Für den Beruf, den Christian Tischler ausübt, braucht es vor allem Fingerspitzengefühl, Geduld und ein sehr gutes Gehör. Als Klavierstimmer schlägt der 49-Jährige aus Trennfeld jede der 88 Tasten eines Instruments im Durchschnitt 50 Mal an und spannt Saiten nach, bis es wieder stimmig ist. Für ein Instrument braucht er so gut zwei Stunden. "Da muss ich hoch konzentriert sein."
Im Jahr 1995 hat Tischler seine Ausbildung zum Orgelbauer bei einem Traditionsbetrieb in Weikersheim (Lkr. Main-Tauber) abgeschlossen. Dass er mal Klavierstimmer wird, hatte er nicht geplant. Ein Kurs in Würzburg zu dem Thema hat sein Interesse geweckt: "Die Referate über die verschiedenen historischen Stimmungen haben mich beeindruckt."
Es braucht Übung, um den richtigen Ton zu treffen
Klavierstimmer ist kein anerkannter Ausbildungsberuf, "das kann eigentlich jeder machen", so Tischler. Ganz so einfach scheint es dann doch nicht. "Es braucht eine Menge Übung, um den richtigen Ton zu treffen." Tischler behandelt jedes Instrument nach Größe und Bauart individuell, um sich einer möglichst reinen Stimmung zu nähern. Das Stimmen ist eine Kunst und viele professionelle Pianisten lassen nur den Klavierstimmer ihres Vertrauens an ihr Instrument.
Tischler arbeitet nach Gehör. Zuerst legt er mithilfe einer Stimmgabel die sogenannte Temperatur-Oktave, die etwa in der Mitte der Tastatur liegt, an. Nach und nach stimmt er dann in Oktavschritten aufwärts und abwärts. Die einzelnen Klaviersaiten sind über den Resonanzboden gespannt und auf einem Stahlstift, dem sogenannten Stimmwirbel, aufgewickelt. Während beim Anspielen von Tasten mit tiefen Tönen nur eine Saite klingt, sind es bei hohen Tönen bis zu drei Saiten, die harmonisch zusammenspielen müssen.
Bis zu zehn Tonnen Kraft wirken auf die Klaviersaiten
Tischler macht sich die physikalische Hebelwirkung zunutze: Er setzt einen Stimmhammer auf die Wirbel auf und dreht diesen, um die Spannung der Saiten zu verändern. Nur in Handarbeit, ohne Werkzeug, wäre das nicht möglich. Denn auf die 250 Saiten eines Klaviers wirken insgesamt rund zehn Tonnen Zugkraft ein, erklärt er. Auf die Basssaiten weniger, auf die dünneren, hohen Saiten mehr.
Tischler sagt: "Ich finde es faszinierend, was man durch verschiedene Stimmtechniken aus einem Instrument herausholen kann." Denn es gibt nicht die perfekte Stimmung. In der klassischen Musik oder im Hochschulbereich beispielsweise stimmt man meistens etwas höher als der international festgelegte Kammerton von 440 Hertz.
Luftfeuchtigkeit und Raumtemperatur bestimmen den Klang
Mindestens einmal im Jahr sollte ein Klavier gestimmt werden, sagt Tischler. Etwa vier Wochen halte ein Ton bei normaler Beanspruchung seine Stimmung relativ exakt, dann verändert er sich. "Durch Krafteinwirkung kann das auch schneller gehen", weiß er. Einer seiner Kunden schaffe es, dass nach einer Viertelstunde Klavierspielen das Instrument wieder verstimmt ist.
Vor allem Luftfeuchtigkeit und Temperatur in einem Raum bestimmen, wie lange eine Stimmung hält. "Der größte Feind ist eine Fußbodenheizung", sagt Tischler. "Sie wirkt wie ein Dörrapparat." Die warme Luft steige vom Boden her auf und trockne den hölzernen Stimmstock, in dem die Wirbel befestigt sind, aus. Sie lockern sich und können nicht mehr richtig angezogen werden. Die Töne klingen schief, nach fünf bis zehn Jahren ist das Instrument oftmals irreparabel geschädigt.
200 Instrumente an der Musikhochschule stimmen
Dabei sei das Klavier ein sehr nachhaltiges Instrument, ist Tischler überzeugt. "Es ist auch nach 100 Jahren noch spielbereit, vorausgesetzt, es wird gepflegt." Ideal ist eine Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent. "In modernen Wohnungen liegt sie heute fast immer darunter", sagt der 49-Jährige. Abhilfe können zum Beispiel spezielle Bodenmatten schaffen, die verhindern, dass die Wärme unter dem Klavier aufsteigt, oder ein Luftbefeuchter.
Zweimal im Jahr, nämlich in der vorlesungsfreien Zeit, geht Tischler an der Musikhochschule in Würzburg von Raum zu Raum, um die 200 Klaviere und Flügel dort zu stimmen. Flügel werden in der Regel vor Konzerten noch einmal gestimmt. Von der Tauberphilharmonie in Weikersheim bekommt er schon am Jahresanfang einen Plan mit den Konzert- und Stimmterminen. Die meisten von Tischlers Kundinnen und Kunden sind Privatpersonen, die ein Klavier in der Wohnung stehen haben.
Klavierstimmer macht Hausbesuche
Für seine Arbeit besucht er die Klaviere meist zu Hause. "Es ist einfacher, die Werkzeuge und Ersatzteile, wie Dübel oder Leder, dorthin zu bringen, als die Instrumente in meine Werkstatt." Die ist deshalb auch nur relativ klein. Zwei der Klaviere, die derzeit dort stehen, hat Tischler günstig gekauft. Er wird sie reinigen und reparieren, die Filze neu aufbereiten und dann weiterverkaufen.
Ein anderes Instrument gehört einem Kunden. Tischler hat einige Teile ausgetauscht und repariert, jetzt will er es noch stimmen. Auf dem Arbeitstisch liegt eine Flügelmechanik, das Innenleben eines Konzertflügels, und wartet darauf, dass Tischler es in seine Einzelteile zerlegt, putzt und aufbereitet. Die Hammerköpfe aus Filz, die die Saiten anschlagen, sind sehr abgenutzt. Mit einer Intoniernadel werden die Wollfasern wieder zurechtgezupft, bis der gewünschte Klang erreicht ist. Dann strahlt das Klavier wieder in bester Stimmung.