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Lohr
Meeresforscher hält Vortrag in Lohr über das Weltklima: "Die Situation könnte gar nicht kritischer sein"
Udo Engelhardt auf Exkursion in Svalbard auf der Inselgruppe Spitzbergen. 
Foto: Laura Dierig | Udo Engelhardt auf Exkursion in Svalbard auf der Inselgruppe Spitzbergen. 
Bearbeitet von Lena Schwaiger
 |  aktualisiert: 18.10.2024 02:39 Uhr

Die Menschheit muss innerhalb der nächsten Jahre aus den fossilen Energien aussteigen, sonst wird sich das Klima unkontrolliert erwärmen. Das sagt Meeres- und Klimaforscher Udo Engelhardt. Bei einem Vortrag am 14. Oktober im Franz-Ludwig-von-Erthal-Gymnasium in Lohr erklärt der Forscher, welche Zusammenhänge zu dieser dramatischen Entwicklung führen und wie man sie noch verhindern könnte.

Frage: Sie sind Meeresforscher, spezialisiert auf Korallenriffe. Wie kommt man da zu einem Vortrag an einer Schule in Lohr, mitten im Spessart, weit weg vom nächsten Ozean?

Udo Engelhardt: Ein Lehrer der Schule hat einen meiner Vorträge auf Youtube gesehen. Er war beeindruckt davon und hat Kontakt mit mir aufgenommen. Das läuft schon seit ein paar Jahren so über Weiterempfehlungen. Menschen hören einen Vortrag, merken, hier ist eine Thematik, die eskaliert und fühlen sich dann motiviert, sowas bei sich in der Stadt anzubieten.

"Wenn man seine Studienobjekte vor den eigenen Augen absterben sieht, macht das was mit einem."
Udo Engelhardt, Meeresforscher
Sie sind sicherlich nicht Meeresforscher geworden, um Klimavorträge zu halten?

Engelhardt: Das war eigentlich ein echt dummer Zufall. Als ich in der Schule war, gab es einmal im Monat Naturfilme von Jacques-Yves Cousteau. Er hat auch Unterwasserbilder gezeigt, aus dem Mittelmeer und von Korallenriffen im Roten Meer. Da war es damals um mich geschehen, ich fand das so genial. Also habe ich nach dem Abi entschieden, dass ich nach Australien gehe und Meeresbiologie studiere, mit dem Spezialgebiet Korallenriffe. Das hat auch wunderbar geklappt. Ich war anschließend bei der Nationalparkverwaltung für das Great Barrier Reef angestellt.

Wie ging es dann weiter?

Engelhardt: 1998 kam ein Anruf aus den Seychellen. Dort hatte man ein Problem mit einem meiner Studienobjekte, einem korallenfressenden Seestern. Deshalb hat man einen Experten gesucht. Bei meinem ersten Tauchgang war das Wasser 32 Grad warm, wie eine Badewanne, viel zu heiß. Die Population der Seesterne war schon längst nicht mehr da, aber die Korallen waren auch kollabiert. 1998 war die erste Massenbleiche der Korallen, und zwar weltweit. Eigentlich habe ich ja diese Seesterne gesucht, aber da waren auch 95 Prozent aller Korallen abgestorben. Eine gewaltige Fläche, Korallenriffe, die zusammengenommen so groß waren wie zwei größere deutsche Bundesländer. Wenn man seine Studienobjekte vor den eigenen Augen absterben sieht, macht das was mit einem.

Die Korallenbleiche ist ein Signal des Klimawandels. Udo Engelhardt hat das Phänomen wissenschaftlich erforscht.
Foto: Udo Engelhardt | Die Korallenbleiche ist ein Signal des Klimawandels. Udo Engelhardt hat das Phänomen wissenschaftlich erforscht.
Machen wir einen Sprung in die Gegenwart. Wie sehen Sie die Klima-Situation im Moment?

Engelhardt: Die Situation könnte gar nicht kritischer sein. Die 2020er Jahre sind unser Jahrzehnt der Entscheidung. Die Dinge, die wir in den nächsten Jahren tun in Sachen Klimaschutz, werden Auswirkungen haben für die nächsten 10.000 bis 100.000 Jahre im Klimasystem. Das ist leider keine Übertreibung, es geht jetzt um alles.

Können Sie noch ruhig schlafen?

Engelhardt: Ich kann trotzdem noch ruhig schlafen, weil ich die Motivation habe, gegenzusteuern. Das ist die größte Aufgabe der Menschheitsgeschichte, die die Menschheit sich quasi selbst gestellt hat. Aber es gibt noch dieses kleine Fenster der Möglichkeiten, in dem man gegensteuern kann. Wir können nicht noch einmal fünf oder sechs Jahre so weiter machen und dann glauben, dass wir noch Optionen haben in der Zukunft.

"Wir können nicht noch einmal fünf oder sechs Jahre so weiter machen und dann glauben, dass wir noch Optionen haben in der Zukunft."
Udo Engelhardt, Meeres- und Klimaforscher
Woran machen Sie das fest?

Engelhardt: Die Extremereignisse, die wir über die letzten Jahre gesehen haben, sind alle schon Vorboten von massiveren Events, die wir irgendwann nicht mehr bewältigen können. Aber noch haben sowohl die Politik wie auch die Gesellschaft die Scheuklappen auf. Wir wollen einfach nicht sehen, in welcher Dimension sich diese Klimakrise gerade entwickelt.

Darum geht es auch in Ihrem Vortrag am 14. Oktober?

Engelhardt: Im Fokus meines Vortrags steht, dass wir uns dieses globale Klimasystem anschauen und die ganzen Elemente, die man sonst nur isoliert kennt, verbindet. Wenn man das Klimasystem versteht, versteht man auch, warum alles verbunden ist. Es gibt kein deutsches Klima, es gibt auch kein europäisches Klima. Es gibt ein Weltklima und über die Kippelemente hängt alles zusammen.

Welche Auswege sehen Sie, um die Klimakatastrophe zu verhindern?

Engelhardt: Dass wir endlich den Hebel bei uns im Kopf umlegen und diese wirklich ganz elementare Bedrohung unserer Lebensgrundlagen als das verstehen, was sie ist. Um das Klima zu stabilisieren, müssen wir zwei Dinge tun. Wir müssen die Emissionen klimaschädlicher Gase massiv runterfahren. So schnell wie möglich und Richtung Null. Und zweitens müssen wir das System wieder ins Gleichgewicht bringen. Ein Teil der Gleichung sind auch natürliche Senken – also Ökosysteme – wie Moore, Wälder, aber auch der Eisschild der Arktis, die Kohlenstoffdioxid filtern und binden. Wenn der Permafrostboden der Arktis weiter schmilzt, verwesen die fossilen Überreste von Wäldern, die dort seit Jahrmillionen unter dem Eis liegen. Wenn sich das weiter ausbreitet, kriegen wir ein solches Volumen an Methan in die Atmosphäre, dass die Temperaturen uns entgleiten. Ein Durchschießen in Richtung sechs oder sieben Grad Erhöhung im Schnitt ist dann möglich. In einer solchen Welt können wir Menschen nicht mehr existieren.

Was wollen Sie den Menschen mitgeben, was sie tun können? Als 16-Jähriger mag man sich da denken, dass man gar keine Chance mehr hat.

Engelhardt: So darf man das nicht betrachten. Das ist typisch dafür, wie es von der Seite der Verursacher – der fossilen Industrie – dargestellt wird. Sie wälzen die Verantwortung auf die Einzelnen ab. Verursacher ist ein fossiles System, das seit über 150 Jahren aktiv ist. Das will die Lobby der fossilen Energieträger weiter am Leben erhalten, obwohl sie genau weiß, dass es letztlich die Atmosphäre zerstört, die wir brauchen.

Der Vortrag: "Eine Welt, ein Klima und eine (letzte) Chance – Welche Zukunft wählen wir?" am 14. Oktober, 18.30 Uhr im Nägelsee-Schulzentrum. Anmeldung unter www.raiba-msp.de/engelhardt oder unter Tel.: (09352) 8580.

Zur Person: Udo Engelhardt

Udo Engelhardt ist Meeresbiologe und seinen Angaben zufolge seit mehr als 25 Jahren Klimafolgenforscher. Er arbeitete zehn Jahre lang für die Nationalparksverwaltung für das Great Barrier Reef in Australien und war Leiter eines Forschungsprogramms zum Monitoring und der Kontrolle von Fressfeinden der Korallen. Danach war er fünf Jahre lang wissenschaftlicher Leiter einer weltbankfinanzierten Studie zu den Auswirkungen der Korallenbleiche auf den Seychellen.
Heute unterstützt er als wissenschaftlicher Berater von Ansvar2030/The Climate Task Force Städte und Unternehmen bei der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen, wie beispielsweise der Klimaneutralität bis 2030. Seit 2021 fungiert er außerdem als Botschafter für den Klimapakt der Europäischen Union.
(mels)
 
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