Wo früher ein Shisha-Laden in der Rienecker Altstadt beheimatet war, findet sich heute Jan Esserts "Klangwerkstatt". Der Klavierbauer hat sich in seiner Heimatstadt niedergelassen und repariert, restauriert und stimmt Klaviere und Flügel. Neben einer Werkbank und einem Schreibtisch stehen in der Werkstatt aktuell zwei Klaviere und zwei Flügel. Den großen Schimmel-Flügel aus den 1980er Jahren hat der jetzt 24-Jährige schon zerlegt: Die Gussplatte lehnt an der Wand, die Saiten sind abgezogen und aktuell zieht Essert die Stifte, die diese Saiten normalerweise an Ort und Stelle halten.
Vor allem ist er aber unterwegs, im Umkreis von 100 Kilometern um Rieneck. "Das meiste, was ich mache, sind Servicearbeiten bei den Leuten zu Hause, wie das Stimmen, die Mechanik nachregulieren, das kann ich alles vor Ort machen", erzählt Essert. Mechanik regulieren, was heißt das überhaupt? Alle mechanischen, beweglichen Teile des Klaviers müssen präzise eingestellt sein, um ein schönes Spielgefühl und volle Kontrolle zu haben. Ein Beispiel: Durch häufiges Spielen lagern sich die Filze in der Mechanik ein – solche Dinge passt Essert beim Stimmen auch regelmäßig an.
Regelmäßige Klavierwartung ist wichtig
Meistens mache er aber erst einmal sauber, wenn er das Klavier ohnehin auseinander legt, um es zu stimmen. "Da sammelt sich eine Menge Staub an", sagt Essert und lacht. Die regelmäßige Wartung der Instrumente ist ihm wichtig: "Wenn man sein Instrument lange nicht wartet, spielt das sehr zäh, schwammig, nicht direkt, und man kann den Ton nicht rausholen, den man rausholen könnte." In einer Tagesarbeit könne man aber viel beheben.
Ein gut ausgebildetes Gehör ist ein Muss in der Praxis, denn das Hauptgeschäft sei das Stimmen, sagt Essert. Ein Stimmgerät verwendet er dabei nur für den Referenzton, der Rest passiert mit Gehör. "Das Stimmgerät würde nur sagen, richtig oder falsch. Aber unser Ohr hört anders, als ein Gerät rechnet." Durch seine Erfahrung könne er auch den "Charakter" eines Instruments erkennen und zum Klingen bringen. Eine Stimmung nur nach Gerät, das klingt seiner Meinung nach eher charakterlos oder maschinell.
Größere Projekte kommen in die Werkstatt, wie eines der Klaviere, um 1900 gebaut, schicke Holzoptik. Es ist schon fertig, die ganze Akustik habe er hier aufbereitet, erzählt Essert. Das lohne sich wirtschaftlich nicht immer, aber in diesem Fall stecken sentimentale Gründe hinter dem Auftrag: Das Klavier des Großvaters wollte der Kunde hergerichtet haben.
Großvater ist auch Klavierbauer
Nicht ganz unschuldig an Esserts Berufswahl ist wiederum dessen eigener Großvater, der Klavierbauer in Partenstein war. Bei ihm konnte er nicht lernen, weil der Opa kein Meister war und wollte es auch nicht, um andere Erfahrungen zu sammeln. "Ich wollte viel wissen, kennenlernen, mitnehmen. Immer noch."
Er fand einen Lehrplatz beim Klavierbauer Seiler in Kitzingen und arbeitete danach zwei Jahre in Winterthur in der Schweiz in einem Reperaturbetrieb, um mehr Erfahrung zu sammeln. Anfang 2022 machte sich Essert in Rieneck selbständig. Für umfangreiche Arbeiten kommen die Instrumente zu ihm.
Das Klavier von circa 1900 ist ein klassischer Fall: "Bei alten Instrumenten kommt es zum Beispiel durch eine Fußbodenheizung zu Spannungen im Holz. Resonanzboden und Stege können Risse bekommen". Dann verstimme sich das Klavier sehr schnell, und manche Risse höre man sogar bei bestimmten Tönen, ein "piu piu", wie Essert es vormacht. Im Inneren dieses Klaviers hat er die Risse im Resonanzboden geflickt. Neuere Instrumente würden durch moderne Trocknungsverfahren so weit heruntergetrocknet und im Extremzustand zusammengeleimt, dass Risse fast gänzlich vermieden werden.
Auch den Neubau von Klavieren hat Essert in seiner Ausbildung durchlaufen – in der Praxis wird er den aber nicht angehen. "Das ist ein wahnsinniger Kostenaufwand, ein funktionierendes Klavier zu konstruieren", erklärt er. "Das kostet schon mal 100.000 Euro. Dann braucht man die Maschinen, es zu produzieren. Dann muss man einem Kunden zeigen, dass das konkurrenzfähig ist, auch wenn ein anderer Name draufsteht. Man hat natürlich gute Konkurrenz."
Manche zeigen Skepsis
Also fokussiert er sich auf den Service. Essert arbeitet, neben dem eigenen Geschäft, noch in der "Klavierstation" in Prichsenstadt, um mehr Input zu bekommen und zu lernen. "Um auf einer Qualitätsebene zu arbeiten, die ich wirklich sehr gut vertreten kann", sagt er. Außerdem müsse sich sein eigenes Geschäft im Spessart noch aufbauen. "Mich kennt ja kaum wer, wenn er nicht speziell nach einem Klavierstimmer sucht." Manchmal habe er auch das Gefühl, dass manche potenziellen Kunden oder Kundinnen wegen seines jungen Alters etwas skeptisch sind.
Für die Ausbildung zum Klavierbauer muss man übrigens kein Musikgenie sein. "Es ist immer noch ein Handwerksberuf, es ist alles erlernbar." Klangtheorie lernen, Intervalle bestimmen, das Gehör ausbilden – alles Teil der Ausbildung. Essert hat dennoch einen Vorteil, da er 12 Jahre lang Klavierunterricht hatte. Dafür spiele er aber verhältnismäßig schlecht, sagt er lachend. Abends habe er oft keine Lust mehr, sich ans eigene Klavier zu setzen. "Das ist, wie wenn man jeden Tag morgens, mittags, abends Pizza isst, da hat man auch keine Lust mehr auf Pizza", sagt er.
Das Faszinierende an seinem Beruf, findet Essert, ist unter anderem die Kundschaft. "Da sind immer wieder Leute dabei, die interessante Leben geführt haben, die einen interessanten Bezug zu einem Instrument aufgebaut haben." Außerdem, dass man mit der Bearbeitung kleiner Details so viel bewirken kann, etwa am Klang. Und nicht zuletzt: die Musik. "Musik ist einfach etwas Tolles. Das fasziniert mich so an dem Beruf: dass aus so etwas Schwerem, Massivem so schöne Töne rauskommen können."