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Gemünden
Pflege-Frust in Main-Spessart: Die lange Suche nach einem Betreuungsplatz für eine Pflegebedürftige
Es habe schon Tage damit verbracht, passende Pflegeangebote für die Mutter zu finden, beklagt ein Rentnerehepaar aus dem Raum Gemünden. Eine Sache sei für sie "fast schon Hohn".
Ein Ehepaar aus Main-Spessart ärgert sich darüber, dass es für verschiedene Pflegeleistungen für die (Schwieger-)Mutter oft lange suchen muss (Symbolfoto).
Foto: Jens Kalaene, dpa | Ein Ehepaar aus Main-Spessart ärgert sich darüber, dass es für verschiedene Pflegeleistungen für die (Schwieger-)Mutter oft lange suchen muss (Symbolfoto).
Aurelian Völker
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:59 Uhr

Der Frust ist groß: "Seit eineinhalb Jahren telefoniere ich mir die Finger wund, um eine Haushaltshilfe für die Schwiegermutter zu finden" – bis heute erfolglos, erzählt eine verzweifelt wirkende Frau aus dem Raum Gemünden. Auf einen Bericht, der die Unterstützungsmöglichkeiten für Pflegebedürftige und deren Angehörige in Main-Spessart vorgestellt hatte, wandten sie und ihr Mann sich an diese Redaktion: "Das ist die Seite der Beratung – wir kennen die andere Seite."

Die Beratung – auch die des Pflegestützpunktes – sei gut, man bekomme überall Informationen, berichtet das Ehepaar. "Aber das echte Leben nach der Beratung sieht anders aus." Da stehe man wieder wie vorher alleine da und komme nicht weiter. Aus Rücksicht auf die Mutter, die Ende 80 ist und noch nicht mal ihren besten Freunden von ihrer Pflegebedürftigkeit erzählt habe, will das Ehepaar anonym bleiben. 

Tage investiert, um eine Haushaltshilfe für die pflegebedürftige (Schwieger-)Mutter zu finden

Seit rund zwei Jahren ist die Seniorin in Pflegegrad eins eingestuft. Sie wohnt in einer eigenen Wohnung im selben Haus wie das Ehepaar. Da sie nicht mehr alles selbstständig erledigen kann, sucht sie eine Haushaltshilfe. Für Angebote wie dieses gewährt der Staat pauschal einen Entlastungsbeitrag von 125 Euro im Monat. Wird das Geld nicht verbraucht, sammelt es sich wie auf einem Sparbuch an.

"Wir haben schon Tage investiert und sämtliche Pflegedienste in Main-Spessart und Bad Kissingen kontaktiert, um eine Haushaltshilfe zu finden", sagt die Schwiegertochter. Bislang erfolglos, sie würden nicht einmal auf die Warteliste geschrieben: "Die sagten zu mir, die sei so lang, das mache keinen Sinn." Außerdem habe sie diesen Satz gehört: "Wenn ich es Ihnen ganz ehrlich sagen soll, da ist nichts dran verdient."

Über 30 Heime für einen Platz in der Kurzzeitpflege kontaktiert

Der Telefon-Marathon begann von vorne, nachdem die Seniorin sich bei einem Sturz das Becken gebrochen hatte und nach einem Reha-Aufenthalt für drei Wochen in die Kurzzeitpflege sollte. Für einen entsprechenden Platz hätten sie über 30 Heime bis in die Rhön kontaktiert. Nur durch einen Zufall hätten sie ganz kurzfristig eine Zusage in der Nähe erhalten. Die Schwiegertochter verweist zudem auf die Bürokratie: "Pflegebedürftige ältere Menschen sind komplett überfordert mit dem Papierkrieg."

"Auch wenn es die Mutter ist und man es gerne macht, ist es doch eine dauerhafte Belastung für die Familie."
Sohn einer Pflegebedürftigen aus dem Raum Gemünden

Ziel aller Pflegeangebote sollte immer sein, dass die Pflegebedürftigen möglichst lange in ihrem gewohnten Umfeld bleiben dürfen, sagt das Ehepaar. Doch wenn es keine externe Unterstützung gebe, dann bleibe alles an der Familie hängen. "Heutzutage arbeiten fast alle, wir haben das Glück, dass wir beide daheim sind." Und "auch wenn es die Mutter ist und man es gerne macht, ist es doch eine dauerhafte Belastung für die Familie".

Doch es gibt auch positive Erlebnisse. Den Zuschuss von 4000 Euro für den behindertengerechten Badumbau hat die Familie schnell und unkompliziert erhalten. Und der Sohn lobt den guten Umgang miteinander: "Alle Gesprächspartner sind freundlich, hilfsbereit, bemüht, verständnisvoll und kompetent."

Hoffnungen und Wünsche des Ehepaars an die Politik

Von der Politik wünscht sich das Ehepaar mehr Pflegepersonal und mehr Vertrauen des Staates in die Bürgerinnen und Bürger, sodass etwa der oben erwähnte Entlastungsbeitrag wieder an pflegende Angehörige ausgezahlt wird. Auch der Vorschlag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, eine verpflichtende soziale Zeit für junge Menschen wiedereinzuführen, gefällt ihnen.

Denn Fakt sei, der Staat biete "den Entlastungsbeitrag von 125 Euro an für verschiedene Dinge, die du aber alle nicht in Anspruch nehmen kannst, weil kein Personal da ist". Ende Juni verfällt grundsätzlich das angesammelte Geld aus dem Vorjahr. Wird die Unterstützung nie in Anspruch genommen, sind das 1500 Euro pro Jahr. Das Ehepaar kann immerhin einen Teil des Geldes für die Kurzzeitpflege anrechnen.

Entlastungsbeitrag: Das Ehepaar hat die Suche nach einer Haushaltshilfe aufgegeben

Und die Haushaltshilfe? "Wir sind so weit, dass es egal ist, was es kostet. Wir suchen jemanden, auch wenn wir das selber zahlen müssen." Den Erstkontakt zu einer Reinigungskraft hätten sie bereits hergestellt. Die Suche über einen zertifizierten Pflegedienst werden sie wohl aufgegeben – "es macht ja keinen Sinn mehr". Damit seien sie nicht allein, erzählt der Sohn der Pflegebedürftigen: "Aus Gesprächen mit anderen Betroffenen weiß ich, dass einige bereits resignieren."

"Wenn wir an einer Einrichtung oder einem Schaufenster vorbeigehen, wo für Pflegeleistungen geworben wird, empfinden wir das schon fast als Hohn."
Sohn einer Pflegebedürftigen aus dem Raum Gemünden

Auf Nachfrage dieser Redaktion beim Pflegestützpunkt Main-Spessart antwortet das Landratsamt, dass je nach Fall zwischen einer Auskunft, Information, Beratung oder Pflegeberatung unterschieden werde. "Oft werden Ratsuchende über einen längeren Zeitraum begleitet, dabei werden im Case-Management individuelle Versorgungspläne erstellt, um die Bedarfe zu ermitteln und die nötigen Maßnahmen in die Wege zu leiten", heißt es weiter. Zudem arbeite der Pflegestützpunkt eng mit anderen Beratungsstellen zusammen und gebe den Ratsuchenden die Kontaktdaten weiter – oder vermittle den Kontakt, wenn der oder die Ratsuchende das nicht mehr selbstständig kann und dies wünscht.

Landratsamt Main-Spessart: Die Nachfrage ist aktuell sehr hoch

Ein Großteil der Arbeit des Pflegestützpunktes bestehe aus Entlastungsgesprächen. Die Beratungsstelle informiere "auch stets über die angespannte Versorgungssituation in der Pflege". Die Nachfrage nach haushaltsnahen Dienstleistungen sei aktuell sehr hoch; "viele Anbieter haben ihr Angebot erweitert und sind bemüht, den vielen Anfragen gerecht zu werden. Trotzdem kommt es teilweise zu Wartelisten", heißt es aus dem Landratsamt.

Auch bei den haushaltsnahen Dienstleistungen komme es immer wieder zu Engpässen bei den Anbietern. Hier weist der Pflegestützpunkt auf die Möglichkeit hin, Ehrenamtliche einzusetzen. Eine Beratung zu dieser Alternative bietet die Fachstelle Demenz und Pflege Unterfranken unter der Telefonnummer (0931) 20781440 an.

Der Frust des Ehepaars aus dem Raum Gemünden bleibt aber weiterhin groß: "Wenn wir an einer Einrichtung oder einem Schaufenster vorbeigehen, wo für Pflegeleistungen geworben wird, empfinden wir das schon fast als Hohn."

 
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  • WeinbauFrank
    1. Jeder Nachbar oder Hilfswillige kann sich über Schulungen der Pflegekassen schulen lassen und anschließend auch den 125,-€ Entlastungsbetrag bei den Pflegekassen abrechnen.. (einfache Erklärung)
    Ich verstehe nicht warum immer auf den Pflegediensten „rumgehackt“wird… putzen kann man auch als Schwiegersohn oder als Sohn/Tochter… man sollte froh sein, wenn es wirklich um die Pflege geht. Tägliches Lagern, katheterisieren, Waschen und tägliches versorgen ist wichtiger und man sollte dankbar sein, wenn man hierfür Personal bekommt, denn das sind Tätigkeiten, die man noch weniger machen will oder zeitlich kann.
    Ich selbst habe für die 125,-€ eine Betreuung für meinen Schwiegervater und putze selbst bzw. wir Kinder putzen. Man muss sich auch vor Augen halten, dass Pflegegrad 1 auch sehr geringe Einschränkungen bedeutet… auch hier muss man abwägen und wenn jemand mit PG 3 oder höher auf Hilfe angewiesen ist vielleicht nach Kriterien entscheiden.. ist in anderen Bereichen nicht anders..
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