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Marktheidenfeld
Flüchtlingsberatung in MSP: "Das Schlimmste, was man machen kann, ist ihnen die Arbeit abzunehmen"
1136 Flüchtlinge berät und betreut die Caritas aktuell in Main-Spessart, 322 davon in Marktheidenfeld. Wer kommt und was sind die Themen? Zwei Beraterinnen öffnen ihre Tür und geben Einblicke.
Nicole von Thüngen im Beratungsgespräch mit Abdulah Kaduri. Sie und ihre Kollegin kümmern sich in Marktheidenfeld derzeit um 322 Flüchtlinge.  Insgesamt betreut die Caritas  1136 Menschen in Main-Spessart. 
Foto: Silvia Gralla | Nicole von Thüngen im Beratungsgespräch mit Abdulah Kaduri. Sie und ihre Kollegin kümmern sich in Marktheidenfeld derzeit um 322 Flüchtlinge.  Insgesamt betreut die Caritas  1136 Menschen in ...
Lucia Lenzen
 |  aktualisiert: 25.03.2024 02:47 Uhr

Vor der Tür von Nicole von Thüngen und Jessica Gadelmeier warten bereits etliche junge Männer. "Teilweise stehen sie auch die Treppe herunter", erzählen die beiden Flüchtlings- und Integrationsberaterinnen des "Caritasverbands für den Landkreis Main-Spessart". Ihr Büro liegt im zweiten Stock des Fränkischen Hauses in Marktheidenfeld. Um die 20 Beratungen ziehen sie hier durchschnittlich täglich zwischen 8 und 12 Uhr durch. Manchmal seien es aber auch deutlich mehr.

Das war nicht immer so. Bis Anfang 2023 waren die Beratungszahlen stabil. Mit der Belegung der Notunterkunft im ehemaligen Krankenhaus aber gingen die Zahlen steil nach oben. 1136 Flüchtlinge berät und betreut die Caritas aktuell in Main-Spessart, 322 davon in Marktheidenfeld. Damit liegen sie noch vor ihren Kollegen aus dem Gemündener Raum mit 311 Fällen, allerdings deutlich hinter der Beratungsstelle Lohr mit 503. "Da gibt es allerdings auch einen Helferkreis, der sehr viel auffängt", so von Thüngen. In Karlstadt läuft die Beratung über den Paritätischen Wohlfahrtsverband.

In Marktheidenfeld gibt es keinen Helferkreis

Einen Helferkreis gibt es in Marktheidenfeld derzeit nicht. Also kommt, wer eine Frage hat, in die Sprechstunde ins Fränkische Haus. So zum Beispiel der junge Afghane, der in der Heimat bereits als Staatsanwalt gearbeitet hat. Er legt Nicole von Thüngen ein Schreiben vom Jobcenter vor, das er nicht versteht. "Hier steht: Sie sollen sich eine Wohnung suchen", erklärt sie und kopiert ihm einen Zettel. Darauf sind die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung im Landkreis angegeben. So sollte die Bruttokaltmiete für eine 50 Quadratmeterwohnung nicht mehr als 382 Euro kosten, es sei denn, man sucht in Lohr. Hier liegt die Angemessenheitsgrenze bei 481 Euro. 

Jessica Gadelmeier im Beratungsgespräch mit Khawia Sediqi und Ramin Amini.
Foto: Silvia Gralla | Jessica Gadelmeier im Beratungsgespräch mit Khawia Sediqi und Ramin Amini.

Parallel stellt Jessica Gadelmeier einem Flüchtling einen Krankenbehandlungsschein für einen Tag aus. Damit kann er in die KVB-Bereitschaftspraxis nach Lohr gehen – allerdings nur an genau an diesem Datum. "Früher haben wir auch zu den Hausärzten vermittelt", erzählt sie. Die seien aber mittlerweile überlastet. Also schicken sie die Leute nach Lohr.

Persönliche Anhörung wichtigster Termin im Asylverfahren

Am Schreibtisch gegenüber hat wieder ein Afghane Platz genommen. Es geht um seine persönliche Anhörung demnächst in Schweinfurt – der wichtigste Termin innerhalb seines Asylverfahrens. Nicole von Thüngen bestellt einen Dolmetscher für Persisch. "Sollte das sprachlich nicht passen, müssen Sie das gleich zu Beginn des Interviews sagen", rät sie. Sie weiß, wie nervös die Menschen teils vor diesem Termin sind, auf den sie bis zu einem Jahr warten. Um herauszufinden, ob der Mensch glaubhaft aus dem Land kommt, werden auch ortsspezifische Dinge wie bestimmte Bergnamen, Flüsse oder Kinderspiele abgefragt. 

Um kurz nach 9 Uhr ebbt der Ansturm etwas ab. "Die meisten sind jetzt im Sprachkurs", so Gadelmeier. Sie und ihre Kollegin sind beide seit rund zwei Jahren da. Mittlerweile sind sie gut eingearbeitet, kennen sich mit den meisten Fragen aus. Die Beratungsstelle ist gerade erst wieder für drei Jahre bewilligt worden. 

Auch mit der Verständigung klappt es gut: Oft bringen die Flüchtlinge Bekannte mit, die schon gut deutsch sprechen und dolmetschen. Ansonsten gibt es immer noch den Google-Übersetzer, der gut funktioniert – außer bei Französisch.   

Erste Lektion: Du brauchst für alles einen Termin

Zwei Jahre sind die Flüchtlinge im Durchschnitt da und werden von den Beraterinnen betreut. Sie kennen die meisten Geschichten, Probleme und Marotten. Manche kämen mit Kleinigkeiten. Andere bräuchten einfach mal einen Ansprechpartner. Die meisten aber wollen endlich ankommen und arbeiten. "Das Schlimmste, was man machen kann, ist ihnen die Arbeit abzunehmen", so Gadelmeier. Also lässt sie Zettel und Formulare selbst ausfüllen, ermuntert selbstständig Anrufe zu übernehmen. "Die meisten sind mit unserer Bürokratie überfordert", so von Thüngen. Was die meisten zuerst lernen: Du brauchst für alles einen Termin und einen Zettel. 

"Die meisten sind mit unserer Bürokratie überfordert."
Caritas-Flüchtlingsberaterin Nicole von Thüngen

Sogar für den Besuch in der Beratung – zumindest dann, wenn die Flüchtlinge in der Sprachkurs-Pause kommen und es nicht rechtzeitig zurück in den Unterricht schaffen. "Wir schreiben dann so etwas wie einen Mutti-Zettel, dass sie wirklich hier waren", erklärt Gadelmeier. Sie hat gerade Pause. Bei der Kollegin gegenüber hat ein Somalier Platz genommen. Er ist wegen eines Jobwechsels da. Der Job ist in Schweinfurt, untergebracht ist er allerdings in Marktheidenfeld. Alle Versuche, mit einer Unterkunft in Schweinfurt zu tauschen, hätten bisher nicht funktioniert "Das ist etwas, was ich nicht verstehe, dass es den Leuten dann noch so schwer gemacht wird", so Gadelmeier. 

Die meisten Geflüchteten sind motiviert

Auch Nicole von Thüngen hat sich schon über manche Behörden-Entscheidung oder Einschätzung geärgert. "Natürlich gibt es schwarze Schafe", erläutern die Beraterinnen. Aber die, die nichts machen wollten, seien in der Minderheit. Die meisten seien sehr ambitioniert. So wie die nigerianische Familie, die fünf Jahre lang darum kämpfte, arbeiten gehen zu dürfen. Einige Tage nachdem die Arbeitserlaubnis da war habe der Vater seinen Vollzeit-Job angetreten, erzählt Gadelmeier. Das sei schon emotional gewesen. 

"Wenn jemand länger nicht da war und da dann plötzlich da steht und deutsch spricht, das ist immer spektakulär."
Caritas-Flüchtlingsberaterin Jessica Gadelmeier

Wie viel sie gedanklich aus der Beratung mit nach Hause nehmen? "Mittlerweile fast nichts mehr", so von Thüngen. Früher sei sie auch privat oft noch in die Diskussion gegangen. Aber das hätte sie abgelegt. Zu viele Vorurteile, mit denen man immer wieder konfrontiert würde. 

Für die Flüchtlingsberaterinnen überwiegen die schönen Dinge am Job

Dagegen überwiegen die schönen Dinge an ihrem Job: "Zum Beispiel wenn jemand länger nicht da war und da dann plötzlich da steht und deutsch spricht, das ist immer spektakulär", so Gadelmeier. Oder wenn sich langsam herauskristallisiert, was für tolle Menschen mit tollen Lebensläufen da vor ihnen sitzen. Oder wenn es einfach läuft mit der Anerkennung, dem Job, dem Integrieren.

Trotzdem ist es immer wieder gut, um 12 Uhr die Tür abzusperren, durchzuschnaufen und sich den Rest der letzten Arbeitsstunde vor Feierabend der Dokumentation zu widmen. Bis morgen um 8 Uhr. 

 
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