das Medikament an!" Mittel für die Augen müssten zum Beispiel sofort weggeschmissen werden, von geöffneten Säften sollte man auch die Finger lassen. In jedem Fall sollte man sich vorab von Fachleuten beraten lassen.

Fiebersäfte und Zäpfchen in Eigenproduktion

Neuerdings stellen die Mitarbeitenden in der Brunnen-Apotheke auch selbst Fiebersäfte und Zäpfchen her, erzählt Jahn. "Wenn wir das in kleinem Maßstab produzieren, können wir natürlich nicht den gleichen Preis anbieten wie Pharmahersteller."

Auf diese Strategie setzen auch die Apotheke im Gesundheitszentrum, die Mohren Apotheke und die VitaFit Apotheke, deren Inhaber jeweils Christoph Weißhaar ist. "Was sollen wir anderes tun, wenn wir die Wirkstoffe nicht kriegen?", sagt Filialleiterin Eva Pfaff.

Es sei jedoch sehr zeitaufwendig, Medikamente selbst zu fertigen. Mitarbeitende stünden dafür stundenlang im Labor, erklärt Pfaff. Zudem habe erstmal "durchgeboxt" werden müssen, dass Krankenkassen die Kosten für die teurere Eigenproduktion übernehmen. Und dann sind auch noch die Materialien für die Fiebersaftproduktion schwer zu bekommen. Da gehe es schon los bei Fläschchen und Dosierspritzen, so die Apothekerin.

Krankheitsfälle bei Arzneimittelherstellern

Silvia Schmitt, Chefin der Franken Apotheke, erinnert sich, dass sich die Lieferengpässe Anfang Dezember so richtig bemerkbar gemacht hätten. "Als es anfing mit der Erkältungswelle, gerade bei den kleinen Kindern." Laut Schmitt sind auch einige Mittel für Erwachsene knapp geworden, zum Beispiel Blutdruckmittel oder Arzneien für den Magen. Aber was hat diesen Mangel verursacht? Dafür gibt es offenbar mehrere Gründe.

Einige Unternehmen hätten wegen der Energiekrise ihre Produktion heruntergefahren, so Schmitt. Zudem gebe es viele Krankheitsfälle bei den Herstellerfirmen. "Wenn viele Leute krank sind, können die auch nicht mehr produzieren." Viele Arzneimittel werden im Ausland gefertigt, gerade in asiatischen Ländern. Und China hat beispielsweise im Moment mit einer schweren Corona-Infektionswelle zu kämpfen.

Apotheker Sven Jahn findet deshalb auch, dass künftig wieder mehr Medikamente in Europa produziert werden sollten: "Einfach, um nicht mehr so abhängig zu sein." Das sei aber natürlich auch teurer. 

Inhalatoren könnten knapp werden

Eine weitere Ursache für die aktuelle Lage sieht Jahn darin, dass die Erkältungswelle in diesem Winter deutlich stärker ausgefallen ist als sonst. "Der Bedarf an Medikamenten ist extrem hoch." Die Pharmaunternehmen hätten diesen niedriger kalkuliert. Jahn denkt, dass sich die Lage in den kommenden Monaten noch zuspitzen könnte. So könnten etwa Inhalatoren knapp werden. Denn diese werden inzwischen nicht mehr nur Asthmatikern, sondern auch Covid-Patienten verschrieben. Sie hemmen Entzündungen in der Lunge und helfen gegen Atemnot.

"Zur Zeit ist es wirklich krass", fasst Eva Pfaff die Lage zusammen. Beinahe täglich seien bestimmte Medikamente durch den Großhandel nicht lieferbar. Zumindest gebe es in der Apotheke im Gesundheitszentrum noch keine "Panikkäufe". Zu Beginn der Corona-Pandemie habe sie das als  "schlimmer" empfunden. Teilweise seien Kundinnen und Kunden zwar schon verunsichert, wenn sie den benötigten Wirkstoff nicht von der gewohnten Firma bekommen, so Pfaff. Meist seien sie dann aber einfach dankbar, wenn man eine Alternative findet.

Die Kundschaft ist in der Regel verständnisvoll

Sehr zufrieden zeigt sich Sven Jahn mit den Reaktionen seiner Kundschaft auf die Arzneimittelknappheit. Die Leute seien in der Regel verständnisvoll und wüssten, dass es nicht die Schuld der Apotheke ist, dass ein Medikament gerade nicht lieferbar ist. In den meisten Fällen finde sich ja auch eine Lösung. Hamsterkäufe lassen er und sein Team nicht zu. Bei knappen Mitteln wie Fiebersäften gebe man nur ein bis zwei Packungen aus. 

Wann sich die Situation auf dem Medikamentenmarkt wieder beruhigt? Da können auch die Karlstadter Apothekerinnen und Apothekerin nur spekulieren. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat zwar bereits Maßnahmen angekündigt, doch Thomas Preis, Chef des Apothekerverbands Nordrhein, sagte erst kürzlich der "Rheinischen Post": "Es wird viele Monate dauern, bis die Versorgungssituation besser wird. Wir gehen davon aus, dass die Lieferprobleme auch 2023 anhalten und noch weitere Arzneimittel betroffen sein werden."

 
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  • attheendoftheday
    Die Nutzung alten Wissens wird nicht mehr gewollt.
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  • p-koch-dettelbach@t-online.de
    Die nicht verschreibungspflichtigen Fiebersäfte sind eh überflüssig wie ein Kropf.
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