
Das Leben einer Schaustellerfamilie stellt man sich gerne vor wie den Trubel auf dem Rummelplatz: laut, schrill und bunt. Wenn diese Familie dann noch einen Schokofrüchte-Verkauf betreibt, müsste deren Leben zuckersüß sein, könnte man meinen. Doch die Realität ist eine andere.
Hinter der Fassade plagen Andrea Müller-Leßmann und Rainer Müller aus Lengfurt die Sorgen, die auch andere Selbstständige haben. Sie tragen das unternehmerische Risiko ihres "Schokotempels". Außer der eigenen Familie sind auch ihre Angestellten, das Ehepaar Justyna und Jacek Szalony, wirtschaftlich von ihnen abhängig.
Urlaub gönnt sich die Schaustellerfamilie nur zur Faschingszeit
Damit sich das Leben als Schausteller rechnet, haben viele mehrere Betriebe. Zusammen mit ihrem Kinderkarussell und der Schießbude war die Familie vor drei Jahren auf insgesamt 16 Veranstaltungen vertreten, vor allem in Süddeutschland. Sie sind fast das ganze Jahr über unterwegs. Nur zur Faschingszeit gönnte sich die Familie einen zweiwöchigen Urlaub in der Sonne.
Als sie im März 2020 von ihrer Reise zurück nach Deutschland kamen, überschlugen sich die Nachrichten. Corona bestimmte fortan das Leben. "Wir verfielen in eine Schockstarre", so Müller. "Unsere Branche sei am ehesten verzichtbar, hieß es von Gesundheitsminister Spahn", erinnert sich seine Frau. Die damit einhergehende Bitterkeit ist ihr noch immer anzuhören.
Staatliche Corona-Hilfen kamen erst im Oktober 2020 an
Sie hatten monatelang ein "Berufsverbot" zu verkraften – keine Einnahmen; Leasingraten und Versicherungsbeiträge mussten trotzdem bezahlt werden. Die im Frühjahr versprochenen staatlichen Hilfen für die Ausfallzeiten kamen erst im Oktober an. "Das Geld hat nicht mal die betrieblichen Kosten gedeckt, ganz zu schweigen von den Lebenshaltungskosten", so Müller.
"Auch die emotionalen Auswirkungen waren enorm", sagt Andrea Müller-Leßmann. Es habe ihr geholfen, bei einer Demo in Berlin mit tausenden anderen Schaustellern und ihren Wagen Dampf abzulassen. "Am schlimmsten ist das Rumsitzen und Nichtstun, das zermürbt einen". Sie selbst sei eigentlich ein optimistischer Mensch, sagt die 34-Jährige. "Man muss zuversichtlich sein und stets weitermachen."
Damit wenigstens etwas Geld in die Kasse kam, war die Familie einige Tage mit dem "Schokotempel" bei der Aktion "Sommer in Marktheidenfeld", einer stark abgespeckten Version der Laurenzi-Messe, und vier Wochen im September in Gunzenhausen.

Stadtstrand war wohl eine einmalige Sache für die Schaustellerfamilie
Für 2021 wagten sie etwas Neues und betrieben in Marktheidenfeld einen Stadtstrand. "Es war eine tolle Erfahrung, als wir das gemacht haben", sagt Müller-Leßmann. Doch für jedes Jahr können sie sich das nicht vorstellen. Das liegt vor allem daran, dass sie fürchten, für ihr Saisongeschäft nicht ausreichend Mitarbeitende zu finden. Das Personal in der Gastronomie ist sowieso schon rar.
"Wir setzten im Winter alle unsere Hoffnungen auf den Nürnberger Christkindlesmarkt", so Müller-Leßmann. Sie haben die bestellten Waren für ihre beiden Verkaufsstände mit Kunstgewerbe liefern lassen, die Buden aufgebaut und dekoriert. Alles war bereit zur Eröffnung. Ihr Mann sagt: "Es war ein riesengroßer Schlag ins Gesicht, als dieser Markt so kurzfristig abgesagt wurde".
Die aktuelle Saison startete mit dem Ostermarkt in Nürnberg. Schaustellern wie Gästen war die Erleichterung anzumerken. "Es freuen sich einfach alle auf die Volksfeste, die gut besucht sind", so das Fazit des Paares. Doch was wird die Zukunft bringen?
Nach den Erfahrungen der jüngsten Zeit sind sie vorsichtig. "Eigentlich müssten wir in unseren Betrieb investieren, aber das ist uns in der jetzigen Situation zu riskant", meint Rainer Müller. Die Einbußen aufgrund der Corona-Pandemie wirken sich bis heute aus. Keiner kann sagen, welche Auswirkungen die derzeitigen Krisen haben werden.

Ihre Schießbude hat die Familie kürzlich verkauft – mit ein bisschen Wehmut, wie Rainer Müller zugibt. Denn mit dem Wagen hat er sich 1990 selbstständig gemacht. Zuvor arbeitete der 55-Jährige in der Losbude seiner Eltern mit. "Es bringt nichts, wenn man sein Herz an ein Geschäft hängt, wenn man drauflegt", sagt er.
Schausteller mit Leidenschaft
"Im Schokotempel liegt unsere Liebe", sagt Müller-Leßmann. Das war das erste gemeinsame Geschäft, das sie mit ihrem Mann vor 17 Jahren aufbaute. Zuerst verkauften sie die Süßwaren an einem Stand in Einkaufszentren; als die Marktheidenfelder Laurenzi-Messe 2007 von der Innenstadt an die Martinswiese umgezogen ist, waren sie zum ersten Mal mit einem Verkaufswagen dort zu finden.
Im Jahr 2017 haben die beiden für rund 140.000 Euro einen neuen Wagen, eine individuelle Anfertigung eines Freundes der Familie, angeschafft. Wichtig war ihnen der effiziente Stromverbrauch für Beleuchtung und Kühltechnik, die gleichzeitig auch den Richtlinien für Lebensmittel-Hygiene entspricht. Damals hatte das Paar nicht gewusst, welche Herausforderungen bevorstehen.
Unabhängig davon sind die Preise im "Schokotempel" auch etwas höher als 2019. Müller rechnet vor: Kakao um 25 Prozent teurer geworden. Die Transportkosten, etwa für exotisches Obst, sind gestiegen. Die Herstellung der Spieße ist sehr arbeitsintensiv; auch die Personalkosten für die eigenen Angestellten sind höher.
Ungewisse Zukunft für Schausteller
Hinzu kommt das unternehmerische Risiko, das einkalkuliert werden muss; etwa wenn die verderbliche Ware nicht komplett verarbeitet und verkauft werden kann. "Wir bringen zum Beispiel die übrigen Erdbeeren zum Marktheidenfelder Tafelladen", so Müller-Leßmann. Dort werden die Früchte entweder frisch ausgegeben oder zu Marmelade verarbeitet und verteilt.
Schausteller blicken derzeit in eine ungewisse Zukunft, ebenso wie andere Menschen auch. Andrea Müller-Leßmann und Rainer Müller sind flexibel, probieren auch mal etwas Neues aus, zum Beispiel den Betrieb eines Stadtstrands. Letztlich fühlen sie sich jedoch dem "reisenden Volk" zugehörig. Und nicht zu vergessen: "Es ist unsere Aufgabe, den Kindern ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern".