
Niemand in verantwortungsvoller Position malt gerne schwarz. Doch das Gesundheitssystem ist über seinen Zenit hinüber, sagt Thomas Schlott. Der Geschäftsführer des BRK-Kreisverbands Main-Spessart macht sich ernsthafte Sorgen um das deutsche Gesundheitswesen – und die Rettungsdienste, für die er im Landkreis Main-Spessart zuständig ist. Denn alleine durch den demografischen Wandel gibt es nachweislich künftig immer mehr Bedarf an gesundheitlichen Dienstleistungen – und im Verhältnis immer weniger Menschen, die diese überhaupt ausführen können.
Rund 100 Hauptamtliche arbeiten für die Rettungsdienste im Landkreis. Hinzu kommen 2800 Ehrenamtliche. Doch die Zahl, die erst einmal nach viel klingt, steht vor allem auf dem Papier. Die Einsatzstunden bei den Ehrenamtlichen variieren stark, erklärt Schlott. Neues Personal werde immer gesucht. Doch immer weniger seien überhaupt dazu bereit, sich in ihrer Freizeit zu verpflichten und sich an ein Ehrenamt zu binden. Ein Trend, über den ebenso Vereine, Kirchenverbände und Gemeinden klagen. Auch, wenn der Bereich der Rettungsdienste dahingehend noch als verhältnismäßig attraktiv für Ehrenamtliche wahrgenommen werde.
Qualität der Gewalt nimmt nach Eindruck von Kreisgeschäftsführer zu
Doch hinzu kommen allerlei andere Belastungen. Etwa auch Pöbeleien und Anfeindungen, bis hin zu roher, körperlicher Gewalt. Ob die Fallzahlen hierbei steigen, ist sich Schlott nicht sicher. Doch gefühlt nehme die Qualität der Gewalt zu, sagt er.
Tatsächlich bewegen sich die polizeibekannten Fälle von Gewalt gegenüber Rettungskräften in den vergangenen zehn Jahren in Unterfranken auf einem relativ gleichbleibenden Niveau. Bis zu 25 Fälle (2016) der Körperverletzung verzeichnete das Polizeipräsidium Unterfranken im Jahr. Im Landkreis Main-Spessart waren fünf Fälle (2015) der negative Spitzenwert.
Doch die Dunkelziffer dürfte höher sein. Beleidigungen sind überhaupt nicht in der Statistik enthalten. Ohnehin: Jeder Fall von Gewalt gegenüber Menschen, die anderen Menschen das Leben retten, ist einer zu viel.
Dirk Zirwick ist Leiter des Rettungsdienstes. Im vergangenen Jahr, sagt er, habe einer seiner Kollegen einen Verwundenen behandelt. Völlig unvermittelt habe der dem Sanitäter mit dem Springerstiefel ins Gesicht getreten und wollte auch danach nicht von ihm ablassen, sodass der die Flucht ergreifen musste. Hinzu kommen Gaffer, Gesten und Beleidigungen. Für Betroffene ist das – abgesehen von körperlichen Verletzungen – auch psychisch eine große Belastung.

Sinnlose Gewalt kann besonders verletzend auf Betroffene wirken
Insbesondere die Unkontrollierbarkeit solcher Situationen kann mitunter stark belastend sein, sagt Psychologe Prof. Dr. Andreas Eder von der Universität Würzburg. Das gelte zwar nicht speziell für Rettungskräfte, doch: "Solche Übergriffe sind noch einmal besonders verletzend und normüberschreitend, da es ja keine Erklärung im Sinne von falschem Handeln oder Provokationen gibt", sagt Eder. Abhängig von der Persönlichkeit und der Aufarbeitung der Situation – welche insbesondere auch im Team wichtig sei – können solche Gewaltattacken gar Angststörungen und posttraumatische Belastungsstörungen hervorrufen.
Eine weitere Belastung im Sanitätsdienst ist das laut Schlott immer höher werdende Einsatzaufkommen. Zu immer mehr Veranstaltungen werden Sanitäter angefordert. So habe Schlott etwa schon Anfragen für Hochzeiten und andere private Feiern wie etwa Geburtstage bekommen – neben den großen Events wie Weinfesten, der Laurenzi-Messe oder der Tanzinsel. Und auch die Hemmschwelle, die Notrufnummer in solchen Fällen zu wählen, in denen überhaupt keine Notdienste von Nöten seien, sei laut Schlott heute niedriger. Auch auf dem Land, wo viele früher alleine aufgrund der Angst vor Gerede durch die Nachbarn gehemmt gewesen seien: "Die Ansprüche der Bevölkerung sind extrem gestiegen."
Vieles an dem sonst so erfüllenden Berufsbild demotiviert
Zirwick erzählt von einem Einsatz in Burgsinn, bei dem eine Familie kein Fieberthermometer besaß. Am Telefon wurde die Situation ausgeschmückt. Der Verdacht auf Sepsis – eine Blutvergiftung – lag nahe. Beim Eintreffen wurde den Sanitätern aber klar, dass sie hier schlichtweg als Überbringer eines Fieberthermometers fungierten. Auch solche Einsätze binden Arbeitskräfte und verzögern im schlimmsten Fall die Versorgung von Menschen, die sie wirklich nötig hätten.
Der Beruf sei abwechslungsreich und aufregend und gebe viel Gutes zurück. Schlott und Zirwick bereuen keinen einzigen Tag im Dienst, sagen sie. Kaum eine Rettungskraft hänge ihren Job einfach so an den Nagel. Aber auf das ohnehin stark beanspruchte Personal sei die Wirkung solcher Vorfälle demotivierend. Und das in einem Berufsfeld, das sowohl ehren- als auch hauptamtlich so händeringend nach neuem Personal sucht.