In der kleinen Werkstatt in Hettstadt riecht es nach Holz und Lösungsmittel. An den Wänden lehnen Holzteile, auf einer Werkbank liegen die Tasten eines Klaviers. Klaviatur nennt man die 88 aufgereihten Tasten in Schwarz und Weiß. In der Mitte des Raumes haben sich Alexander Grötzner und Franziska Dippon über das zu den Tasten gehörende Klavier gebeugt. Es liegt auf dem Rücken und das Innenleben samt schwarzer Gusseisenplatte und Saiten ist zu sehen.
"Die Platte hat einen ganz feinen Riss", sagt Franziska Dippon und deutet auf eine Stelle am oberen Ende des schwarzen Gusseisengestells. Da die Platte etwa 25 bis 30 Tonnen Zugkraft aushalten müsse, bedeutet ein Riss meistens einen Totalschaden, erklärt Alexander Grötzner. "Ein Wirbelsäulenbruch quasi", fügt Dippon an.
Das Klavier sei dann meist nicht mehr zu retten. In diesem Fall hat das Instrument aber noch einmal Glück gehabt: "Der Riss ist nicht in den tragenden Teilen der Platte, deswegen kann man das Klavier erhalten", sagt die 26-Jährige.
Materialmangel ist auch für den Hettstadter Klavierbaubetrieb ein Problem
Franziska Dippon und Alexander Grötzner üben einen eher seltenen Beruf aus. Sie ist Klavierbaulehrling im dritten Ausbildungsjahr, er seit Kurzem gelernter Klavierbaumeister. Gemeinsam sind sie die neue Generation des Klavierbaubetriebs Grötzner in Hettstadt. Dort reparieren und restaurieren sie Klaviere. Das älteste Instrument, an dem sie gerade arbeiten, stammt aus dem Jahr 1868.
„Ich bin wirklich sehr froh, dass es junge Leute gibt, die diesen Beruf jetzt auch machen“, sagt Annette Grötzner. Sie hat den Familienbetrieb Ende der 90er Jahre gegründet und freut sich, dass nun einer ihrer Söhne und die Freundin ihres zweiten Sohnes in den Handwerksbetrieb einsteigen. "Klavierbauer sind noch seltener als katholische Priester", sage ihr Mann Johannes Grötzner immer. Er kümmert sich um die Buchhaltung des Betriebs.
Viele ältere Kolleginnen und Kollegen hätten in den vergangenen zwei Jahren ihren Betrieb aufgegeben, sagt Annette Grötzner, "durch Corona kam der Einbruch". Dabei sei die Auftragslage in der Pandemie deutlich gestiegen. "Viele haben über Corona das Klavierspielen wiederentdeckt", sagt Franziska Dippon.
Der akute Materialmangel sei allerdings auch in ihrer Branche ein Problem. "Wir haben Lieferschwierigkeiten. Für Basssaiten müssen wir zurzeit sieben Wochen einplanen. Sonst waren es vierzehn Tage", berichtet Annette Grötzner. Das könnte vor allem am Boom der Branche liegen, vermutet Alexander Grötzner. "Es gibt nicht viele Zulieferer, deshalb ist momentan viel ausverkauft."
Neben der Arbeit in der Werkstatt sind die Drei viel unterwegs und stimmen in einem Umkreis von rund 120 Kilometern um Würzburg Klaviere und Flügel in Privathaushalten, Musikschulen, Universitäten oder auch in der Würzburger Residenz. Beim Anblick mancher privaten Instrumente müsse man allerdings ordentlich schlucken, sagt Dippon. "Oft sehen wir Blumenvasen und auch mal ein umgekipptes Weinglas auf Klavieren", sagt sie, "das tut schon weh".
Als Frau muss man sich in der Branche oft beweisen
Besonders stolz sei man auch auf die Frauenquote des Betriebs, sagt Annette Grötzner. Denn Klavierbauerinnen seien in der Branche nach wie vor eher unüblich. "Zu meiner Zeit war das ganz schlimm", sagt die 53-Jährige, "da wurde ich noch begrüßt mit den Worten: Was, du willst mein Klavier stimmen? Als Frau und so jung?"
Wirklich geändert habe sich das bis heute nicht, sagt Dippon. Zwar gäbe es in der Branche mittlerweile deutlich mehr weibliche Lehrlinge als früher, doch auch sie habe nach wie vor mit Vorurteilen zu kämpfen.
"Die Leute schauen dich halt anders an, wenn du als Frau zum Stimmen kommst", sagt die 26-Jährige. Gerade ältere Menschen seien oft erstaunt. "Ich habe schon oft das Gefühl, mich beweisen zu müssen", sagt sie. Generell gehe sie mit dem Thema aber offensiv um. "Ich erzähle den Leuten dann meistens, wie es so ist als Frau in dem Beruf. Die meisten lassen sich dann recht schnell überzeugen."
Die Bestätigung, dass sie ihren Job gut macht, hat Dippon seit Kurzem auch auf dem Papier. Im September wurde sie bei einem Stimm-Wettbewerb des Bunds Deutscher Klavierbauer in Kitzingen zur besten Stimmerin im dritten Lehrjahr gekürt.
Die besondere Faszination ihres Handwerks sehen Annette und Alexander Grötzner sowie Franziska Dippon vor allem in dessen Vielseitigkeit. "Es ist nicht wie in der Industrie, wo man den ganzen Tag nur eine Sache macht", sagt Alexander Grötzner, "hier macht man alles selbst und baut ein Instrument von Grund auf komplett neu auf".
Aber auch die Reaktionen der Kundinnen und Kunden, die ihr Instrument nach der Reparatur das erste Mal wiedersehen, seien meist besonders: "Wenn man das Instrument bringt und die Leute sind schwer begeistert – das ist der Höhepunkt", sagt Annette Grötzner.
Handwerk u Können + Engagement in Ausbildung /Praktika.