Ohne Diskussion, eine Gegenstimme. So endete am späten Abend am letzten Donnerstag des November 2021, eines der am längsten diskutierten, emotionalsten Vorhaben der Marktheidenfelder Stadtpolitik.
Diese Geschichte wird vom Lichtspielhaus handeln, der Diskothek, der viele Marktheidenfelder nachtrauern. Sie wird von der Jahre andauernden Suche nach einem Ersatz handeln und von zwei Geschäftsmännern, die einen Hagebaumarkt haben wollten und diese Chance ergriffen. Vor allem jedoch handelt sie von den Grenzen der Kommunalpolitik.
Wie schon zwei Monate zuvor stand an jenem Donnerstag ein Antrag der Marktheidenfelder Baumarkt Immobilien GmbH, kurz MBI, zur Abstimmung. Hinter der stehen der langjährige Udo-Lermann-Chef Helmut Viering und Klaus Mill, Betreiber mehrerer Hagebaumärkte im Umkreis. Und für den Marktheidenfelder Baumarkt sollte der vorhabenbezogene Bebauungsplan dahingehend geändert werden, damit anstatt der dort vorgeschriebenen Diskothek eine Lagerfläche entstehen kann. Zwei Monate zuvor war der selbe Antrag noch deutlich abgelehnt worden. Was war in der Zwischenzeit passiert?
Es begann mit dem Lichtspielhaus
Dazu muss man zum Anfang springen, in die Zeit vor dem Jahr 2013. Das Lichtspielhaus war eine Institution in der Marktheidenfelder Mitteltorstraße, die letzte Disko in der Umgebung, mitten in der Innenstadt, eine Ausnahme. Das Lichtspielhaus war außerdem: nicht als Disko genehmigt. Ein paar Aschaffenburger hatten sich mit einer "Eventlounge" etwas verhoben. Die Beegers, Vater Kurt und Sohn Sascha, übernahmen, veränderten das Konzept. Es funktionierte.
"Die Stadt hat im Prinzip stillgehalten", sagt einer, der sich so gut wie wenige andere in der Geschichte des politischen Marktheidenfeld auskennt: Martin Harth, SPD-Stadtrat, damals dritter Bürgermeister. Die diskussionslose Entscheidung des Donnerstagabends ist nun das Ergebnis dreier Handlungsstränge, die ab dem Jahr 2013 zusammenlaufen. So erklärt es Harth.
Erstens: Die Anwohner, die sich schon lange wegen der Lärmbelästigung beschwerten, zogen vor Gericht. "Die Stadt musste einlenken. Die Disko konnte so nicht weiter betrieben werden", sagt Harth. Gleichzeitig habe es viel Druck von jungen Menschen gegeben, die diese Disko erhalten wollten. Wo also hin mit ihr?
Zweitens: Der Landkreis baute den Nordring aus. Die Straße wurde besser und damit auch attraktiver für Gewerbe.
Drittens: Helmut Viering und Klaus Mil kamen auf den Stadtrat zu. In einem Gewerbegebiet am Nordring wollten sie einen Hagebaumarkt bauen. Dafür solle der Stadtrat den Bebauungsplan ändern – was dieser in einer großen Mehrheit wiederum nicht wollte.
Es gab damals gleich mehrere Befürchtungen im Gremium, allen voran eine unnötige Konkurrenz zu zwei weiteren, schon bestehenden Baumärkten und zu den Gärtnereien sowie die Entwertung des Lermann-Geländes. "Was ja in gewissem Maße auch so eingetreten ist", sagt Harth. Ein Baumarkt ist nach Erlenbach verschwunden. Der andere Baumarkt am Nordring veränderte sein Sortiment grundlegend. Das Lermann-Gelände leerte sich zusehends weiter.
Harth ist sich dessen voll bewusst, dass der Schutz vor wirtschaftlicher Konkurrenz nicht das erste Anliegen der Kommunalpolitik sein kann. Primär gehe es um Städteplanung. Das ist eines der Spannungsfelder, in der sich Kommunalpolitik bewegt.
Doch es gab nicht nur diese Argumente gegen einen Hagebaumarkt. "Verkehrstechnische Abläufe der Anbindung" hätten zunächst auch gegen den Hagebaumarkt gesprochen, sagt Harth. Dazu noch die Versiegelung von grünen Wiesen und die damit verbundene Belastung der Kanäle. Kleiner Nebenfakt: Auch diese Kanäle mussten inzwischen angepasst werden.
Mit dieser Interessenskonstellation ging man also in den Kommunalwahlkampf 2014. Fragt man Stadträte nach dieser Zeit, berichten die von einer schwierigen. Es habe Druck von allen Seiten gegeben.
Wie es doch zum Hagebaumarkt kam
Ende 2014 schien dann aber plötzlich eine Lösung gefunden. Ein mit Helmut Viering befreundeter Marienbrunner Unternehmer hatte Beeger, Viering und Bürgermeisterin an einen Tisch gebracht. Seine Idee war, die Planung des Baumarktes mit der einer Diskothek zu verbinden, in einem sogenannten "vorhabenbezogenen Bebauungsplan". Nach dem Treffen warben die Gesprächsteilnehmer gemeinsam dafür, dass die MBI den Hagebaumarkt und die Diskothek nebeneinander erstellt. Beides sollte nur gemeinsam gehen. Würde nur der Baumarkt und keine Diskothek gebaut werden, müsste die MBI eine Vertragsstrafe zahlen. Beeger sollte die Diskothek innen ausbauen und pachten.
"Der Plan der beiden ungleichen Partner, die Disko und Baumarkt jetzt zusammen hinter dem Warema-Gebäude am Nordring verwirklichen wollen, hat die Qualität einer Kernfusion, die gewaltige Energie freisetzt", kommentierte die Main-Post damals. Die in dem Artikel gesammelten Stimmen aus der Bevölkerung überschlagen sich vor Lob. "Du konntest quasi gar nicht mehr dagegen stimmen", beschreibt Burkhard Wagner, Stadtrat der Freien Wähler die Situation damals.
Die Stadträte und Stadträtinnen stimmten im Februar 2015 also zu – das Vertragskonstrukt lag ihnen aber damals nicht vor. So sagt es Wagner. "Man hat sich gutgläubig auf die Stadtverwaltung verlassen. Im Nachgang muss man feststellen, das war ein idiotischer Vertrag", schimpft er. Zudem hatten die MBI und Beeger weder einen Pachtvertrag, noch standen die finalen Baukosten fest. Die Weichenstellung für ein Desaster.
Was kann Kommunalpolitik überhaupt leisten
"All das wurde mit relativer Gewalt durchgesetzt", erinnert sich Harth. Mit Gewalt gegen den Trend, sollte man noch hinzufügen. Ihm sei damals schon klar gewesen, dass die Diskothek nicht kommen werde. Das sagte Harth damals auch wiederholt öffentlich. Schon seit den 80ern seien Diskotheken im ländlichen Raum kaum mehr wirtschaftlich gewesen.
Stichwort: Diskosterben. Weniger Jugendliche, höhere Brandschutz- und Schallschutzauflagen. Zudem stieg der Anspruch der Feiernden. "So ein Pressluftschuppen mit Licht und Klo ist heute nicht mehr möglich", sagt Harth. Inwieweit könne man dann also über eine Bauleitplanung ein solches Projekt erzwingen? Die Abstimmung am letzten Novemberdonnerstag hat gezeigt: gar nicht.
Mit dem angesprochenen Vertragskonstrukt hatten Viering, Mill und ihre MBI den Baumarkt sicher. Selbst als die Baukosten stiegen. Selbst als daraufhin der Deal mit Beeger platzte, der sich die neuen Konditionen nicht mehr leisten konnte. Selbst als Viering, Mill und die MBI keinen neuen Betreiber fanden für eine Diskothek. Der Baumarkt eröffnete 2016, die Frist für die Diskothek wurde immer weiter geschoben. Viering, Mill und die MBI hatten sich eine Win-Win-Situation verhandelt.
Denn die Strafe, die sie für eine Nichteinhaltung des "vorhabenbezogenen Bebauungsplans" verhandelt hatten, war im Verhältnis zu den Baukosten vermutlich minimal. Das bestätigen mehrere Quellen. Dazu kommt: Wird ein "vorhabenbezogener Bebauungsplan" nicht umgesetzt, muss die Stadt den gesamten Bebauungsplan aufheben. Die Kosten müsste die Stadt tragen. Zudem könnte der Grundstücksbesitzer, in diesem Fall Helmut Viering, dort dann alles bauen, was eben in einem Gewerbegebiet möglich ist. Die Stadt hätte keine Mitsprache.
Mit diesem Wissen war die Abstimmung, so wie sie erfolgte, im Ratsgremium unabwendbar. Die Stadträte waren gewissermaßen gezwungen, für das Ende der Diskothek zu stimmen, sonst wären sie nicht mehr "Herr des Verfahrens" geblieben. Schon zuvor hatten MBI und Stadtverwaltung Gespräche über eine Abstandszahlung geführt. Das Geld fließt nun ohne Zweckbindung in die Stadtkasse, wie die Stadtverwaltung auf Rückfrage bestätigt.
Die genaue Summe bleibt nicht-öffentlich. Eigentlich gilt in der Kommunalpolitik der Grundsatz der Öffentlichkeit. Bei städtebaulichen Verträgen, wie in diesem Fall, ist Nicht-Öffentlichkeit möglich, sofern es "berechtigte Interessen Einzelner erfordern". Nun bleibt die Stadt wenigstens Herr des Verfahrens, darf bestimmen, was mit dem Teilgebiet passiert und die MBI zahlt für die Änderung des Bebauungsplanes zur Verwirklichung der Lagerfläche.
Viering: Entscheidung war goldrichtig
Was am Ende bleibt? Da wäre das Positive: Die Marktheidenfelder kaufen ein im neuen Hagebaumarkt; für viele ist er wahrscheinlich unverzichtbar geworden – gerade während der Pandemie. Helmut Viering wollte sich für diese Geschichte nicht noch einmal äußern. Er sagt nur so viel: "Der Weg war steinig und hart. Aber letzten Endes war die Entscheidung goldrichtig. Das sieht man auch daran, wie gut der Hagebaumarkt angenommen wird."
Da wäre aber auch das Enttäuschende: Im August 2018 schloss das Lichtspielhaus. Einen Ersatz gab es nicht und es ist auch keiner abzusehen.
Die Geschichte des Hagebaumarktes und der Diskothek ist schlussendlich jedoch keine von Gut und Böse. Sie ist eine, in der Lokalpolitik an ihre Grenzen stößt. Eine Einigung zwischen Beeger und MBI konnte man nicht erzwingen, man hatte es lediglich gehofft und das entgegen der Zeichen der Zeit. Martin Harth: "Es ist ein Ziel verfolgt worden, das keinen realistischen Inhalt hatte. Wir stehen nun als Deppen da, obwohl wir eigentlich keine Karten im Spiel hatten."
Bürgermeister u. Stadträte denkt an das Wonnemar, da könnt ihr aus den Fehlern Lernen.
Man geht ja davon aus, dass man aus Fehlern lernt. Bei den Marktheidenfelder Ratsmitgliedern kann jedoch keiner behaupten, sie hätten die meiste Erfahrung.
Hoffentlich geht's im neuen Jahr schnell wieder um Landkreis Themen. Da können sie wieder Gas geben und ihr know how aufblitzen lassen die Herren Stadträte.
Man hat sich ganz einfach über den Tisch ziehen lassen , keine konsequente Haltung gezeigt bzw. Blick in die Zukunft gerichtet .