Eigentlich ist es ein Anlass für warme Worte. Dass die auf eigenen Wunsch erfolgte Entlassung eines Stadtratsmitglieds aus dem politischen Ehrenamt auch zu einer hitzigen Sache werden kann, zeigte sich am Mittwochabend im Lohrer Rat.
Dort stand gleich zu Beginn die Verabschiedung von Ulrike Röder auf der Tagesordnung. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen hatte beantragt, aus dem Stadtrat entlassen zu werden. Ihre Entscheidung begründete die 52-Jährige im Vorfeld der Sitzung gegenüber dieser Redaktion zum einen damit, der jüngeren Generation Platz machen zu wollen. Daneben erklärte sie aber auch, mit dem Umgang und manchen Entscheidungen im Gremium nicht einverstanden gewesen zu sein.
Röder ist nicht das erste Ratsmitglied, das sich während der laufenden Wahlperiode aus dem Gremium verabschiedete. Zuvor hatten bereits Christine Kohnle-Weis (SPD), Franklin Zeitz (Bürgerverein) und Bärbel Imhof (Grüne) ihren Hut genommen.
Brigitte Riedmann (Freie Wähler) schüttelte angesichts dessen den Kopf. Eine solch "inflationäre Entwicklung" in Sachen Rücktritt vom Mandat habe es in ihrer Zeit im Stadtrat noch nie gegeben, sagte Riedmann, die mit 26 Jahren im Gremium die Dienstälteste ist.
Brigitte Riedmann (FW): Frust ist kein Argument für einen Rücktritt
Sie bezeichnete die vorzeitigen Abschiede aus dem Stadtrat als "Missachtung des Wählerwillens". Kommunalwahlen seien Persönlichkeitswahlen. Wer dabei einem Kandidaten seine Stimme gebe, erwarte, dass dieser ihn im Stadtrat vertrete. Frust über Abläufe im Stadtrat dürfe daher kein Grund sein, sich aus dem Gremium zu verabschieden. "Man kann nicht einfach aufhören, nur weil es nicht so läuft, wie man es will", schimpfte Riedmann.
Sie hielt Bürgermeister Mario Paul indirekt vor, dass auch dessen Führungsstil ein Grund für reihenweise Abschiede von Stadtratsmitgliedern sein könnte. Dieser Führungsstil sei jedoch "seit acht Jahren bekannt". Wem dieser Stil nicht passe, der hätte sich bei der Wahl 2020 nicht mehr aufstellen lassen dürfen, meinte Riedmann.
Auch Peter Sander (FDP) äußerte Unverständnis. Er bezeichnete die Rücktritte von zuletzt Imhof und nun Röder als "Faustschlag ins Gesicht der Wähler, die die Grünen gewählt haben".
Bürgermeister Paul fand Riedmanns und Sanders Aussagen "befremdlich". Sich aus persönlichen Gründen aus dem Stadtrat zurückzuziehen, sei eine freie Entscheidung. Früher hätten beispielsweise lediglich gesundheitliche Probleme oder ein Umzug als Grund gegolten, heute sei keine Begründung mehr erforderlich, so Paul.
Der Bürgermeister warf Riedmann und Sander vor, mit Röders persönlicher Entscheidung Politik machen zu wollen. Davon, dass sein Führungsstil verantwortlich für den Rücktritt Röders sei, habe diese nichts gesagt, so Paul weiter. Man solle doch mal überlegen, wie im Stadtrat mit Kollegen umgegangen werde. "Darin liegt doch der Grund", sagte Paul.
Er finde es "nicht in Ordnung", dass Riedmann und Sander eine Stadtratskollegin mit solchen Redebeiträgen aus dem Gremium verabschiedeten. In seiner eigenen Verabschiedungsrede würdigte Paul Röder als sachorientierte Politikerin und "Frau mit klarem moralischem Kompass". Zum Dank überreichte er Blumenstrauß und Präsent.
Grüne holen Verabschiedung im kleinen Kreis nach
Die von der Situation sichtlich getroffene Röder erklärte, dass sie zum Abschied eigentlich etwas habe sagen wollen – "aber jetzt nicht mehr". Sie sei schon in ihrer ersten Stadtratssitzung vor acht Jahren persönlich von Riedmann angegriffen worden, nun halt auch in der letzten. Auch Sander hielt sie einen respektlosen Umgangsstil vor, schließlich habe er die Grünen auch schon mal als "Muppet Show" bezeichnet. Zum Abschied wünschte Röder den im Rat Verbleibenden "Kraft und Motivation" für die weitere Arbeit.
Clemens Kracht, der neue Fraktionsvorsitzende der Grünen, bezeichnete Riedmanns und Sanders Beiträge als "unterirdisch" und "sehr schade, weil respektlos". Riedmann und Sander hätten den "würdigen Rahmen zerstört", der sich für eine solche Verabschiedung gehöre. Eigentlich habe auch er zu Röders Abschied sprechen wollen, so Kracht. Doch das erfolge nun intern im Kreise der Fraktion, wo ein würdiger Rahmen möglich sei.
Zumindest bei der anschließenden Vereidigung von Nachrücker Erno Hirvelä passte der Rahmen dann wieder. Alle Stadträte erhoben sich von den Sitzen, als der 43-jährige Finne beinahe inbrünstig die Vereidigungsformel sprach. Fast wie ein flehentlicher Wunsch konnte vor dem Hintergrund der vorangegangenen Geschehnisse freilich wirken, was Hirvelä zum Abschied seiner Vereidigung den übrigen Räten zurief: "Auf gute Zusammenarbeit!"