
Eine Halle, haufenweise Kleidung, Lebensmittel und viele helfende Hände: Drei Monate nach Beginn des Ukraine-Konflikts verteilt ein Team aus Deutschen und Geflüchteten im März 2022 am Dillberg in Marktheidenfeld Spenden an die Menschen aus der Ukraine.
Unter ihnen ist auch Mariia Matviiv. Die hochgewachsene junge Frau steht hinter der Ausgabetheke, versorgt ihre Landsleute mit Essen und Hygieneartikeln, beantwortet Fragen, sortiert neue Spenden wieder ein.
Keine Zukunftsaussichten für die Alleinerziehende in der Heimat
Drei Jahre später sitzt die 39-Jährige in einem Café in Marktheidenfeld. Sie will erzählen, wie es ihr seitdem ergangen ist in Deutschland. Für die Alleinerziehende ist unmittelbar nach Ausbruch des Krieges klar, dass es für sie und ihre 14-jährige Tochter in der Ukraine vorerst keine Zukunft gibt.
"Ich habe meinen Job geliebt, meine Freunde, meine Familie. Aber ich konnte nicht bleiben", erzählt sie. Zu diesem Zeitpunkt wohnen sie in Lwiw, in der Westukraine. Jedes Mal, wenn die Sirene ging, hatte sie Angst um ihre Tochter, die während ihrer Arbeit weit weg von ihr war. "Zuerst war noch Schule, dann nur noch Distanz-Unterricht", erzählt sie. Sie leidet, ihre Tochter auch.
Über einen privaten Kontakt kommen sie Anfang März 2022 nach Marktheidenfeld. "Wir haben uns ein Zimmer geteilt", erzählt Matviiv. "Das war nicht luxuriös, aber völlig in Ordnung", sagt sie.
In der Ukraine machte sie Karriere, in Deutschland startet sie bei null
Neben ihrem Ehrenamt in der Spenden-Halle, kümmert sich die Ukrainerin aktiv um einen Job. In der Ukraine hat sie eine Hochschulausbildung hinter sich und Karriere gemacht. "Ich war Logistikerin und Kundendienstleiterin, hatte zwei Positionen in einem Job", erzählt sie. In Deutschland startet sie bei null. Nach drei Wochen fängt sie als Reinigungskraft an. Bevor sie um 10 Uhr morgens am Dillberg Spenden ausgibt, hat sie bereits etliche Marktheidenfelder Büros geputzt.
Abends lernt sie online für sechs Euro die Stunde mit einer Lehrerin aus der Ukraine deutsch. Das habe sie sich selbst organisiert – weil sie für einen offiziellen Sprachkurs tagsüber keine Zeit hat. "Am Anfang habe ich viel auf Englisch geredet", erinnert sie. Nach und nach traut sie sich immer mehr auf Deutsch, nutzt den kurzen Kontakt zu den Büroangestellten für Small-Talk.
Auch mit ihrer Tochter Anna redet sie halb deutsch, halb ukrainisch. Während sie arbeitet, besucht diese die Mittelschule. "Für sie war es sehr schwer am Anfang. Sie hat viel im Bett gelegen, gegessen, geschlafen und viel geweint", erinnert sich Mariia Matviiv. Sie wollte zurück zu ihren Freunden, zu ihrem alten Leben. War sauer auf ihre Mutter. "Das war nicht einfach für uns. Aber ich war die Erwachsene, ich musste eine Entscheidung treffen", erzählt sie.
Tochter Anna möchte nicht mehr weg
Mit der Zeit wird es besser. Anna lernt immer besser deutsch, wiederholt die Klasse, wechselt schließlich nach Würzburg auf die Wirtschaftsschule. Mittlerweile will sie nicht mehr weg. Sie hat Freunde gefunden, macht zusammen mit ihnen Sport, geht in die Tanzschule.

Auch Mariia Matviiv macht weiter. Bei der gemeinnützigen Baugenossenschaft Heimstättenwerk in Marktheidenfeld bewirbt sie sich auf eine Wohnung. "Ich habe auch im Internet geschaut. Das war schwierig, entweder war es zu teuer oder die Leute wollten keine zwei Menschen für eine Ein-Zimmer-Wohnung", erzählt sie. Beim Heimstättenwerk hat sie Glück: Sie bekommen eine Zweizimmer-Wohnung in Marktheidenfeld.
Sprache verbessern, am besten mit Muttersprachlern
Nach zwei Jahren ist alles in einem guten Fahrwasser. Und dennoch nagt es an ihr. Sie möchte gerne sprachlich besser werden. Aber dafür müsste sie mehr Deutsch sprechen, am besten mit Leuten, die sie verbessern können.
Aber auch beruflich ist sie immer öfters resigniert. "Ich habe zwischenzeitlich gedacht, ich werde mein Leben lang als Reinigungskraft arbeiten", erinnert sie sich. Sie beginnt, nach Stellen zu suchen. Es vergeht ein halbes Jahr, da entdeckt ihr Freund ein Mitarbeiter-Gesuch bei einem Juwelier und Pfandleihhaus in Würzburg. Zusammen mit ihrer Lehrerin schreibt sie eine Bewerbung. Sie lässt sich von allen bisherigen Stellen Zeugnisse ausstellen und ihr Diplom-Zeugnis aus der Ukraine übersetzen. Bald wird sie zum Vorstellungsgespräch eingeladen.
Rückhol-Angebot aus der Ukraine reizt sie nicht
"Ich durfte einen Tag Probe arbeiten, danach haben sie mir gesagt, dass ich anfangen kann, wenn ich will", erzählt sie. Das war im Juli 2024. Seitdem pendelt sie fünf Tage die Woche nach Würzburg. "Ich bin für den Verkauf und die Beratung von Edelmetallen verantwortlich wie Gold, Silber und Schmuck", erzählt sie.
Die Ukrainerin fühlt sich sehr wohl auf ihrer neuen Arbeit. Und obwohl sie und ihre Tochter nun jeden Tag nach Würzburg fahren, wollen sie in Marktheidenfeld wohnen bleiben, ihrer neuen Heimat.
Wie sie den Aufruf der ukrainischen Regierung sieht, die Geflüchteten sollen zurückkommen, ihre alte Heimat unterstützen? "Vielleicht ist das reizvoll für Leute, die keine Arbeit haben", sagt sie. Die 39-Jährige jedoch kann sich eine Rückkehr momentan nicht vorstellen.
"Die Stimmung im Land ist anders. Die Leute haben keine Freude mehr", beschreibt sie. Auch sie selbst hat die Hoffnung auf Frieden verloren. "Und auch wenn der Krieg endet - es gibt so viel tote Menschen, so viele Kriegsverletzte, es ist so viel kaputt."
Man kann es schaffen, auch wenn man bei Null anfangen muss
Doch trotz der aussichtslos erscheinenden Situation in der Heimat möchte Mariia Matviiv mit ihrer Geschichte Mut machen: Dass man es schaffen kann, auch wenn man bei Null anfangen muss. "Ich möchte auch hinzufügen, dass ich sehr dankbar bin für alles, was Deutschland mir gegeben hat."
Den Kontakt zu ihren ukrainischen Freunden hat sie gehalten. Nun haben sie zum ersten Mal ein Wiedersehen organisiert: In ein paar Wochen wollen sie sich alle in Polen treffen und ein paar Tage miteinander verbringen. Zusammen essen, trinken, reden, vielleicht auch einige Momente lang trauern.
Ihr Wunsch für die Zukunft? "Ich habe meine Wünsche gerade alle erfüllt bekommen", sagt sie. Und ihre Tochter? "Sie will ihre Schule beenden – und dann in Deutschland Polizistin werden."
Meine Eltern erzählen heute noch
wie schlecht es ihnen damals ging.
Sie haben aber rangeklotzt und
Alles wieder aufgebaut.
Gruß Klaus Habermann, Estenfeld ! ! !
"Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet!"
Warum mir gerade diese Textstelle zu den Kommentaren einfällt, kann ich gerade wirklich nicht sagen. Muss ein merkwürdiger Zufall sein.