Dieser Prozess hat viele Menschen in der Region bewegt. Weil er nach eigenen Angaben mit der Pflege überfordert gewesen war, hat ein 92-Jähriger aus Gemünden seine an Demenz erkrankte Frau getötet - nach fast 70 Jahren Ehe. Die Würzburger Richter verurteilten ihn in der vergangenen Woche zu zwei Jahren Haft wegen Totschlags in einem minder schweren Fall, ausgesetzt zur Bewährung. Zudem muss er 10 000 Euro an die Caritas im Landkreis Main-Spessart zahlen.
Das Geld wird an die Fachstelle für pflegende Angehörige gehen. In Bayern gibt es derzeit rund 110 dieser Stellen. Im Landkreis Main-Spessart trägt sie der Caritasverband an den Standorten Lohr und Karlstadt. Die Sozialpädagogin Monika Müller leitet die Fachstelle in Karlstadt, die seit April 2018 besteht. Wofür wird das Geld aus dem Prozess verwendet? Im Gespräch sagt Monika Müller, wie Angehörige Hilfe bekommen. Und welche Anzeichen es gibt, dass jemand mit der Pflege eines nahen Angehörigen überfordert ist.
Monika Müller: Wir beraten pflegende Angehörige, gelegentlich auch Pflegebedürftige selbst, und bieten ihnen Entlastungsangebote an. Sie brauchen so dringend Hilfe, dass sich die Caritas berufen gefühlt hat, diese Stelle einzurichten. Für Karlstadt und Umgebung haben wir eine halbe Stelle mit 20,5 Stunden in der Woche. Seit Jahresanfang gibt es auch eine Teilzeitstelle mit acht Stunden, die Kollegin koordiniert die haushaltsnahen Dienstleistungen.
Müller: Durch möglichst ortsnahe Hilfe wie Hausbesuche und das Vermitteln an teilstationäre und stationäre Einrichtungen. Wir sind mit anderen Stellen vernetzt, dass Betroffene so leicht wie möglich Hilfe bekommen können. In unseren Gesprächsgruppen tauschen sich Angehörige untereinander aus und stärken sich gegenseitig. Sie sollen das Gefühl haben, dass sie mit ihrer Situation nicht allein sind. Unsere geschulten Alltagshelfer können Familien mit pflegebedürftigen Angehörigen stundenweise entlasten, um ihnen eine kleine Auszeit für eigene Bedürfnisse zu ermöglichen. Stark nachgefragt sind die haushaltsnahen Dienstleistungen: Auf Basis eines Minijobs stellen wir Helfer für Arbeiten im Haushalt zur Verfügung. Ein weiteres Angebot ist die integrierte Tagesbetreuung TiPi: Eine Ehrenamtliche betreut einmal pro Woche pflegebedürftige Menschen bei sich zu Hause, so dass deren Angehörige Zeit für sich haben.
Müller: Ein Alarmzeichen kann sein, wenn er sich mehr und mehr zurückzieht und weniger Kontakt zu anderen Menschen hat. Das hat zum einen mit der 24-Stunden-Präsenz eines Pflegenden zu tun, aber auch mit Scham. Oft ist es besser nachzufragen, als sich mit der Frage nach seinem Befinden zurückzuhalten. Gesundheitliche Probleme, Stress oder Schlafstörungen können weitere Symptome sein. Die bekommt man aber nur mit, wenn man einen engen Kontakt zum Betroffenen hat. Wenn mir jemand sagt, dass er schon lange nicht mehr beim Arzt gewesen sei oder gar nicht mehr wisse, wo ihm der Kopf steht, können das Hinweise sein, dass er Hilfe braucht.
Müller: Oft geht der Anstoß von Kindern oder Enkeln eines Pflegenden aus, sobald sie sehen, dass ihre Eltern oder Großeltern bei der Pflege ihres Partners Unterstützung brauchen. Es melden sich aber auch Nichten oder Neffen, deren Tante oder Onkel allein lebt. Aber auch Pflegende selbst suchen den Kontakt zu uns. Nicht selten ist der Termin für die Einstufung in einen Pflegegrad der Anlass. Bei manchen ist der Leidensdruck sehr, sehr hoch. Andere erkundigen sich schon nach einer Diagnose, wo sie bei Bedarf Hilfe erhalten können. Das ist natürlich der Idealfall.
Müller: Ein häufiges Thema ist die Finanzierung der Pflege, welche Ansprüche bestehen und wie man da vorgehen muss. Das ist ein kompliziertes Thema. Es kommen auch Fragen zur Demenz, zum Umgang mit dem Erkrankten und zu den Begleiterscheinungen dieser Krankheit. Wie die Organisation der Aufgaben gelingen kann oder wie man zur Ruhe kommt und für sich einen Ausgleich schafft, sind weitere Fragen, mit denen die Menschen zu uns kommen. Und einige wollen auch einfach mal mit jemanden über ihre Alltagslast sprechen.
Müller: Die Förderung macht nur ein Viertel aus und deckt nicht alle Kosten. Da fehlt also noch einiges. Von Gemeinden und dem Landratsamt bekommen wir Zuschüsse. Daneben erhalten wir Geld für jeden Einsatz. Aber das reicht trotzdem nicht. Mit unseren Mitteln, also zwei halben Stellen in Lohr und Karlstadt, machen wir recht viel. Aber das Bekanntmachen und Vernetzen kostet Zeit, die habe ich dann nicht mehr für die eigentliche Beratung. Die Politik muss etwas tun, denn die Förderung vom Landesamt orientiert sich an der Einwohnerzahl und wurde nicht erhöht, obwohl die Anzahl pflegebedürftiger Menschen offenkundig steigt.
Müller: Den größten Bedarf sehen wir momentan bei den haushaltsnahen Dienstleistungen. Das Angebot wollen wir auszubauen. Das ist eine praktische und entlastende Hilfe. Wir hatten zuletzt die Sorge, ob wir das Angebot überhaupt noch finanzieren können, da unsere Mitarbeiter mit Arbeitsverträgen bei der Caritas angestellt sind. Das Angebot muss sich also selbst tragen, denn das Landesamt für Pflege fördert nur ehrenamtliche Hilfe. Aber wir wollen diese Tätigkeit bewusst nicht als Ehrenamt anlegen, sondern empfinden es hier als angemessen, die Helfer dafür zu geringfügig zu entlohnen.
Müller: Hilfe annehmen ist keine Schwäche, sondern eine Stärke! Das ist für pflegende Angehörige eine ganz wichtige Botschaft. Gerade für die ältere Generation ist es aber oft schwierig, Hilfe anzunehmen. Vor allem bei der Demenz gibt es zudem eine Scham, darüber offen zu sprechen, da sich die Menschen verändern. Ich wünsche mir daher, dass sich das Umfeld eines Betroffenen ein Herz fasst und den Kontakt sucht, wenn jemand sich sehr zurückzieht. Wichtig ist auch, in einer Partnerschaft oder Familie offen darüber zu reden, wie man es angehen möchte, wenn eines Tages der Fall einer Pflegebedürftigkeit eintritt.