Frisches Gemüse, möglichst unbehandelt und so regional, dass man ihm am besten beim Wachsen zusehen kann: Das gefällt immer mehr Menschen. Dass man dafür weder riesige Anbauflächen, noch schweres Gerät braucht, zeigt ein Paar aus Waldzell im Landkreis Main-Spessart. Eine ganze Gartensaison von Mai bis Ende Oktober haben Jürgen und Julia Mattis 35 Familien wöchentlich mit ihren Gemüsekisten versorgt. Dabei ist ihre Anbaufläche mit rund 350 Quadratmetern reiner Beetfläche gerade mal so groß wie anderthalb Tennisfelder.
Dass die beiden jetzt so entspannt durch ihre Gemüsereihen laufen, liegt an der "Winterruhe" die bei ihnen eingekehrt ist. Noch bis Ende Oktober war das Paar damit beschäftigt, jeden Montag die Beete abzuernten, Gemüsekisten zu packen oder Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Denn die Leute wollten nicht nur ihr Gemüse-Kisten kaufen, sie wollten auch wissen: Wie geht das eigentlich, was ihr da macht? Und kann ich das auch selbst?
Ja, das kann man auch selbst, sagen die beiden Waldzeller. Und erklären, was sie im Garten tun.
Wo kommt "Market Gardening" her und wie kam das Waldzeller Paar dazu?
"Im Prinzip haben wir Omas Garten perfektioniert", erklärt Jürgen Mattis das Anbauprinzip. Entstanden sei es zu Zeiten der Bevölkerungsexplosion im 19. Jahrhundert. Vor allem in den französischen Städten seien damals, getrieben von Hunger und Not, Arbeitergärten für den Eigenbedarf entstanden, sagt der 36-Jährige.
Er ist gelernter Maschinenbautechniker - aber begeisterter Hobby-Gärtner schon seit dem Teenageralter. Die Idee, den Gemüseanbau großflächiger auszuprobieren, entstand, als er und seine Frau Julia die Gelegenheit bekamen, eine größere Ackerfläche am Ortsrand von Waldzell zu kaufen und zu bepflanzen - zunächst für ihre eigene Versorgung. "Was zu viel war, haben wir an die Straße gestellt und so weiterverkauft", sagt Julia Mattis. Das sei so gut gelaufen, dass sie immer mehr Anfragen bekommen hätten, erzählt die 31-jährige Erzieherin, die gerade mit dem zweiten Kind in Elternzeit ist. "Wir haben einen Winter lang überlegt und uns dann entschieden, das Prinzip als Geschäftsmodell auszuprobieren."
Wie funktioniert das Prinzip?
Kleine Fläche, viel Ertrag und das möglichst ressourcenschonend: Das sind die drei Säulen des Anbau-Prinzips. Von der Fläche reichen dem Marktgärtner manchmal weniger als 0,1 Hektar bis zu drei Hektar. Dabei sollte der Marktgarten möglichst kompakt und möglichst gut begehbar sein. Die Beete sind 20 Meter lang und 75 Zentimeter breit. Ideal, um mit gegrätschten Beinen über dem Angebauten zu stehen, Beikraut zu zupfen, zu ernten - oder Neues zu säen.
Was unterscheidet "Market Gardening" vom normalen Gärtnern?
Werden viele Flächen im Winter umgepflügt und liegen sozusagen "nackt" da, beackert der Marktgärtner sein Beet das ganze Jahr über. "Der Boden muss immer zu sein, also mit etwas bepflanzt", erklärt Julia Mattis. So steht auch jetzt zu Winterbeginn in den schmalen Dauerbeeten Knoblauch, der im Oktober gesteckt wurde. Aber auch Kräuter wie Rosmarin. Ein Beet weiter wächst noch der Spinat, der, wenn er es gut verträgt, den ganzen Winter über bleibt. Auch der Lauch hält den Winter über durch. Jetzt erntereif ist die Herbstrübe, vergleichbar mit Kohlrabi, die im August gesetzt wurde. Nebenan im Folientunnel gedeiht Anfang Dezember der Asia-Salat, der keine Feuchtigkeit verträgt, aber es auch kalt mag.
Wie sieht der Anbauplan aus?
Damit die Beete auch wirklich dauerhaft zu und bepflanzt sind, braucht es einen Anbauplan. Der entsteht im Winter: "Wir reflektieren den Sommer und überdenken: Was ging gut, was nicht?", sagt Julia Mattis. Dabei hilft ihnen ein Ackertagebuch, das sie den Sommer über geführt haben und an dem sie sich jetzt orientieren können: Zu welchem Zeitpunkt haben wir den Salat raus gepflanzt? Hat die Physalis Frostschäden oder nicht? In welchem Beet haben wir welche Fruchtfolge gehabt?
Um den Boden generell nicht zu überfordern, stimmen die Waldzeller die Fruchtfolge so ab, dass zwischendurch Leguminosen, wie zum Beispiel Bohnen, über ihre Knöllchen-Bakterien den Boden mit genügend Stickstoff versorgen.
Was wächst gut? Was eignet sich nicht so?
Ideal für die Marktgärtnerei sind vor allem Gemüsepflanzen, die schnell wachsen und viel Ertrag bringen, sogenannte "Cash Crops", übersetzt Bargeld-Pflanzen. Dazu zählen Salat, Gurke, Tomate oder Rote Bete. Weniger geeignet sind laut Jürgen und Julia Mattis zum Beispiel Karotten, da die Sämlinge meist aufwendiger geputzt und gesäubert werden müssen. Auch Kohlsorten wie Brokkoli, Blumenkohl, Weißkohl oder Rotkohl wachsen langsamer und blockieren daher lange den Platz im Beet. Zudem sind sie anfällig für Schädlinge.
Wie wird der Boden beim "Market Gardening" bearbeitet?
Anders als im konventionellen Ackerbau wird der Boden im "Market Garden" nicht umgegraben. "Er arbeitet selbst", beschreibt Julia Mattis. Deshalb darf er nicht mit schwerem Gerät befahren werden, sonst würde er zu stark verdichtet. Um ihn aufzulockern, aber "nicht auf den Kopf zu stellen", benutzen die Waldzeller eine XL-Grabegabel. Damit sich das Beikraut nicht hemmungslos ausbreitet, wird es mit der Hand oder mit einer Drahtbügelhacke entfernt. Zudem soll es Löwenzahn, Giersch und Co. mit möglichst dichter Bepflanzung schwer gemacht werden, sich auszubreiten. Das hat zum Vorteil, dass mehr Boden verschattet wird, also weniger Wasser verdunstet.
Ebenfalls eine Versicherung gegen Unkraut: der Kompost. Die Waldzeller bringen ihn zirka zehn Zentimeter dick auf die Beete aus. "Da kommt kaum Unkraut durch."
Für Einsteiger: Wie viel Platz braucht es?
Die Anbaumethode kann man bereits auf wenigen Quadratmetern anwenden. "Um eine vierköpfige Familie zu ernähren kommt man schon mit zwei Hochbeeten gut hin - wenn man dran bleibt!", sagen die beiden Marktgärtner. Es gilt also früh anzufangen und dann nachzupflanzen. Tipp der Marktgärtner: keine zu ausladenden Pflanzen wählen wie Zucchini oder Kürbis.
Wichtig ist, Wege und Beete dauerhaft festzulegen, einmal zu Beginn umzugraben und danach nur noch oberflächlich zu bearbeiten. Danach spielt der Kompost eine große Rolle, der dick oben drauf kommt und als Mulchschicht dient. Wichtig sei, dass er nicht eingearbeitet wird, sagt Jürgen Mattis: "Das übernehmen die Regenwürmer." Wer Platzmangel hat, kann verschiedene Kulturen zusammensetzen - wie Erdbeeren und Zwiebeln oder Spinat und Frühlingszwiebeln. War sich überall gut reinsetzen lässt: Salat.
Wie groß ist die Ernte?
Rund 40 verschiedene Kulturen wachsen bei den Waldzeller das Jahr über auf dem Feld und im Folientunnel. 2021 kamen so 1,2 Tonnen Gemüse zusammen, 2022 waren es zwei bis drei Tonnen, davon allein zirka 800 Kilo Tomaten. 35 Gemüsekisten konnten die Waldzeller so 2022 mit ihrem Ertrag wöchentlich zusammenstellen und als Abo verkaufen. Vor allem Familien aus den benachbarten Gemeinden zählen zu ihren Kunden. In der Kiste ist immer das Gemüse der jeweiligen Saison. Das bedeutet aber auch: Die Kiste ist im Frühjahr noch etwas leerer, dafür im Sommer voll.
Wie viel Zeit braucht die Marktgärtnerei?
Das kommt auf den Bedarf an: Für den Familienanbau reicht eine halbe Stunde täglich. Bei Familie Mattis sind die Jahreszeiten unterschiedlich arbeitsintensiv. Wenn im Mai ausgepflanzt wird, können es schon mal zwölf Stunden sein. "Wenn das Gemüse einmal wächst, wird es entspannter", sagt Julia Mattis.
Bisher machen sie alles zu zweit - und bekommen auch Hilfe: mal aus der eigenen Familie, mal von Kundinnen und Kunden der Kiste, die als Ausgleich zu ihren Bürojobs auf dem Acker mit anpacken, mal Beikraut zupfen, Kartoffeln stopfen oder mit am Lagerfeuer sitzen. Was Jürgen und Julia Mattis antreibt? "Die Gemüsegärtnerei ist einfach eine sinnvolle Sache", sage sie. "Zu wissen, da habe ich viel Arbeit rein gesteckt und dann das fertige Produkt in der Hand zu halten und damit Leute zu ernähren - das macht einfach glücklich."