Die Ausstattung ist vorhanden, die Nachfrage auch. Dennoch bleiben viele Betten in den Pflegeeinrichtungen im Landkreis Main-Spessart leer. Das Pflegepersonal fehlt. Der Großteil der Altenheime im Landkreis, kommunale ebenso wie privat betriebene, kann die geforderte Fachkraftquote von 50 Prozent nur mit abgesenkter Belegung erfüllen. Die Einrichtungen suchen händeringend nach Fachkräften, aber der Arbeitsmarkt ist leer gefegt. Zwei Rienecker wollen das jetzt ändern.
Sunita Lama und Matthias Weidt haben eine Agentur gegründet, die Pflegekräfte aus den Philippinen nach Deutschland vermitteln und integrieren möchte. Und sie stehen bereits voll in den Startlöchern. Verhandlungen mit Pflegeeinrichtungen in Main-Spessart und im angrenzenden Hessen laufen. Bis zu 20 Fachkräfte aus der Pflege könnten so schon bald in die Region kommen und hier eine Arbeit finden – unter anderem drei im Caritas-Seniorenzentrum St. Martin.
Freude bei Caritasverband
"Wir könnten auf einen Schlag sechs Vollzeitstellen in der Pflege besetzen und suchen seit Monaten vergebens", sagt Florian Schüßler, Vorsitzender des Caritasverbands für den Landkreis Main-Spessart. Er freue sich über die gerade erst besiegelte Kooperation und hoffe nun, bereits im ersten Quartal drei neue Pflegekräfte aus den Philippinen begrüßen zu können. Aufgrund des allgemeinen Fachkräftemangels in der Pflege müsse man viele Möglichkeiten nutzen – und die Vermittlung ausländischer Kräfte sei dabei ein Weg. "Ich denke, dass dadurch auch eine neue Vielfalt entsteht, von der wir alle profitieren", so der Geschäftsführer.
Für den Caritasverband sei dieser Weg neu. "Wir haben uns bewusst entschieden, diesen Weg mit der Agentur von Lama und Weidt zu gehen, erstens aufgrund der räumlichen Nähe und weil wir hier nicht nur ein Kunde von vielen sind. Und zweitens, weil die Agentur einem ganzheitlichen Ansatz folgt, den wir auch wichtig finden", sagt Schüßler.
Geld für Familien zuhause
Was Lama und Weidt deutlich betonen, ist die faire und transparente Vermittlung von Arbeitskräften aus Drittländern. "Wir wollten auch gerne aus Nepal vermitteln, aber das geht nach dem WHO-Kodex nicht", erklärt Lama, die selbst aus Nepal stammt. Denn nach dem WHO-Kodex darf nur aus Ländern vermittelt werden, in denen selbst kein Mangel an Pflegepersonal besteht. Auf den Philippinen ist dies der Fall. "Viele lernen tatsächlich einen Pflegeberuf gezielt, um dann auszuwandern. Mit dem verdienten Geld unterstützen sie dann auch ihre Familien zu Hause. Das ist eine wichtige Wirtschaftseinnahme auf den Philippinen", erklärt Lama. Eine Win-Win-Situation, zu deren Idee Lama und Weidt, die ein Paar sind, gemeinsam gefunden haben.
2015 ist Sunita Lama als Au-Pair nach Deutschland gekommen – und geblieben. Sie hat hier Internationale Betriebswirtschaftslehre studiert. "Mein Ziel war es immer, im Sozialbereich zu arbeiten und Menschen zu helfen", sagt die 30-Jährige. So arbeitet sie nebenbei ehrenamtlich im Altenheim und hat schon während ihrer Studienzeit Freunden aus dem Ausland geholfen, in Deutschland Fuß zu fassen, unter anderem auch in Pflegeberufen.
Nach ihrem Studium hatte sie die Idee, Menschen aus Drittländern zu helfen. Die Brücke nach Deutschland schlug schließlich Matthias Weidt. "Hier bei uns besteht ja der Mangel an Pflegekräften. Also dachte ich, warum das nicht verbinden und die Fachkräfte nach Deutschland holen, wo sie ein Leben aufbauen können und trotzdem ihre Familien unterstützen können", sagt er. Damit war die Lama & Weidt Consulting GmbH als internationale Personalserviceagentur (PSA) im Jahr 2021 gegründet. Weidt selbst ist zwar Schreinermeister aber er unterstützt seine Partnerin, wo es geht.
"Aufgaben sind immens"
"Die rechtlichen und behördlichen Aufgaben sind immens und brauchen Zeit. Auf den Philippinen gibt es noch mehr Bürokratie als hier. Aber das ist auch gut so, um Missbrauch vorzubeugen", erklärt Lama. Die Vermittlung sei ein komplizierter Prozess und die Agentur mit Sitz in Lohr arbeitet auch mit einer philippinischen Vermittlungsagentur zusammen. Vor Ort ist die wichtigste Aufgabe dann die Anerkennung des ausländischen Ausbildungsabschlusses. Je nach Ausbildung oder Studium werden diese hier voll- oder nur teilanerkannt und es müssen Anpassungslehrgänge absolviert werden. Sprachkurse sind zudem Pflicht. Neben der Betriebsintegration will sich Lama aber vor allem auch um den Alltag der Neuankömmlinge kümmern.
"Wir vermitteln nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern wir betreuen die Fachkräfte von den ersten Gesprächen, der Entscheidung, der Vorbereitung bis zur Integration und dem Aufbau eines neuen Lebens hier", sagt Lama. Andere Kultur, andere Sitten, andere Gebräuche: Deswegen werden schon vor der Ausreise intensive Gespräche geführt, damit die Pflegefachkräfte verstehen, wie und wo sie wohnen und arbeiten werden – und nicht etwa überrascht sind, wenn sie im ländlichen Main-Spessart ankommen. Was die Agentur von anderen unterscheide: "Wir wollen die Menschen begleiten und ihnen in allen Dingen helfen, sich hier gut einzuleben", sagt Lama, die selbst die Erfahrung gemacht habe, wie wichtig diese Unterstützung ist.
Herausfordernde Kleinigkeiten
Es seien oft Kleinigkeiten, die hier selbstverständlich sind, aber für Neubürger aus fernen Ländern große Herausforderungen sein können, sei es ein Streit mit dem Vermieter, wie man ein Paket mit der Post verschickt oder dass man ein Namensschild an der Tür benötigt. Von der Abholung am Flughafen über die Wohnungssuche bis zu Behördengängen und der Integration in den Wohnort mit Kontakt zu Einheimischen und Vereinen: "Die Arbeitgeber haben meist keine Zeit, sich um so etwas zu kümmern. Aber wir wollen, dass die Vermittlung langfristig Erfolg hat. Deswegen werden wir vieles in Präsenz begleiten", sagt Lama. Und dafür werde die Agentur langfristig auch mehr Angestellte benötigen. Auch mit der Volkshochschule und Immigrations-Hilfekreisen arbeite man zusammen.
Paten und Mentoren
Im Caritas-Seniorenzentrum St. Martin macht man sich ebenfalls bereits Gedanken über die Neuankömmlinge. "Wir werden zudem noch ein eigenes Integrationskonzept erstellen, denn die neuen Mitarbeiter sollen sich im Team und im Alltag gut einfinden. Schließlich ist es am besten für alle, wenn sie sich hier richtig wohlfühlen", sagt Caritas-Geschäftsführer Schüßler. Deswegen werde es im Haus auch Paten und Mentoren geben. Auch eine spätere mögliche Familiennachführung unterstütze man.
Mittelfristig möchten Lama und Weidt mit ihrer Agentur auch Pflegefachkräfte aus Brasilien und Indien nach Deutschland holen. Als sie in Berlin waren, um mit der philippinischen Botschaft und weiteren Behörden ihre Akkreditierung und sonstige Formalitäten zu regeln, trafen die beiden Neugründer den SPD-Bundestagsabgeordneten Bernd Rützel, Vorsitzender im Ausschuss für Arbeit und Soziales. In der Initiative sieht Rützel eine Chance: "Das ist einer von zahlreichen Wegen, die wir gleichzeitig verfolgen müssen, um genug Pflegekräfte bei uns auf dem Land zu gewinnen. Wir müssen die Arbeitsplätze attraktiver machen, Beschäftigte zurückgewinnen, die der Pflege den Rücken gekehrt haben und junge Menschen davon überzeugen, dass die Pflege ein interessanter Beruf mit Zukunft ist", so Rützel.
Entlohnung nach Tarif
Ein wichtiger Schritt sei dabei die Tariftreueregelung in Pflegeeinrichtungen, die seit dem 1. September 2022 gilt. Seitdem müssen Pflegeeinrichtungen ihren Beschäftigten, die Leistungen der Pflege oder Betreuung erbringen, eine Entlohnung nach Tarif oder in Tarifhöhe bezahlen. Nach den Einschätzungen privater Einrichtungsträger belaufen sich die Lohnsteigerungen je nach Bundesland und Einrichtung auf Erhöhungen zwischen 10 und 30 Prozent.
"Das nutzt den Beschäftigten und das nutzt uns allen, weil es die Arbeit in der Pflege attraktiver macht. Aber alleine wird das nicht ausreichen. Deshalb unterstütze ich gerne das Vorhaben von Sunita Lama und Matthias Weidt. Denn wir brauchen dringend mehr Pflegekräfte", so Rützel.