
Wenn am Ende der Lohrer Spessartfestwoche und der Marktheidenfelder Laurenzi-Messe Tausende Augenpaare erwartungsvoll in den Nachthimmel blicken, schaut ein Augenpaar konzentriert nach unten.
Dabei ist es nur noch ein kleiner, unscheinbarer Knopf auf seinem Zündkoffer, den Jürgen Mattis drücken muss, um in Gang zu setzen, was er wochenlang vorbereitet hat. "Niemand rennt mehr herum, um Zündschnüre anzubrennen", erzählt der 37-jährige Geschäftsführer von Franken Pyro. Seit über 15 Jahren zündet der Pyrotechniker aus dem 360-Einwohner-Ort Waldzell mittlerweile die Feuerwerke, die an den letzten Abenden der zwei großen Volksfeste in Main-Spessart Bilder in den Himmel zaubern.
Leicht erhöhten Puls hat er aber jedes Mal, wenn es auf die 22 Uhr zu geht und die Lichter auf dem Festplatz ausgehen, um das Erlebnis nicht zu stören. "Die Leute sind meistens total erstaunt, wenn sie mich mitten im Publikum mit meinem Koffer vor dem Bauch entdecken", erzählt er. Denn in diesem Moment ist alles getan, was zu tun war. Die eigentliche Arbeit beginnt schon Wochen vorher.
Seit 2013 richtet der Waldzeller das Laurenzi-Feuerwerk aus, seit 2015 das auf der Festwoche in Lohr. Mittlerweile ist auch seine Frau Julia im Familienbetrieb mit dabei. Sie legte die Prüfung wenig später ab, um ihn zu unterstützen. "In ein historisch gewachsenes Feuerwerk hineinzukommen, ist ultraschwierig", sagt Mattis. Dass er es geschafft hat, lag wohl auch an seinen Referenzen wie dem Feuerwerk, das er 2012 zu "1200 Jahre Steinfeld" abschoss. Danach folgte die Anfrage für Laurenzi. Seitdem ist der staatlich geprüfte Feuerwerker dabei.

"Vor Corona haben wir sogar gedacht, dass wir das Feuerwerken hauptberuflich machen können", erzählt Jürgen Mattis. Mit der Pandemie aber war das Geschäft erst einmal tot. Mittlerweile läuft es aber wieder und sie sind viel auf Firmenjubiläen, Hochzeiten und Geburtstagen unterwegs. Darüber hinaus arbeiten beide noch in einem festen 20-Stunden-Job, sie als Erzieherin, er im öffentlichen Dienst und haben mit der Waldzeller Gemüsekiste ein weiteres Standbein gegründet.
Die beiden großen Feuerwerke bei Laurenzi und Festwoche sind ihre aufwändigsten Aufträge. Dass die Effekte im Takt der Musik am Himmel erscheinen, ist in Marktheidenfeld mittlerweile Standard. "Das ist einfach viel emotionaler und lockt mehr Leute", so Jürgen Mattis. Dafür braucht man aber auch das entsprechende Equipment: Rund 10.000 Leute müssen beschallt werden.
Die Musikauswahl ist ihm überlassen. Generell gilt: Es braucht eine emotionale Musik, mit Stimmungskurven, mal aufbrausend, mal weich und sanft, auf jeden Fall mitreißend. "Filmmusik eignet sich da gut, aber auch klassische Musik", so der Feuerwerker.

Hat er alle Musikstücke zusammen, beginnt die eigentliche Arbeit: Am Computer werden die Klänge mit den Effekten hinterlegt. Mehrere tausend Elemente hat der Pyrotechniker in petto. Darunter Licht-, Farb- und Knalleffekte wie den laut knisternden Löwenzahn-Effekt, Gold-Brokat-Kronen, die sich tief ziehen, Himmelsbilder mit Knall oder ohne. Relativ neu: Der Ghost-Effekt, der sich erst später und überraschend zündet.
Ist das Feuerwerk am Rechner fertiggestellt, wird es auf die Zündanlage übertragen. Vor Ort wird das Feuerwerk von mehreren Stationen gleichzeitig gezündet. Acht Zündkoffer mit bis zu 70 Kanälen installiert Mattis dazu. Bis zu 20 Zündungen sind in einer Sekunde möglich. "Das ist mittlerweile wirklich Hightech", so der Waldzeller.
Echte Handarbeit aber bedeutet es, alle Effekte vor Ort herzurichten. Bereits einige Stunden vorher sind Julia und Jürgen Mattis vor Ort, um die Abschussmörser zu installieren. "Das sind Glasfaserrohre, in die kommt der gewünschte Effekt mittels Kugelbombe", erläutert Julia Mattis. Benutzt werden Kugelbomben oder Zylinderbomben, keine Raketen. "Die haben in der Großfeuerwerkerei eigentlich keinen Stellenwert", so das Paar. Viel zu unkontrollierbar. Das ist bei den Kugelbomben anders. Einmal entzündet, brennt während des Flugs die Zündschnur ab, am höchstens Punkt explodiert die Bombe und gibt ihren Effekt preis.
Wurde das Laurenzi-Feuerwerk eine Zeitlang von der alten Mainbrücke in Marktheidenfeld abgefeuert, dürfen Julia und Jürgen Mattis in diesem Jahr wieder auf dem Radweg auf der gegenüberliegenden Mainseite aufbauen. "Weil wir hier erstmal über eine kleine Baumreihe drüber müssen, haben wir Steighöhen von bis zu 180 Metern", so Mattis. Schöner Nebeneffekt: Das Feuerwerk spiegelt sich im Main wider.

Was die meisten nicht wissen: Bis der erste Effekt am Himmel explodiert, ist ein großer Genehmigungsmarathon fällig. "Jeder einzelne Feuerwerkskörper muss bei der Gewerbeaufsicht angemeldet werden, ebenso Datum, Uhrzeit, Grund", so Mattis. Dazu kommt die Schifffahrtssperre, auch Schleusen und Brücken müssen zu dem Zeitpunkt dicht gemacht werden. Zudem sind die Wasserwacht und die Feuerwehr an mehreren Punkten positioniert.
Was der Feuerwerker bedauert: "Viele Menschen denken bei Feuerwerk direkt an das Thema Luftverschmutzung, Dreck, Krach", so Mattis. Dabei bestünden seine Bomben letztlich aus Tonerde, Pappe und Schwarzpulver und seien somit fast zu 100 Prozent abbaubar, argumentiert er. Bei dem Rauch, der entsteht, handele es sich auch viel um Wasserdampf. Aber natürlich sei auch Feinstaub dabei. Im Vergleich zu anderen Feinstaubwerten, die etwa an einer viel befahrenen Straße entstünden oder bei der Verbrennung im Holzofen, seien diese aber eher von geringerer Bedeutung, so Mattis.
Und der Krach? Mittlerweile sind auch geräuscharme sowie Flüster-Feuerwerke möglich. Eher konkurrierend sind Drohnen-Shows, bei denen speziell ausgestattete Drohnen bewegte Bilder und Lichteffekte in den Himmel zeichnen. Die Branche entwickele sich jedenfalls ständig weiter, so Mattis.
Und auch wenn die vielen "Aaaaahs" und "Oooohs" und der Applaus am Ende seines Feuerwerks schon viel an Belohnung und Bestätigung zurückgeben, schaut sich der Pyro-Fachmann am nächsten Tag das Schauspiel noch einmal in Ruhe auf Video an. Zur Analyse – und ohne den Stress des "Knöpfchen-Drückens".