
Kirche und Fußball – Thorsten Kapperer, Pastoralreferent in Gemünden, denkt zusammen, was grundverschieden scheint. "Ich bin Fußballfanatiker durch und durch", sagt der 42-jährige Theologe, der zu dieser ungewöhnlichen Themenkombination promoviert hat und außerdem Beauftragter des Bistums Würzburg für Kirche und Sport ist – und aktiver VfB Stuttgart-Fan. Die Redaktion hat ihn gefragt, wie er seinen Glauben mit der umstrittenen WM in Katar vereinbart und ob die starke Liebe zum Fußball manchmal religiöse Züge hat.
Thorsten Kapperer: Ich bin immer noch sehr enttäuscht. Ich rede gerne über Kirche und Fußball, aber es gibt auch Tage, wo das nicht so ist. Die Lust ist erstmal weg, aber vielleicht schaue ich wieder zum Halbfinale oder Finale. Wenn es deutsche Spiele gewesen wären, hätte ich mir sicher freigenommen.
Kapperer: Ja, die deutschen zumindest. Das war aber kein Boykott der anderen Spiele, das war eine zeitliche Frage. Ich verstehe jeden, der die WM boykottiert. Es gibt gute Gründe dafür.
Kapperer: Auf den ersten Blick vielleicht gar nicht. Ich bin auch für eine Trennung: Fußball ist Fußball und Kirche ist Kirche. Aber es gibt viele Verbindungen, zum Beispiel die Leidenschaft. Wir haben auch Leidenschaft in der Kirche – ich würde mir manchmal noch mehr wünschen. Jemand hat mal gesagt: "Erlöster müssten sie aussehen, die Erlösten." Wir haben ja eigentlich eine tolle, frohe Botschaft mit dem Evangelium.
Kapperer: Neben dieser Leidenschaft ist es zum Beispiel die Sprache. Erik Flügge hat das Buch geschrieben "Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt." Das ist sehr plakativ, aber er wirft uns mit Recht vor: Sobald wir in den Gottesdienst gehen, gibt es Schachtelwörter, große Worte wie Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Im Fußball, auf dem Sportplatz ist es anders. Da wird nicht hochgestochen gesprochen, sondern sehr normal. Da kann die Kirche vom Fußball und anderen Bereichen etwas lernen: einfache Sprache, klarere Sprache.
Kapperer: Davon etwas zu lernen ist schwierig. Das ist ja kaum auszuhalten. Aber vielleicht das: Die Propheten und Jesus waren schon immer welche, die angeprangert haben. Das kann man gerade in der Adventszeit von dieser WM lernen, dass man nicht alles hinnimmt, was in Katar geschieht. Da können wir uns als Kirche einbringen. Aber andererseits, das ist meine persönliche Meinung, sollten wir als Kirche etwas zurückhaltend sein. Wir kritisieren zum Beispiel sehr stark die Situation der Homosexuellen dort. Die finde ich unerträglich, Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Aber in den kirchlichen Gesetzestexten steht die Diskriminierung auch noch drin. In dem Punkt sollten wir als Kirche demütig sein.
Kapperer: Es ist schon sehr an der Grenze. Kommerz zum Beispiel ist immer ein Thema, Katar hat das auf die Spitze getrieben. Die Vorfreude war deshalb auch nicht da. Aber jetzt ist es so: Diese WM findet statt. Das ist gerade so. Da hilft mir mein Glaube zu sagen, ich glaube an das Gute, ich glaube an die Kraft der Veränderung. Das mögen Kritiker blauäugig nennen, aber ich glaube schon, dass es Ansätze gibt. Es ist gerecht, auch das Positive zu sehen.

Kapperer: Die Arbeitsbedingungen der Arbeiter, zumindest auf den WM-Baustellen, sind nachweislich besser geworden. Das sagen Menschenrechtler und Gewerkschaften dort. Natürlich bei weitem nicht so, wie wir uns das wünschen würden. Aber die Essens- und Wasserversorgung hat sich verbessert, es wurden Cooling-Rooms eingeführt, in denen sich die Arbeiter bei Hitze ausruhen können, Kühlwesten, Pausenzeiten. So einige Punkte. Das mag man als Kleinigkeiten wegwischen, aber es sind Verbesserungen und ich lebe aus der Hoffnung, dass die sich weiter fortführen.
Kapperer: Gerade wenn ich die anti-emanzipatorische Kraft des Fußballs betrachte, da haben wir als Kirche eine ganz andere Botschaft. Die anti-emanzipatorische Kraft des Fußballs bezieht sich auf den Kommerz, die Gewalt und den Leistungsdruck, die es im Fußball gibt. Unsere Botschaft ist mit Jesus die Friedfertigkeit. Und zum Leistungsdruck: Wenn man von klein auf Fußballprofi werden möchte, da sind so viele Kinder und so wenige kommen weiter. Das ist für Kinder oft schlimm: Du ja, du nicht, du nicht. Da haben wir einen anderen Ansatz: Du, du und du, alle. Jeder hat seine Stärken und Schwächen. Da würde es dem Fußball mal guttun, rüber zur Kirche zu schauen.

Kapperer: Ich würde sagen, ja. Ich würde es aber theologisch trennen. Es gibt nur einen Gott, es gibt keinen Fußballgott. "Wir glauben an den einen Gott", so heißt es in unserem Glaubensbekenntnis. Aber es gibt schon religiöse Züge, wenn ich mir die Leidenschaft anschaue, die Rituale. Bei uns ist es der liturgische Kalender, dort der Spielplan – der bestimmt auch meinen Alltag mit. Oder wenn man eine Extremsituation erlebt. Das hatten wir in Stuttgart letzte Saison, da fiel in der Nachspielzeit das entscheidende Tor, so dass wir nicht in die Relegation mussten. Das war natürlich Wahnsinn, die Tränen sind geflossen, die Menschen übereinander, untereinander. Das deute ich für mich persönlich als transzendente Erfahrung. Da habe ich Gott ganz brachial mit aller Wucht erfahren.